Interview zur E‑Mobilität: “Wir brauchen eine Verkehrswende”

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Inter­view mit der Stutt­gar­ter Zei­tung (Fil­der-Zei­tung), vom Ver­lag online gestellt am 18. August 2016

Bun­des­po­li­ti­ker über E‑Mobilität

„Wir brauchen eine Verkehrswende“

Wie elek­trisch sind die Bewoh­ner der Fil­der unter­wegs? Was gut läuft und wor­an es hapert, erläu­tert eine Serie rund ums The­ma E‑Mobilität. Dies­mal: Der Poli­ti­ker Mat­thi­as Gastel erklärt, war­um es mehr E‑Fahrzeuge auf den Stra­ßen braucht.
Rad statt Fahrbereitschaft, Matthias Gastel bewegt sich in Berlin umweltfreundlich. Foto: z
Rad statt Fahr­be­reit­schaft, Mat­thi­as Gastel bewegt sich in Ber­lin umwelt­freund­lich.Foto: z

Fil­der – Der Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te Mat­thi­as Gastel (Grü­ne) aus Fil­der­stadt sieht dort und in den Nach­bar­kom­mu­nen ein gro­ßes Poten­zi­al für die Elek­tro­mo­bi­li­tät. Noch sei­en elek­trisch ange­trie­be­ne Autos auch wegen der gerin­gen Stück­zah­len zwar teu­er. Er geht aber davon aus, dass sie auf dem Vor­marsch sind, bil­li­ger wer­den und im Jahr 2030 nur noch weni­ge Autos mit Ver­bren­nungs­mo­tor über die Fil­der-Ebe­ne rol­len. Doch für eine ech­te Ver­kehrs­wen­de reicht es nicht, wenn sich jeder ein Elek­tro­au­to kauft, sagt der Poli­ti­ker.

