AutorInnenpapier von Daniela Wagner, Matthias Gastel,
Lisa Badum, Dieter Janecek, Katharina Dröge
Luftverkehr in Zeiten von Corona, angemessene Konditionen für Rettungs- und Konjunkturmaßnahmen
Der Luftverkehr ist eine der am frühesten und am härtesten von Corona-Auswirkungen betroffenen Branchen. Die Lufthansa befördert aktuell beispielsweise nur noch ein Prozent des üblichen Passagieraufkommens. Es ist in unserem Interesse, Airlines und Flughäfen in systemrelevantem Umfang dauerhaft zu erhalten. Rettungsmaßnahmen sind vor diesem Hintergrund unumgänglich. Aber nicht alle Teile des bestehenden Luftverkehrs sind systemrelevant. Fliegen ist, wie man es auch dreht und wendet, immer besonders energieintensiv und klimaschädlich. Es kann nicht das Ziel sein, den Flugbetrieb in allen Teilen aufrechtzuerhalten und zu alten Wachstumserwartungen zurückzukehren.
Wir brauchen Flughäfen und Fluggesellschaften, um sehr weit entfernte Ziele zu erreichen, wir brauchen sie, wenn in begründeten Fällen besondere Eile geboten ist oder wenn bestimmte sensible Waren transportiert werden müssen. Auf Kurz- und Mittelstrecken braucht es jedoch ein Umsteuern der Politik, das dazu führt, dass Reisen und Logistik künftig durch umweltfreundlichere Formen der Mobilität wie der Bahn abgewickelt werden. Wir brauchen keine staatlich subventionierten Kurztrips, die vor allem deshalb stattfinden, weil Fliegen gerade so billig ist.
Rettungsmaßnahmen dürfen den Abbau von Überkapazitäten nicht dauerhaft behindern, denn Überkapazitäten und der daraus resultierende Unterbietungswettbewerb sind Teil des Phänomens Billigflüge.
Im Falle von Rettungsmaßnahmen müssen Aktionäre und das Spitzenpersonal die Kappung der Managergehälter und ‑Boni und das Steichen von Dividenden hinnehmen. Während der Bezugsdauer von Staatshilfen darf es keine Aktienrückkäufe geben. Außerdem muss absolute Steuertransparenz- und Ehrlichkeit hergestellt werden. Während Steuerzahler*innen Geld geben und Risiken übernehmen, Beschäftige in Kurzarbeit gehen und die unteren Einkommensgruppen aufstocken und um ihre Jobs bangen, ist alles andere unangemessen.
Flughäfen
Regionalflughäfen, die dauerhaft am Tropf der Steuerzahler*innen hängen, dürfen nicht mit noch mehr Steuergeld gerettet werden. Das gilt umso mehr, als die EU ab 2024 Betriebsbeihilfen für alle Flughäfen mit mehr als 200.000 Passagieren im Jahr verbietet. Was derzeit in Nordrhein-Westfalen geschieht, geht in die falsche Richtung. Das Bundesland nimmt vier Regionalflughäfen in sein Rettungspaket auf, weitere Bundesländer werden nachziehen.
Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, um endlich ein integriertes deutsches Flughafenkonzept vorzulegen und unsinnige Flughäfen stillzulegen. Diese konzeptuelle Arbeit müsste auf Bundesebene geleistet werden. Das Verkehrsministerium verweist jedoch beharrlich auf die Länder und Kommunen – und das, obwohl Regionalflughäfen künftig aus dem Bundeshaushalt mit 50 Mio. € im Jahr unterstützt werden. Eine deutschlandweit koordinierteUmstrukturierung wird jetzt dringend angegangen werden.
Auch viele systemrelevante Flughäfen werden Hilfe benötigen. Die Berliner Flughäfen haben von ihren Gesellschaftern (Berlin, Brandenburg, Bund) bereits 300 Mio. € Corona-Hilfe erhalten. Hilfen für Flughäfen müssen aber an Zugeständnisse gebunden sein. Es sollen Lärmobergrenzen eingeführt werden. Die Flughafenentgelte, die Airlines für die Flughafennutzung zahlen, sollen transparent und in jedem Fall kostendeckend ausgestaltet werden. Flughafenentgelte sollen zugleich maximal lärm‑, CO2- und luftschadstoffabhängig gespreizt werden. Mit den heute weit verbreiteten verkehrsfördernden Maßnahmen und Anreizprorammen, die Airlines von Flughäfen gewährt werden, muss Schluss sein. Die Einrichtung und der Betrieb von Ultrafeinstaubmessanlagen nebst Veröffentlichung der Daten soll für Flughäfen ab 3 Mio. Passagieren im Jahr vorgeschrieben werden. Vor allem an stadtnahen Flughäfen ist die Einführung bzw. Ausweitung von Nachtflugverboten dringend erforderlich, aber schwer durchsetzbar.
