Nach Urteil des Verfassungsgerichts steht Suizidhilfe vor Neuregelung

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06.05.2021

Gespräch: Worum es geht und was daraus folgt

Sui­zid ist ein schwie­ri­ges The­ma für alle: Für die­je­ni­gen, die mit Selbst­mord­ge­dan­ken spie­len und für die­je­ni­gen, die einen Ange­hö­ri­gen ver­lo­ren haben. Da das The­ma mit recht­li­chen Fra­gen ver­bun­den ist, gibt es auch eine poli­ti­sche Dimen­si­on.

Vor eini­gen Jah­ren hat­te der Bun­des­tag über den straf­recht­li­chen Umgang mit dem „assis­tier­ten Sui­zid“ zu ent­schei­den. Im Febru­ar 2020 hat­te das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt in einem Urteil die dama­li­ge Ent­schei­dung kri­ti­siert und fest­ge­stellt, dass die Straf­lo­sig­keit der Selbst­tö­tung und der Hil­fe dazu nicht zur frei­en Dis­po­si­ti­on des Gesetz­ge­bers steht. Es gebe ein „Recht auf selbst­be­stimm­tes Ster­ben“. Es geht im Kon­kre­ten nicht um den Sui­zid an sich – hier bestand auch schon zuvor Einig­keit, dass die­ser straf­frei sein muss – son­dern um die Hil­fe hier­für. Der Gesetz­ge­ber hat­te Wert dar­auf gelegt, dass es kei­ne geschäfts­mä­ßi­ge, also wie­der­keh­ren­de Hil­fe geben darf. Dazu hat das höchs­te Gericht geur­teilt, dass das straf­be­wehr­te Ver­bot der geschäfts­mä­ßi­gen För­de­rung der Selbst­tö­tung nich­tig sei, da es kei­ne ande­ren Wege des Zugangs zu frei­wil­lig bereit­ge­stell­ten Sui­zid­hil­fen gebe.

Damit ist jedoch nicht die akti­ve Ster­be­hil­fe gemeint, die wei­ter­hin ver­bo­ten bleibt. Die „Tötung auf Ver­lan­gen“ bleibt straf­bar. Es geht aus­schließ­lich um die Hil­fe, indem bei­spiels­wei­se eine den Tod brin­gen­de Tablet­te bereit­ge­stellt wird. Im Gegen­satz zur akti­ven Ster­be­hil­fe darf die­se aber nicht ver­ab­reicht, son­dern dem Ster­be­wil­li­gen ledig­lich zur Ver­fü­gung gestellt wer­den. Nach­dem nun klar ist, dass die Sui­zid­hil­fe ab sofort wei­ter gefasst wird als bis­her, bleibt der Poli­tik die kon­kre­te Aus­ge­stal­tung. Die zu klä­ren­den Fra­gen lau­ten bei­spiels­wei­se: Gel­ten höhe­re Hür­den für die­je­ni­gen, die unter kei­ner schwe­ren, unheil­ba­ren Krank­heit leden? In wel­cher Form muss auf­ge­klärt wer­den? Muss der Wil­le zum Ster­ben mehr­fach in bestimm­ten zeit­li­chen Abstän­den geäu­ßert und doku­men­tiert wer­den? Wel­che Wege zum Sui­zid dür­fen unter­stützt wer­den bzw. wel­che Zugän­ge zu bestimm­ten Betäu­bungs­mit­teln sind gestat­tet?

Das Ver­fas­sungs­ge­richts­ur­teil lös­te sehr unter­schied­li­che Reak­tio­nen aus. So sag­te bei­spiels­wei­se ein Stutt­gar­ter Arzt, der in Karls­ru­he die Ver­fas­sungs­be­schwer­de ein­ge­legt hat­te: „Mehr Pati­en­ten wer­den die­se Opti­on für sich anspre­chen. Mehr im Sin­ne eines Plan B, der die Sicher­heit gibt, dass es eine ande­re Mög­lich­keit gibt, wenn es ganz schlimm wird. Es ver­bes­sert die Lebens­qua­li­tät, wenn der Mensch weiß, dass er nicht alles ertra­gen muss.“ Die Lan­des­ärz­te­kam­mer Baden-Würt­tem­berg ver­wies dar­auf, dass die Sui­zid-Assis­tenz kei­ne ärzt­li­che Auf­ga­be sei.