Herr Gastel, Sie sind gera­de aus Stutt­gart gekom­men. Wie sind Sie an einem sol­chen Tag unter­wegs?
Natür­lich elek­trisch – mit der S‑Bahn.
Fah­ren Sie oft mit der S‑Bahn zu Ter­mi­nen?
Nach Stutt­gart habe ich noch nie das Auto genom­men, son­dern immer den Bus und die S‑Bahn. Im Nah­be­reich fah­re ich fast immer mit dem Rad oder dem Pedelec und zum Bun­des­tag nach Ber­lin dann mit dem Zug. Das heißt, ich bin viel elek­trisch unter­wegs. Elek­tro­mo­bi­li­tät hat übri­gens eine lan­ge Tra­di­ti­on. Eisen­bah­nen fah­ren seit 1879 elek­trisch und Stra­ßen­bah­nen seit 1881. Man tut ja manch­mal so, als wenn man mit dem Elek­tro­au­to die­se Mobi­li­tät neu erfin­den wür­de. Das ist mit­nich­ten so.
Es gab ja schon vor 100 Jah­ren Elek­tro­bus­se. Dann hat man auf Ben­zin­mo­to­ren gesetzt.
Genau. Aber die Milch und die Post wur­den schon vor 100 Jah­ren durch Elek­tro­fahr­zeu­ge aus­ge­fah­ren. Also, auch auf der Stra­ße ist Elek­tro­mo­bi­li­tät nicht ganz neu. Die Her­aus­for­de­rung ist nun, die Reich­wei­te zu erhö­hen und die Kos­ten von Elek­tro­mo­bi­li­tät auf der Stra­ße deut­lich zu sen­ken.
Die Kos­ten sind noch sehr hoch Wenn man ein Elek­tro­au­to kauft, muss man zwi­schen 30 000 und 40 000 Euro für einen Klein­wa­gen hin­le­gen. War­um sind die so teu­er?
Das liegt eben auch dar­an, dass die Bat­te­rie­tech­nik noch in der Ent­wick­lung ist. Dar­um ist die Pro­duk­ti­on von Bat­te­rie­zel­len sehr teu­er. Wir müs­sen da bald in die Mas­sen­pro­duk­ti­on ein­stei­gen. Nur dann sin­ken die Prei­se und wird auch in For­schung und Ent­wick­lung inves­tiert. Das war auch bei der Foto­vol­ta­ik als Tech­no­lo­gie so. Der Staat hat nach­ge­hol­fen und die Mas­sen­pro­duk­ti­on hat begon­nen.
Antriebs­strän­ge für deut­sche Autos kom­men aus den USA und Bat­te­rien aus Fern­ost. Brau­chen wir eine Bat­te­rie­in­dus­trie für Elek­tro­au­tos in Deutsch­land?
Wir waren in dem Bereich füh­rend, sind es aber nicht geblie­ben. Deutsch­land ist kein gro­ßer Markt für Elek­tro­fahr­zeu­ge. Da sind uns ande­re Län­der weit vor­aus. Die haben auch die Bat­te­rie­ent­wick­lung und ‑pro­duk­ti­on zu sich gezo­gen. Die­se sind also jetzt dort, wo der Absatz­markt ist. Da hat Deutsch­land eini­ges ver­passt. Damit sich das nicht fort­setzt – auch im Inter­es­se der Auto­mo­bil­in­dus­trie – muss Deutsch­land zum Leit­markt für Elek­tro­mo­bi­li­tät wer­den. Dar­um müs­sen wir schau­en, dass wir deut­lich mehr Elek­tro­au­tos und ‑bus­se auf die Stra­ße brin­gen und Deutsch­land als Markt, aber auch für die Ent­wick­lung und Pro­duk­ti­on von Bat­te­rien, attrak­ti­ver wird.
Als Fazit kann man sagen, dass Sie Elek­tro­mo­bi­li­tät für sinn­voll hal­ten, oder?
Wir brau­chen eine Dekar­bo­ni­sie­rung im Ver­kehr. Das heißt, wir müs­sen uns spä­tes­tens in den 2030er-Jah­ren von der Ver­bren­nungs­tech­no­lo­gie ab- und ande­ren Antriebs­tech­ni­ken zuwen­den. Auf der Schie­ne gibt es das schon lan­ge. Wir brau­chen die­se Alter­na­ti­ven auch bei Autos, Bus­sen und Last­wa­gen. Wir kön­nen es uns nicht leis­ten, rie­si­ge Men­gen an end­li­chen Res­sour­cen zu ver­schwen­den, um 80 Kilo Fleisch und Kno­chen in einem eine Ton­ne schwe­ren Auto zu bewe­gen. Wir brau­chen aber nicht nur einen Umstieg bei den Moto­ren und Antriebs­tech­no­lo­gien, son­dern ins­ge­samt eine Ver­kehrs­wen­de mit einer Stär­kung der Öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­tel und einen attrak­ti­ve­ren Rad- und Fuß­ver­kehr. Schließ­lich ist die Hälf­te aller Wege in den Städ­ten kür­zer als fünf Kilo­me­ter.
Da kann man auch mit dem Fahr­rad fah­ren.
Rad fah­ren oder zu Fuß gehen ist opti­mal. Auch der Bus und die Bahn sind mög­lich. Das Auto macht in aller Regel bei solch kur­zen Stre­cken kei­nen Sinn, wird aber oft genutzt. Des­halb brau­chen wir eine Ver­kehrs­wen­de mit mehr Elek­tro­mo­bi­li­tät im öffent­li­chen und im Indi­vi­du­al­ver­kehr, um die Kli­ma­schutz­zie­le zu errei­chen.