Nach Abschluss der reinen Rettungsmaßnahmen sollen im Rahmen von Konjunkturprogrammen ausschließlich Maßnahmen zum Klima- und Lärmschutz sowie zur Verbesserung der Luftqualität finanziert werden. Maßnahmen, die der Kapazitätssteigerung dienen, sollen dagegen nicht gefördert werden. Beispiele für zu fördernde Maßnahmen sind technische Einrichtungen für Präzisions-An- und Abflugverfahren, die Elektrifizierung des Boden- und Rollverkehrs, Stromanschlüsse für parkende Maschinen (kerosinbetriebene Hilfstriebwerke kommen dann nicht zum Einsatz) und, sofern noch nicht vorhanden, Hallen für Triebwerksprobeläufe.
Fluggesellschaften
Die Lufthansa hat Germanwings aufgegeben, für die Luftfahrtgesellschaft Walter kam das Aus. Condor ist Corona-bedingt nicht an die polnische LOT verkauft worden und erhielt, zusätzlich zu den bereits geliehenen 380 Mio. €, einen weiteren Kredit von 550 Mio. €. TUI-Fly wurde, zusammen mit dem Mutterkonzern TUI, mit insgesamt 1,8 Mrd. € gerettet. Für die Lufthansa wird ein Rettungspaket von rund 10 Mrd. € geschnürt. Europäische Fluggesellschaften suchen derzeit insgesamt um 26 Mrd. € Hilfsgelder an oder haben bereits Zusagen dafür erhalten.
Die Lufthansa verschlankt sich und verkleinert ihre Flotte, ähnlich wie andere europäische Airlines. Trotzdem hat es den Anschein, dass die Konsolidierung der Branche nicht im nötigen Umfang stattfindet. Viele Länder retten ihre Airlines, unabhängig davon, ob sie auf Dauer überlebensfähig sind. Dabei wäre es hilfreich, eine europäische Perspektive einzunehmen.
Seit 1992 haben wir einen europäischen Luftverkehrsbinnenmarkt. In diesem gemeinsamen Markt dürfen Fluggesellschaften, ungeachtet ihrer nationalen Registrierung, überall starten und landen. Damit wurde faktisch die Koppelung nationaler Luftverkehrsinteressen an nationale Fluggesellschaften aufgelöst und die staatlichen Airlines privatisiert. Die aktuelle Entwicklung läuft dem europäischen Prinzip entgegen, die chronisch defizitäre Alitalia wird z.B. gerade wieder verstaatlicht.
Für die Airline-Rettungen und staatliche Beteiligungen an Fluggesellschaften brauchen wir klare europäische Regeln. Die EU-Kommission hat ihre Bereitschaft dazu signalisiert. Die Bundesregierung muss sich auf EU-Ebene dafür einsetzen, dass Airline-Rettungen an klare und einheitliche Konditionen geknüpft werden. Das gilt vor allem auch für einheitliche Klimaauflagen. Es kann nicht sein, dass Airlines zu Gewinnern werden, die nicht an nationale Klimaauflagen gebunden sind. Bei einer europaweit einheitlichen Regelung profitieren dagegen diejenigen, die ihr Unternehmen in Richtung 1,5°-Ziel auf Kurs gebracht haben.
Mit Blick auf die Beschäftigten und die solide Basis der Unternehmen ist die Rettung von TUI-Fly und Condor sinnvoll. Die Staatshilfen müssen aber an Konditionen geknüpft sein, ebenso wie beim Rettungspaket für die Lufthansa.
Eine Rettung entsprechend den Vorstellungen des Lufthansa-Vorstands in Form von staatlichen Milliardenhilfen ohne jegliches Mitspracherecht ist, unabhängig davon wie das Paket am Ende zugeschnitten ist, indiskutabel.
Neben der Kappung der Managergehälter und ‑Boni und dem Verzicht auf Dividenden für die Aktionäre muss absolute Steuertransparenz und ‑ehrlichkeit verlangt werden. Die Lufthansa ist mit Tochterfirmen in etlichen Steueroasen vertreten. Auf betriebsbedingte Kündigungen muss außerdem für einen bestimmten Zeitraum verzichtet werden. Wenn sich der Staat an der Lufthansa beteiligt, darf er sich nicht schlechter stellen als ein privater Investor. Der Staat und damit die Steuerzahler*innen gehen bei den angedachten Summen enorme Risiken ein. Der Staat muss seiner Verantwortung gegenüber den Steuerzahler*innen gerecht werden und darf die Zügel nicht einfach aus der Hand geben. Eine stille Beteiligung ist inakzeptabel.