Auch die Medi­en haben das Urteil unter­schied­lich auf­ge­nom­men. Hier eine klei­ne Über­sicht:

„Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat ein unbe­ding­tes Recht auf selbst­be­stimm­tes Ster­ben for­mu­liert, das jedem Indi­vi­du­um einen ech­ten Anspruch ein­räumt, dem eige­nen Leben ein Ende zu set­zen. Es ist ein Recht, das kei­nes­wegs auf tod­kran­ke oder vom Schmerz gequäl­te Pati­en­ten beschränkt ist. Das uner­hör­te Dik­tum aus Karls­ru­he reicht sehr viel wei­ter. Das Selbst­be­stim­mungs­recht, sein Leben zu been­den, besteht in jeder Pha­se mensch­li­cher Exis­tenz.“ (Süd­deut­sche Zei­tung am 27.02.2020)

„Die zen­tra­le Maß­ga­be aus Karls­ru­he lau­tet, dass es mög­lich sein muss, sich dafür Hil­fe zu holen – pro­fes­sio­nel­le, auch medi­zi­ni­sche. Das Urteil durch­kreuzt die Absicht des Gesetz­ge­bers, gera­de sol­che Rou­ti­nen zu ver­hin­dern. (..) Alle Ein­wän­de ändern nichts an der Tat­sa­che, dass eine frei­heit­li­che Ver­fas­sung, die den Men­schen und sei­ne Wür­de in den Mit­tel­punkt stellt, kei­ne ande­re Aus­sa­ge übe ein sol­ches Letzt­ent­schei­dungs­recht tref­fen konn­te als die­ses.“ (Tages­spie­gel am 27.02.2020)

„Ange­sichts eines der­art ver­ab­so­lu­tier­ten Ver­ständ­nis­ses indi­vi­du­el­ler Frei­heits­rech­te könn­te selbst die Straf­bar­keit des Todes auf Ver­lan­gen ver­fas­sungs­wid­rig sein. (…) Alles in allem ist das Urteil aus Karls­ru­he nicht der Anfang vom Ende eines Ver­ständ­nis­ses von Lebens­schutz. (…) Es ist das Ende.“ (FAZ vom 27.02.2020)

Vor der Befas­sung im Bun­des­tag im Jahr 2015 hat­te ich mich umfas­send ins The­ma ein­ge­ar­bei­tet und meh­re­re Ver­an­stal­tun­gen durch­ge­führt: https://www.matthias-gastel.de/meinungsbildung-assistierter-suizid/

Und hier der Link zu mei­ner (zu Pro­to­koll gege­be­nen) Rede: https://www.matthias-gastel.de/rede-zum-gesetzgebungsverfahren-ueber-den-assistierten-suizid/

Nun sprach ich in einer öffent­li­chen Ver­an­stal­tung mit Fach­leu­ten über die Aus­gangs­la­ge, die ethi­schen Grund­la­gen und mög­li­che Rich­tun­gen einer Neu­re­ge­lung.

Die Ver­an­stal­tung star­te­te mit einem Impuls von Dr. Diet­mar Merz, Stu­di­en­lei­ter an der Evan­ge­li­schen Aka­de­mie Bad Boll, Arbeits­schwer­punkt Medi­zin­ethik und Gesund­heits­po­li­tik. Er führ­te ein mit Fer­di­nand von Schirachs Kam­mer­spiel „Gott“, das in der ARD gezeigt wor­den war und die Zuschauer*innen ein­ge­bun­den hat­te. Es ging dabei um einen 78-Jäh­ri­gen, der nach dem Tod sei­ner Frau sei­nes Lebens über­drüs­sig war und assis­tiert aus dem Leben schei­den woll­te. Mehr als 70 Pro­zent des Publi­kums woll­ten ihm dies ermög­li­chen. Dafür fän­de er im wah­ren Leben jedoch nicht ein­mal in der Schweiz mit ihren Ster­be­hil­fe­ver­ei­nen Unter­stüt­zung. Die Rege­lun­gen in der Schweiz sehen die­ses Recht aus­schließ­lich für unheil­bar erkrank­te Men­schen vor. Eine sol­che Beschrän­kung sieht das Urteil des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts hin­ge­gen nicht vor. Dr. Merz befürch­tet nun eine Ent­wick­lung, in der Men­schen unter Druck gera­ten könn­ten und der assis­tier­te Sui­zid nicht mehr ein Grenz‑, son­dern ein Nor­mal­fall wer­den könn­te. Laten­ter Druck auf vul­nerable Per­so­nen, deren Ster­be­wün­sche ambi­va­lent sei­en, könn­te die Aus­wir­kung einer Öff­nung des assis­tier­ten Sui­zids sein. Er sprach sich für eine Stär­kung der Prä­ven­ti­ons­ar­beit und der Psych­ia­trien aus.

