Meine Bahn-Erlebnisse 2023

Seit 10 Jah­ren beschrei­be ich jede mei­ner Fern­ver­kehrs­fahr­ten mit der Deut­schen Bahn. Zum Jah­res­en­de neh­me ich eine Aus­wer­tung vor, über die dann meist auch eine Tages­zei­tung berich­tet.[1]

Zur Aus­wer­tung mei­nes Bahn­ta­ge­bu­ches

Die Anzahl mei­ner Fahr­ten mit dem DB-Fern­ver­kehr und des­sen Koope­ra­ti­ons­part­nern sank in den bei­den Pan­de­mie­jah­ren 2020 und 2021 deut­lich auf rund 80 und nahm in 2022 und 2023 wie­der auf über 100 Fahr­ten zu (2023: 106 Fahr­ten). Der Anteil pünkt­li­cher Züge ist mit 59 Pro­zent zu mei­ner eige­nen Über­ra­schung gegen­über dem Vor­jahr gestie­gen. Im Ver­gleich zu den meis­ten Jah­ren zuvor ist der Wert aber mise­ra­bel (2016, 2020 und 2021: 70–80 Pro­zent). Mein Maß­stab für Pünkt­lich­keit ist dabei mit maxi­mal 4:59 Minu­ten Ver­spä­tung um eine Minu­te stren­ger als der bei der Deut­schen Bahn. Nach der DB-Sta­tis­tik wer­den im Jahr 2023 (bis ein­schließ­lich Novem­ber) 64 Pro­zent (2022 im glei­chen Zeit­raum: 65,6 Pro­zent) der Fern­zü­ge pünkt­lich (oder unter sechs Minu­ten ver­spä­tet) gewe­sen sein. Die durch­schnitt­li­che Ver­spä­tung der unpünkt­li­chen Züge lag bei mei­nen Fahr­ten bei einem hohen Wert von 27 Minu­ten (Vor­jahr: 29 Minu­ten; zuvor zwi­schen 16 und 33 Minu­ten). Es konn­ten mit 95 Pro­zent – über­ra­schend – die aller­meis­ten Anschluss­zü­ge erreicht wer­den. Aller­dings ver­su­che ich stets, mög­lichst durch­ge­hen­de Ver­bin­dun­gen zu wäh­len. Daher floss nur eine rela­tiv gerin­ge Anzahl von Umstei­ge­ver­bin­dun­gen in mei­ne Sta­tis­tik ein. Der hohe Anteil erreich­ter Anschlüs­se lag auch dar­an, dass die Anschluss­zü­ge ähn­lich häu­fig ver­spä­tet waren wie die ers­ten Züge.

Die Fra­gen der Pünkt­lich­keit und noch mehr die der Anschlüs­se dürf­ten aus Fahr­gast­sicht die mit gro­ßem Abstand gra­vie­rends­ten Pro­ble­me der Bahn sein und beein­träch­ti­gen nach wie vor und lei­der deut­lich zuneh­mend das Image der Bahn. Aller­dings sind Anga­ben zur „fahr­gast­be­zo­ge­nen Pünkt­lich­keit“[2] aus­sa­ge­kräf­ti­ger als die blo­ße Rela­ti­on zwi­schen pünkt­li­chen und unpünkt­li­chen Zügen. Schließ­lich ist nicht jeder Zug gleich aus­ge­las­tet und auch ver­pass­te Anschlüs­se wir­ken sich unter­schied­lich aus – je nach­dem, wann der nächs­te Zug kommt. Mit der fahr­gast­be­zo­ge­nen Pünkt­lich­keit wird betrach­tet, wie vie­le Fahr­gäs­te pünkt­lich oder unpünkt­lich ihr Ziel mit der Bahn errei­chen.

Eine grund­sätz­li­che Stär­ke der Bahn liegt im Poten­ti­al für Ser­vice. In kei­nem ande­ren Ver­kehrs­mit­tel kann wäh­rend der Fahrt die Zeit so viel­fäl­tig bei­spiels­wei­se fürs Arbei­ten, Essen oder Enter­tain­ment genutzt wer­den wie im Zug. Dies ist ein Haupt­grund dafür, dass ich so ger­ne mit der Bahn fah­re: Ich kann die Rei­se­zeit sinn­voll nut­zen.