Vergleichbar mit den Konditionen für die Air France-Rettung sollen die Staatshilfen für die Lufthansa und alle weiteren deutschen Fluggesellschaften an ökologische Bedingungen geknüpft sein. Nur die Unterstützung von Unternehmen mit zukunftsfähigen Geschäftsmodellen ist sinnvoll. Solange das 1,5°-Ziel nicht eingehalten wird, ist die Marktfähigkeit künftig nicht gegeben. Die CO2-Emissionen sollen, wie im Falle der Air France, auf Mittel- und Langstrecken bis 2030 um 50 Prozent pro Passagier und Kilometer reduziert werden, auf den verbleibenden innerdeutschen Flügen bis 2024.
Bis 2025 sollen mindestens zwei Prozent des Treibstoffs aus klimaneutralen Quellen stammen, dabei soll es sich vorzugsweise um Power-to-Liquid-Treibstoffe handeln.
Vielfliegerprogramme und andere verkehrsfördernde Kundenprogramme sollen eingestellt werden.
Spätestens, wenn die Fluggesellschaften Staatsgeld bekommen, müssen sie die einbehaltenen Kundengelder aus stornierten Tickets auszahlen. Es kann nicht sein, dass Kund*innen unfreiwillig zusätzliche Kredite geben müssen.
Destinationen, die mit der Bahn innerhalb von 4 Stunden zu erreichen sind, sollen generell, für alle Fluglinien in Deutschland, aufgegeben werden.
Der Bund finanziert nicht nur für die Lufthansa, sondern auch für die Bahn milliardenschwere Unterstützungsmaßnahmen. Entsprechend sinnvoll muss die Aufgabenverteilung zwischen beiden Unternehmen gestaltet werden. Konkurrenz und Preiskämpfe auf bestimmten Destinationen müssen der Vergangenheit angehören. Die Bahn soll dazu angehalten werden, auf relevanten Strecken zusätzliche Sprinterzüge ohne Zwischenhalt anzubieten, Flüge können dann entfallen. Im Falle der Lufthansa soll das Express Rail-Angebot, mit dem Fluggäste per Bahn anstelle eines Zubringerflugs anreisen, auf weitere Städte ausgeweitet und die entsprechenden Flugverbindungen eingestellt werden, in Kombination mit der Möglichkeit, das Gepäck bereits am Einstiegsort aufgeben zu können. Andere Fluggesellschaften sollen vergleichbare Angebote machen, um Zubringerflüge zu ersetzen.
Bei Airlines, die Rettungsmaßnahmen in Anspruch nehmen, sollen lärmmindernde An- und Abflugverfahren den Vorrang vor kostensparenden Verfahren erhalten. Auf der Strecke sollen alle Möglichkeiten genutzt werden, klimaschonend zu fliegen, unter Einbeziehung der sekundären Klimaeffekte. Das kann verbrauchsoptimierte Fluggeschwindigkeiten sowie klimaoptimierte Flughöhen und Routenanpassungen betreffen. Tankering zur Einsparung von Kerosinkosten (führt zu höherem Gewicht und Mehrverbrauch) ist verboten.
Die wirksamsten Klimamaßnahmen sind bis auf weiteres die Einführung einer angemessenen Besteuerung und CO2-Bepreisung im Luftverkehr. Sie verhindern bei zunehmender Erholung der Branche zugleich ein Rollback zur alten Billigflugsituation. Nie war die Kerosinsteuer so erreichbar wie jetzt. Im Rahmen des europäischen Green Deal steht die Überarbeitung der Energiesteuerrichtlinie auf der Agenda, die Besteuerung von Kerosin ist dabei angedacht. Die europäischen Airlines erhalten Staatshilfen im zweistelligen Milliardenbereich. Im Gegenzug muss die gesamte Branche die Besteuerung von Kerosin für alle innereuropäische Flüge akzeptieren. Die zusätzlichen Steuereinnahmen können zu einem Teil für Klimamaßnahmen im Luftverkehr und für den Ausbau eines modernen europäischen Nachtzugnetzes verwendet werden.
Im Rahmen von Konjunkturprogrammen soll eine umfassende Förderung für die Herstellung von synthetischen Power-to-Liquid-Treibstoffen (PtL) aufgelegt werden. PtL-Treibstoffe werden nicht nur klimaneutral verbrannt, sondern mindern auch den Luftschadstoffausstoß, insbesondere Ultrafeinstaub. Sekundäre Klimaeffekte bleiben allerdings bestehen.
Außerdem können Nachbesserungen an den Flugzeugen gefördert werden, wenn sie zu Kerosineinsparungen, Lärmminderungen und Reduzierung der Luftschadstoffe führen, wie z.B. die Verbesserung der Triebwerke und der Aerodynamik und die Nachrüstung von Anlagen, die Präzisions-An- und Abflüge ermöglichen.