“Mehr Güter auf die Schiene – aber wie?”, so lautete der Titel eines Fachgesprächs, zu dem wir Grünen in den Bundestag eingeladen hatten. Vier Stunden lang tauschten wir uns aus mit (von links) Dr. Jürgen Wilder (Vorstandsvorsitzender der DB Cargo AG), Prof. Uwe Höft (Technische Hochschule Brandenburg), Peter Westenberger (Geschäftsführer des Netzwerkes Europäischer Eisenbahnen) und Dr. Stephan Müller (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt Berlin).
24.06.2016
Veranstaltungsbericht zum Fachgespräch „Mehr Güter auf die Schiene – aber wie?“
Rund 50 Vertreterinnen und Vertreter von Eisenbahnverkehrsunternehmen, Verkehrs- und Umweltverbänden sowie weitere Interessierte haben Ende Juni 2016 das Fachgespräch „Mehr Güter auf die Schiene – aber wie?“ im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestages besucht. Vor dem Hintergrund der aktuellen Situation des Schienengüterverkehrs stand die Vorstellung einer Studie von Prof. Uwe Höft von der Technischen Hochschule Brandenburg im Auftrag der Grünen-Bundestagsfraktion im Mittelpunkt der Veranstaltung.
Matthias Gastel, bahnpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, wies in seiner Begrüßung und Einführung darauf hin, dass sich die gesamte Bahnbranche in bahnpolitisch sehr bewegten Zeiten bewegt. Der Schienengüterverkehr stehe zunehmend unter wirtschaftlichem Druck und im schwieriger werdenden Wettbewerb mit dem Lkw. Die Politik habe die Rahmenbedingungen für die Schiene deutlich verschlechtert: So seien die Lkw-Maut deutlich abgesenkt und die Trassenpreise jedes Jahr erhöht worden. Mit dem geplanten Eisenbahnregulierungsgesetz werde dieser Entwicklung nicht Einhalt geboten. Der Entwurf für den neuen Bundesverkehrswegeplan 2030 enthalte viele neue Straßen und wenige entscheidende Projekte für das Schienennetz. Insbesondere fehle ein 740-Meter-Netz, um Güterverkehre wirtschaftlicher abwickeln zu können. Bei den Investitionen ins Schienennetz hinke man Ländern wie Österreich und der Schweiz deutlich hinterher. So seien eine Verkehrswende und ein wirksamer Klimaschutz nicht erreichbar. Weil ein dringender Handlungsbedarf bestehe, habe man eine Studie in Auftrag gegeben und zu diesem Fachgespräch mit Vertretern aus der Wissenschaft, aus der Praxis und der Politik eingeladen.
Der Vorstandsvorsitzende der DB Cargo AG, Dr. Jürgen Wilder, prophezeite, dass der Bahnkonzern notwendige Investitionen, beispielsweise in neue Lokomotiven, nicht werde finanzieren können, wenn sich die wirtschaftliche Lage des Schienengüterverkehrs auf Dauer so weiterentwickle. Wilder definierte verschiedene Aufgaben, die DB Cargo erfüllen müsse, um die Wünsche der verladenden Wirtschaft zu erfüllen. Dabei nannte er insbesondere eine gute Produktqualität, eine durchgehende Verantwortung entlang der großen Güterverkehrskorridore und eine Erhöhung der Produktivität. Hierfür sei eine Neuordnung der Strukturen der räumlich abgegrenzten Produktionszentren notwendig. So seien durchgehende Zugläufe besser planbar und damit eine höhere Angebotsqualität zu erzielen. Von der Bundespolitik erwarte er Rahmenbedingungen, die einen Erfolg des Schienengüterverkehrs in Deutschland wieder ermöglichen: Investitionen in die Infrastruktur mit einem 740-Meter- und langfristig eines 1.500-Meter-Netzes für lange Güterzüge und in die hochbelasteten Großknoten und den Abbau von Wettbewerbsnachteilen für den Schienenverkehr im intermodalen Wettbewerb wie wettbewerbsfähige Trassenpreise und im Bereich der Steuern und Abgaben. Zudem sollte die Abgabenlast bei der Stromsteuer und im Rahmen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes für den Bahnstrom abgebaut werden.
Peter Westenberger, Geschäftsführer des Netzwerks Europäischer Eisenbahnen (NEE), wies darauf hin, dass die auf der Schiene beförderte Gütermenge trotz der schwierigen Rahmenbedingungen weiter steige, ihr Anteil im Modal Split jedoch stagniere. Die erzielbaren Gewinnmargen reichten zum Überleben, wenn keine großen Investitionen getätigt werden müssten. Er übte Kritik am Entwurf des Bundesverkehrswegeplan 2030, weil keine Verkehrsverlagerung hin zum klimafreundlichen Verkehrsträger Schiene vorgesehen sei und das vorgesehene Budget nicht für die Umsetzung der notwendigen Investitionen ausreichen würde. Erhebliche Anteile der für den Bundesverkehrswegeplan 2030 vorgesehenen Mittel seien bereits für in Bau befindliche oder fest disponierte Projekte eingeplant. Westenberger schlug stattdessen das Schweizer 60/40-Modell bei der Verkehrswegefinanzierung vor: 60 Prozent der Mittel für Verkehrsinvestitionen sollten seiner Auffassung nach in die Schiene fließen.
