31.12.2022
Bahntagebuch gibt Auskunft über 105 Fernverkehrs-Fahrten
Die Anzahl meiner Fahrten mit dem DB-Fernverkehr sank in den beiden Pandemiejahren 2020 und 2021 deutlich auf rund 80 und nahm in 2022 wieder auf 105 zu. Mehr Fahrten – Weniger Pünktlichkeit.
Der Anteil pünktlicher Züge ist mit 47 Prozent gegenüber allen Vorjahren auf einen absoluten Tiefpunkt gefallen (2021: 70%). Mein Maßstab für Pünktlichkeit ist dabei mit maximal 4:59 Minuten Verspätung um eine Minute strenger als der bei der Deutschen Bahn. Nach der DB-Statistik waren im Jahr 2022 (bis einschließlich November 2022) 65,6 Prozent (2021 im gleichen Zeitraum: 75 Prozent) der Fernzüge pünktlich (oder unter sechs Minuten verspätet) gewesen sein. Die durchschnittliche Verspätung der unpünktlichen Züge stieg bei meinen Fahrten deutlich auf 29 Minuten (Vorjahr: 17 Minuten). Es konnten mit 90 Prozent – fast schon überraschend – die allermeisten Anschlusszüge erreicht werden. Allerdings versuche ich stets, möglichst durchgehende Verbindungen zu wählen. Daher floss nur eine relativ geringe Anzahl von Umsteigeverbindungen in meine Statistik ein. Die Fragen der Pünktlichkeit und noch mehr die der Anschlüsse dürften aus Fahrgastsicht die mit großem Abstand gravierendsten Probleme der Bahn sein und beeinträchtigen nach wie vor und leider deutlich zunehmend das Image der Bahn.
Eine grundsätzliche Stärke der Bahn liegt im Potential für Service. In keinem anderen Verkehrsmittel kann während der Fahrt die Zeit so vielfältig beispielsweise fürs Arbeiten, Essen oder Entertainment genutzt werden wie im Zug. Dies ist ein Hauptgrund dafür, dass ich so gerne mit der Bahn fahre: Ich kann die Reisezeit sinnvoll nutzen, weit überwiegend für die Arbeit.
In der Realität spielt die Bahn ihre Stärken leider allzu oft nicht oder nur eingeschränkt aus. Ein Beispiel dafür ist die Gastronomie, die leider sehr oft nicht oder nur eingeschränkt zur Verfügung stand. Als Gründe hierfür werden der Ausfall der Kühlung, ausverkaufte Angebote oder derzeit insbesondere fehlendes Personal genannt. Was auch immer die Gründe sind: Wer stundenlang im Zug unterwegs ist, muss sich auf die Versorgung mit Speisen und Getränken verlassen können.
Ärgerlich bleibt, dass das Reservierungssystem nur bei rund 85 Prozent der Fahrten funktionierte. Dies kann zur Folge haben, dass sich Reisende ohne Reservierung immer wieder umsetzen müssen, da sie nicht wissen, dass sie auf reservierten Plätzen Platz genommen haben.
Erfreulicherweise steigen die Fahrgastzahlen wieder deutlich an. Bei der DB Fernverkehr wurden im Monat November des Jahres 2022 11,6 Millionen Personen befördert. Damit bewegen sich die Fahrgastzahlen nur leicht unter dem Niveau vom November des Vor-Corona-Jahres 2019 mit 12,7 Millionen beförderten Personen. Dies hat mir die DB auf meine Anfrage mitgeteilt. Über Weihnachten gab es bereits einen Fahrgast-Rekord. Dies bedeutet: Die Züge werden wieder voller, immer häufiger kommt es zu übervollen Zügen. Daher ist es gut, dass die DB neue Züge bestellt hat und sich diese bereits in Auslieferung befinden. Wichtig ist, dass die DB durch erhöhte Werkstattkapazitäten für eine hohe Verfügbarkeit der Fahrzeuge sorgt und zusätzliche Fahrten anbietet. Vielfach ist dafür aber der Ausbau der Infrastruktur erforderlich (siehe unten).
Mein Fazit: Ich fahre gerne Bahn, trotz aller Mängel, die gerade im ablaufenden Jahr die Freude zu oft stark getrübt haben. Für mich ist wichtig, dass ich Reisezeiten sinnvoll nutzen kann, insbesondere zum Arbeiten. Daneben möchte ich auch klimaverträglich reisen. Das ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln möglich. Gerade die Bahn ist ein umweltfreundliches, zudem serviceorientiertes Verkehrsmittel, das im Grundsatz alle Voraussetzungen dafür mitbringt, auch sehr verlässlich zu sein. Verspätungen haben in 2022 jedoch leider ein schier unerträgliches Ausmaß erreicht. Jahrzehntelange Vernachlässigungen von Bahnstrecken und Bahnhöfen sowie einseitige Investitionen in die Straße haben das System Schiene erheblich geschwächt. Die in den letzten Jahren erhöhten Investitionen sorgen für Baustellen – und diese wiederum für erhebliche Beeinträchtigungen. Nun kommt es darauf an, Investitionen in ein leistungsfähigeres Netz inklusive Bahnknoten verlässlich hochzufahren. Baustellen müssen besser koordiniert werden, um Beeinträchtigungen trotz höherer Investitionen zu minimieren. Hier stehen Politik und die Bahnbranche gemeinsam in der Verantwortung.
Politische Handlungsbedarfe – Was die „Ampel“ bisher gemacht hat – Was zu tun ist
Die Koalitionsparteien haben in ihrem Koalitionsvertrag die erste Priorität für die Stärkung der Bahn vereinbart: Während bei der Straße der Vorrang auf die Sanierung gelegt wird, ist bei der Schiene neben der Sanierung und Modernisierung auch der Ausbau des Bahnnetzes vorgesehen. Bahnprojekte sollen beschleunigt umgesetzt werden. Dazu wurde eine „Beschleunigungskommission Schiene“ eingesetzt, der ich angehörte. Kurz vor Weihnachten wurden die Ergebnisse vorgestellt.
Die Koalition hat die Mittel für den Neu- und Ausbau deutlich von 1,6 auf 2,1 Milliarden Euro erhöht.
Neben den größeren Infrastruktur-Maßnahmen setzt die „Ampel“ auch auf relativ schnell umsetzbare kleine Maßnahmen. Dazu gehört vor allem der Einbau von zusätzlichen Weichen und Signalen. Die Haushaltsmittel hierfür wurden für den Haushalt 2023 erheblich erhöht.
Es laufen die Vorbereitungen für die gemeinwohlorientierte Ausrichtung der Infrastruktursparten der Deutschen Bahn. Ziel ist, dass zum Jahr 2024 die Infrastruktursparten „DB Netz“, „DB Station & Service“ sowie der Infrastrukturteil von „DB Energie“ zur „DB Infrastrukturgesellschaft“ zusammen gelegt werden. Die Infrastruktur soll nicht mehr als Aktiengesellschaft firmieren und keine Gewinne mehr erwirtschaften müssen.