In der Rea­li­tät spielt die Bahn ihre Stär­ken lei­der all­zu oft nicht oder nur ein­ge­schränkt aus. Ein Bei­spiel dafür ist die Gas­tro­no­mie, die lei­der sehr oft nicht oder nur ein­ge­schränkt zur Ver­fü­gung stand. Bei mei­ner letz­ten Fahrt vor Weih­nach­ten muss­te ich dies wie­der erle­ben: Die Fahrt begann um 7 Uhr und ich bestieg den Zug in der Absicht, dort zu früh­stü­cken. Die Gas­tro­no­mie war aber die gesam­te Fahr­zeit von über fünf Stun­den geschlos­sen. Bei 81 Pro­zent mei­ner Fahr­ten stand die Gas­tro­no­mie mit den von mir gewünsch­ten Ange­bo­ten zur Ver­fü­gung. Als Grün­de für die häu­fi­gen Ein­schrän­kun­gen oder Aus­fäl­le der Gas­tro­no­mie wer­den Stö­run­gen bei der Küh­lung, wodurch Groß­tei­le der Lebens­mit­tel nicht mehr ver­kauft wer­den dür­fen, aus­ver­kauf­te Ange­bo­te oder feh­len­des Per­so­nal genannt. In jüngs­ter Zeit lagen Ein­schrän­kun­gen nach mei­ner Wahr­neh­mung vor allem am Per­so­nal­man­gel. Was auch immer die Grün­de sind: Wer stun­den­lang im Zug unter­wegs ist, muss sich auf die Ver­sor­gung mit Spei­sen und Geträn­ken ver­las­sen kön­nen.

WLAN in den ICE-Zügen habe ich über Jah­re hin­weg als so unzu­ver­läs­sig erlebt, dass ich dies seit eini­gen Jah­ren über­haupt nicht mehr nut­ze und aktu­ell daher nicht beur­tei­len kann. Über den Hot­spot mei­nes Smart­phones kann ich sehr zuver­läs­sig am Lap­top online arbei­ten.

Ärger­lich bleibt, dass das Reser­vie­rungs­sys­tem nur bei rund 75 Pro­zent der Fahr­ten funk­tio­nier­te – ein Tiefst­wert in mei­ner per­sön­li­chen Sta­tis­tik. Dies kann zur Fol­ge haben, dass sich Rei­sen­de ohne Reser­vie­rung immer wie­der umset­zen müs­sen, da sie nicht wis­sen, dass sie auf reser­vier­ten Plät­zen Platz genom­men haben.

Erfreu­li­cher­wei­se stei­gen die Fahr­gast­zah­len wie­der deut­lich an. Bei der DB Fern­ver­kehr wur­den im Monat Novem­ber des Jah­res 2023 11,13 Mil­lio­nen Per­so­nen beför­dert. Damit bewe­gen sich die Fahr­gast­zah­len nur leicht unter dem Niveau vom Novem­ber des Vor-Coro­na-Jah­res 2019 mit 12,7 Mil­lio­nen beför­der­ten Per­so­nen. Dies bedeu­tet: Die Züge wer­den wie­der vol­ler, immer häu­fi­ger kommt es zu über­vol­len Zügen. Daher ist es gut, dass die DB neue Züge bestellt hat und sich die­se bereits in Aus­lie­fe­rung befin­den. Wich­tig ist, dass die DB durch erhöh­te Werk­statt­ka­pa­zi­tä­ten für eine hohe Ver­füg­bar­keit der Fahr­zeu­ge sorgt und zusätz­li­che Fahr­ten anbie­tet. Viel­fach ist dafür aber der Aus­bau der Infra­struk­tur erfor­der­lich (sie­he unten).

Mein Fazit/O‑Ton: „Dass ich die Bahn ger­ne nut­ze hat meh­re­re Grün­de. Lei­der gibt es auch Grün­de, die jedem Fahr­gast die Freu­de zu oft rau­ben. Die Zeit wäh­rend der Rei­se indi­vi­du­ell sinn­voll nut­zen zu kön­nen ist die gro­ße Stär­ke des Sys­tems. Ich arbei­te im Zug über­wie­gend. Ein wei­te­rer Plus­punkt ist die Umwelt- und Kli­ma­ver­träg­lich­keit von Bahn­rei­sen im Ver­gleich zum Auto und vor allem dem Flug­zeug. Seit Jah­ren lei­det jedoch die Zuver­läs­sig­keit der Bahn. Es gibt zu vie­le Ver­spä­tun­gen und kurz­fris­ti­ge Fahr­plan­än­de­run­gen. Da die Bahn eige­ne Fahr­we­ge nutzt, müss­te hier die Stär­ke lie­gen. Eine maro­de Infra­struk­tur und das mise­ra­ble Bau­stel­len­ma­nage­ment der Deut­schen Bahn füh­ren jedoch lei­der für viel Ärger unter den Bahn­rei­sen­den und zu einem hohen Image­scha­den für die Bahn.

Wei­te­rer O‑Ton:

„Es ist der Ampel­ko­ali­ti­on gelun­gen, eine Wen­de bei der Ver­kehrs­in­fra­struk­tur ein­zu­lei­ten. Ab 2024 wird der Schie­ne erheb­lich mehr Geld als der Stra­ße zur Ver­fü­gung gestellt. Damit wird ein Ver­spre­chen aus dem Koali­ti­ons­ver­trag ein­ge­löst. Zudem hat der Bun­des­tag ein Gesetz für den beschleu­nig­ten Aus­bau der Schie­nen­we­ge beschlos­sen. Nun ist es vor allem an der Deut­schen Bahn, die­sen star­ken Mit­tel­auf­wuchs sinn­voll geplant in einen bes­se­ren Zustand und eine höhe­re Kapa­zi­tät der Schie­ne zu inves­tie­ren. Um den bes­se­ren Mit­tel­ab­fluss zu erleich­tern, hat die Koali­ti­on noch eini­ge Haus­auf­ga­ben zu erle­di­gen. Ins­be­son­de­re für Bahn­hö­fe, klei­ne und mitt­le­re Maß­nah­men wie die Ver­kür­zung von Block­ab­stän­den sowie die Elek­tri­fi­zie­rung lie­gen kon­kre­te Vor­schlä­ge auf dem Tisch. Ich erwar­te, dass end­lich Bewe­gung in die Erleich­te­rung die­ser erfor­der­li­chen Inves­ti­tio­nen kommt.“