Dr. Stephan Müller vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt Berlin, Institut für Verkehrsplanung, hat den Schienenverkehrsmarkt in Deutschland unter innovationstheoretischen Aspekten analysiert. So sei der Schienenverkehrsmarkt von einst 80 bis 90 Prozent Marktanteil im Güterverkehrsmarkt zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf nunmehr knapp unter 20 Prozent gefallen. Aus innovationstheoretischer Sicht sei das Hauptproblem bei Innovationen im Schienengüterverkehr, dass die Innovationen für Eisenbahnverkehrsunternehmen keinem Zahlungsstrom und Nutzen für die Verlader oder Spediteure entgegenstehen. Somit hätten Eisenbahnverkehrsunternehmen kaum wirkliche Anreize, in Forschung und Entwicklung zu investieren. Weiterhin ging Müller auf neuere Entwicklungen auf den Logistikmärkten ein. So seien die Stückgutnetztransporte fast ausschließlich auf der Straße unterwegs und ebenso die von Logistikern aufgebauten vernetzten und hocheffizienten Transportsysteme. Hier sei die Frage zu stellen, wo in diese Komplexität und unter diesem Marktdruck die Eisenbahn Leistungen erbringen könne. Müller setze dabei insbesondere auf das Wachstum des Logistikmarktes mit Marktfeldern für das System Schiene, die Leistungsgrenzen des automobilen Verkehrs sowie radikale Ideen, die das System Schiene völlig neu nutzen.
Nach diesen Fachbeiträgen stellte Prof. Uwe Höft, Technische Hochschule Brandenburg, die von ihm erstellte Studie zu Chancen und Potenzialen des Schienengüterverkehrs vor. Er beschrieb im Wesentlichen sechs Handlungsfelder: den Zugang zum System Schiene mit Ladegleisen, Anschlussgleisen, Güterbahnhöfen und Terminals, eine leistungsfähige Infrastruktur für den Schienengüterverkehr, bessere Produktionsverfahren im Schienengüterverkehr wie Einzelwagen‑, Ganzzug- und Kombinierte Verkehre sowie hybride Formen, Innovationen und Produktionsmittel für Traktion, Güterwagen und Umschlagtechnik, die Querschnittsthemen Ausbildung und Forschung sowie politische Rahmenbedingungen. Prof. Höft betonte die Bedeutung eines 740-Meter-Netzes wie auch die Schaffung zahlreicher kleiner Maßnahmen wie Kreuzungs‑, Überhol- und Ausweichgleise für den Güterverkehr. Zudem wagte er auch den vergleichenden Blick ins Ausland und stellte mit Bezug auf das erfolgreiche Bahnland Österreich die Frage, inwiefern Feeder-Verkehre auf der letzten Meile subventioniert werden könnten. Hierdurch könnte der Kombinierte Verkehr zwischen Straße und Schiene deutlich gestärkt werden. Zudem hielt Prof. Höft ein Plädoyer für eine Bahnreform 2.0, in der die Bedeutung der Schieneninfrastruktur deutlich aufgewertet werden müsse.
In der sich anschließenden Diskussion stellten mehrere Teilnehmerinnen und Teilnehmer fest, dass die Kundenorientierung im Schienengüterverkehr deutlich erhöht werden könne und zugleich politisch flankierende Maßnahmen notwendig seien. Insbesondere gehe es darum, die Bedürfnisse und Interessen der verlandenden Wirtschaft schneller zu erkennen und hierzu passgenaue Angebote zu ermöglichen. Hierzu könnten Takttrassen gehören wie ein marktgerechtes Kostenbild auf der Grundlage deutlich niedrigerer Trassenpreise. Eine Halbierung der Trassenpreise für den Güterverkehr, wie sie jüngst auch aus Reihen des Vorstandes der Deutschen Bahn AG ins Gespräch gebracht worden sind, wären mit einer belastbaren Gegenfinanzierung zu untersetzen.
In seinem Abschlussstatement begrüßte Stephan Kühn, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, die vorgebrachten Vorschläge und betonte, dass sowohl Bahnindustrie und Wissenschaft, aber auch die Bundespolitik gefordert seien. Der Bundesverkehrswegeplan müsse wesentliche Projekte für den Schienengüterverkehr enthalten und gerade Mittel zur Engpassbeseitigung und für die überlasteten Knoten bereitstellen. Erst nach Auswertung aller Schienenprojekte wäre die Verabschiedung der zugehörigen Ausbaugesetze im Bundestag sinnvoll machbar. Zudem müsse man die Diskussion über die Trassenpreise grundsätzlicher führen und müsse finanzierbare Konzepte für ein grenzkostenbasiertes Trassenpreissystem in Deutschland entwickeln. Hierfür müsse der Finanzierungskreislauf Schiene im Rahmen einer Bahnreform 2.0 grundsätzlich überdacht werden. Zudem müsse sich auch die Schienenverkehrslogistik dem Megatrend Digitalisierung noch stärker öffnen, um nicht den Anschluss an die Entwicklungen der Zeit zu verpassen. So sei es Aufgabe der Politik, gemeinsam mit der Bahnbranche passgenaue Innovationsprogramme zu entwickeln.
Hier geht es zur Studie: Mehr Güter auf die Schiene – final 12-06-2016