Dafür braucht es Strom. Wie soll der erzeugt wer­den?
Elek­tro­mo­bi­li­tät ist nur dann öko­lo­gisch sinn­voll, wenn der Strom erneu­er­bar pro­du­ziert wur­de. Das geschieht immer öfter. Lang­fris­tig müs­sen an die 100 Pro­zent aus Son­ne, Wind, Bio­mas­se und ande­ren erneu­er­ba­ren Quel­len erzeugt wer­den. Weil Strom aus erneu­er­ba­ren Ener­gien aber nicht kon­stant zur Ver­fü­gung steht, soll­ten Über­schüs­se in der Strom­pro­duk­ti­on – also nachts pro­du­zier­ter Wind­strom – genutzt wer­den, um Elek­tro­au­tos und ‑bus­se zu laden. Dann hat man eine sinn­vol­le Ver­wen­dung für Strom, der sowie­so erzeugt wird.
Kön­nen die Strom­an­bie­ter so viel Öko­strom lie­fern oder gibt es da Gren­zen?
Mit dem Anstieg von Elek­tro­mo­bi­li­tät wird der Anteil von Öko­strom wach­sen. Das ist abseh­bar. Es muss Hand in Hand gehen, und ich habe kei­ne Zwei­fel, dass es so kommt. Ich ken­ne nie­man­den, der ein Elek­tro­au­to besitzt und kei­nen Öko­strom bezieht. Idea­lis­mus gehört dazu, und man möch­te sei­ne Öko­bi­lanz vor­zei­gen kön­nen.
Zur Ver­kehrs­wen­de gehört ja auch, dass die Bun­des­re­gie­rung bis 2020 eine Mil­li­on Elek­tro­au­tos auf die Stra­ßen brin­gen will. Danach sieht es nicht aus. Wor­an liegt das?
Danach sieht es in der Tat nicht aus. Das Ziel ist, wenn über­haupt, nur noch extrem schwer zu errei­chen. Die Bun­des­re­gie­rung hat sich auf EU-Ebe­ne gegen die drin­gen­de Ver­schär­fung von Ver­brauchs­wer­ten im Auto­be­reich ein­ge­setzt und das lei­der erfolg­reich. Das heißt, der Druck spar­sa­me­re Fahr­zeu­ge zu pro­du­zie­ren oder ver­stärkt auf Elek­tro­mo­bi­li­tät zu set­zen, ist sehr nied­rig gewor­den. Außer­dem kam die Kauf­prä­mie sehr spät und nicht ent­schlos­sen genug. Man hät­te sie außer­dem flan­kie­ren müs­sen mit einer gesetz­li­chen Beschrän­kung von Ver­brauchs­wer­ten bei Fahr­zeu­gen mit Ver­bren­nungs­mo­tor und man hät­te sie anders finan­zie­ren müs­sen, näm­lich aus dem Kraft­fahr­zeug­be­reich hin­aus und nicht aus dem Bun­des­etat. Es wäre logi­scher gewe­sen und hät­te bes­ser funk­tio­niert, wenn man ein Bonus-Malus-Sys­tem ent­wi­ckelt hät­te. Das haben wir als Grü­ne vor­ge­schla­gen. Das hät­te bedeu­tet, dass Autos mit einem sehr hohen Ver­brauch mit einem Malus belegt wer­den. Das heißt, dass sie etwas teu­rer gemacht wer­den.
Wie sehen Sie den Stadt­ver­kehr auf den Fil­dern im Jahr 2030?
Ich den­ke, dass dann Fahr­zeu­ge mit Ver­bren­nungs­mo­tor in der Min­der­heit sind. Das Netz der öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­teln, wie S- und Stadt­bahn wird stär­ker aus­ge­baut sein. Hier wer­den dann haupt­säch­lich elek­trisch ange­trie­be­ne Bus­se fah­ren. Ich den­ke auch, dass bis dahin die Rad­ver­kehrs­in­fra­struk­tur ent­spre­chend aus­ge­baut sein wird. Das heißt, siche­re und attrak­ti­ve Rad­we­ge, die breit genug sind auch für die­je­ni­gen, die etwas schnel­ler mit Pedelecs und E‑Bikes unter­wegs sind oder mehr Platz brau­chen, wie Las­ten­rä­der, die ja immer mehr im Kom­men sind und sich für grö­ße­re Ein­käu­fe anbie­ten oder aber, um Kin­der in die Kita zu brin­gen oder für die City­lo­gis­tik. Natür­lich wird es das Auto nach wie vor geben, aber eben über­wie­gend elek­trisch betrie­ben.
Heißt das, dass mehr Men­schen auf dem Rad­weg und dem Fuß­weg unter­wegs sind, als auf der Stra­ße, oder gibt es die­se Tren­nung dann nicht mehr?
Ich glau­be, dass es die Tren­nung vie­ler­orts nicht mehr geben wird. Der Rad­ver­kehr wird zu einem Groß­teil auf der Fahr­bahn statt­fin­den. Die Autos wer­den sich an die Geschwin­dig­keit der Rad­ler anpas­sen und die Geh­we­ge wer­den brei­ter sein, damit sich auch Men­schen im Roll­stuhl und mit Rol­la­tor bequem bewe­gen kön­nen.

Das Gespräch führ­te Mal­te Klein.