Poli­ti­sche Hand­lungs­be­dar­fe – Was die „Ampel“ bis­her gemacht hat – Was zu tun ist

Die Koali­ti­ons­par­tei­en haben bereits wich­ti­ge Ent­schei­dun­gen getrof­fen:

Mit der Erhö­hung und Aus­wei­tung der Lkw-Maut flie­ßen erst­mals seit vie­len Jah­ren wie­der Ein­nah­men aus die­ser Quel­le in die Schie­ne. 40 Pro­zent der Gesamt­ein­nah­men (bis­her null Pro­zent) wer­den der Schie­ne zur Ver­fü­gung gestellt.

Mit dem Geneh­mi­gungs­be­schleu­ni­gungs­ge­setz wur­den alle Schie­nen­pro­jek­te zum „über­ra­gen­den öffent­li­chen Inter­es­se“ erklärt. Zudem wur­den zusätz­li­che Aus­bau­pro­jek­te in den Bedarfs­plan des Bun­des auf­ge­nom­men.

Zum Janu­ar 2024 star­tet mit „Infra­Go“ eine ver­än­der­te Orga­ni­sa­ti­on der Infra­struk­tur inner­halb der Deut­schen Bahn. Mit der ers­ten Struk­tur­re­form bei der DB seit 30 Jah­ren (!) wer­den die bei­den Unter­neh­men „Netz“ und „Sta­ti­on & Ser­vice“ zusam­men­ge­legt, am Gemein­wohl aus­ge­rich­tet und anhand von neu­en Zie­len (Infra­struk­tur­zu­stand, Kapa­zi­tät, Ver­la­ge­rung von Ver­keh­ren auf die Schie­ne) gesteu­ert. Die­ser Schritt ist aus unse­rer Sicht rich­tig, muss im kom­men­den Jahr aber durch einen zwei­ten Reform­schritt ergänzt wer­den.

Mit den Kor­ri­dor­sa­nie­run­gen wer­den die höchst belas­te­ten Stre­cken bis zum Jahr 2030 nach und nach in einen guten Zustand ver­setzt. Zudem wer­den kapa­zi­täts­er­hö­hen­de Maß­nah­men wie die Ver­kür­zung von Block­ab­stän­den umge­setzt.

Mit der Über­ar­bei­tung des Bun­des­schie­nen­we­ge­aus­bau­ge­set­zes soll die Finan­zie­rung ver­ein­facht wer­den. So geht es bei­spiels­wei­se dar­um, die Sanie­rung von Bahn­hö­fen schnel­ler umzu­set­zen und bei klei­nen und mitt­le­ren Maß­nah­men (Wei­chen, Signa­le, Über­hol­glei­se) sowie bei der Elek­tri­fi­zie­rung von Stre­cken durch Verzicht/Vereinfachung beim auf­wän­di­gen Nut­zen-Kos­ten-Ver­gleich zügi­ger vor­an­zu­kom­men. Lei­der gibt es hier Beden­ken sei­tens der Haus­halts­leu­te ins­be­son­de­re aus den bei­den ande­ren Koali­ti­ons­frak­tio­nen. Die Ver­hand­lun­gen sind bedau­er­li­cher­wei­se stark fest­ge­fah­ren, obwohl es drin­gend eine Lösung braucht. Mehr Geld zur Ver­fü­gung zu stel­len wird allei­ne nicht aus­rei­chen, wenn die finanz­tech­ni­sche Umset­zung der unstrit­tig erfor­der­li­chen Maß­nah­men die Rea­li­sie­rung erschwert und ver­zö­gert.

[1] Dies­mal waren dies die Medi­en der Fun­ke-Medi­en­grup­pe. Sie­he https://www.morgenpost.de/wirtschaft/article240901384/Politiker-fuehrt-Tagebuch-So-chaotisch-war-mein-Bahn-Jahr.html

[2] Die Wer­te der „Rei­sen­den­pünkt­lich­keit“ wer­den von der DB Fern­ver­kehr erst nach Jah­res­ab­lauf ver­öf­fent­licht. Auf eine Anfra­ge von mir wur­den die Wer­te bis ein­schließ­lich Novem­ber 2023 vor­zei­tig bekannt. Dem­nach haben knapp 70 Pro­zent der Rei­sen­den ihre Zie­le pünkt­lich oder mit maxi­mal 15 Minu­ten Ver­spä­tung erreicht. In frü­he­ren Jah­ren lag die­ser Wert bei über 80 Pro­zent.