Dem Input zum Ein­stieg ins The­ma schloss sich ein Gespräch zwi­schen Wolf­gang Putz und Rena­te Kün­ast an. Wolf­gang Putz ist Rechts­an­walt der Kanz­lei für Medi­zin­recht  Putz-Ses­sel-Stel­din­ger in Mün­chen und Lehr­be­auf­trag­ter für Recht und Ethik der Medi­zin an der LMU Mün­chen. Er war anwalt­li­cher Ver­tre­ter der erfolg­rei­chen Ver­fas­sungs­be­schwer­de gegen die gel­ten­den Rege­lun­gen. Beschwer­de­füh­rer waren unter ande­rem schwer kran­ke Pati­en­ten, denen von Ster­be­hil­fe­ver­ei­nen auf Grund­la­ge des gel­ten­den Rechts bei der Umset­zung ihres letz­ten Wil­lens nicht gehol­fen wer­den durf­te. Zen­tra­ler Bestand­teil des Urteils, so Putz, ist der Schutz der auto­no­men Ent­schei­dung über die Been­di­gung des Lebens. Rena­te Kün­ast ist Mit­glied des Deut­schen Bun­des­tags, mei­ne Frak­ti­ons­kol­le­gin, und initi­ier­te mit ande­ren MdB einen Gesetz­ent­wurf “zum Schutz des Rechts auf selbst­be­stimm­tes Ster­ben”.

Recht­an­walt Putz erklär­te unter ande­rem, wes­halb über­haupt ein Gesetz zur Rege­lung des assis­tier­ten Sui­zids not­wen­dig sei. Er ver­trat die Ein­schät­zung, dass bei unkla­rer Rechts­la­ge kei­ne Hil­fe bzw. Assis­tenz geleis­tet wer­den wür­de. Dabei plä­dier­te er für eine kla­re Unter­schei­dung zwi­schen unheil­bar Kran­ken und ande­ren Per­so­nen, die aus dem Leben schei­den wol­len. Genau eine sol­che Dif­fe­ren­zie­rung sei schwer, so Rena­te Kün­ast. Sie ant­wor­te­te auf eine Fra­ge von mir und aus dem Publi­kum, wie es denn gesche­hen konn­te, dass der Bun­des­tag ein ver­fas­sungs­wid­ri­ges Gesetz ver­ab­schie­den konn­te. Sie mei­ne dazu, zu vie­le Abge­ord­ne­te hät­ten sich nicht aus­rei­chend mit der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung aus­ein­an­der gesetzt gehabt und sich zu stark von eige­nen ethi­schen Vor­stel­lun­gen lei­ten las­sen. Sie begrün­de­te auch, was sie dazu brach­te, mit einem Gesetz­ent­wurf aktiv gewor­den zu sein: Seit Jah­ren fah­ren Ster­be­wil­li­ge oder deren Ange­hö­ri­ge auf der Suche nach Unter­stüt­zung in ande­re Län­der wie die Schweiz. Ande­re wäh­len einen Weg, um aus dem Leben zu schei­den, der ande­re belas­tet – bei­spiels­wei­se Lok­füh­rer, die Ster­be­wil­li­ge unfrei­wil­lig über­fah­ren haben. Die Poli­tik kön­ne dies nicht igno­rie­ren.

Gesetz­ent­wurf von Rena­te Kün­ast & Co.

Es han­delt sich um einen von inzwi­schen zwei Gesetz­ent­wür­fen aus der Mit­te des Par­la­ments. Er stellt zunächst ein­mal klar, dass er Ster­be­wil­li­gen einen siche­ren Zugang zu Betäu­bungs­mit­teln eröff­net, aber nie­man­den ver­pflich­tet, bei einer Selbst­tö­tung zu hel­fen. Die vom Gesetz­ent­wurf umfass­ten Ster­be­wil­li­gen sind Voll­jäh­ri­ge, die von einem fes­ten Wil­len getra­gen sind und die vol­le Ein­sichts­fä­hig­keit ver­fü­gen. Die­se müs­sen ihren Wil­len zwei von­ein­an­der unab­hän­gi­gen Ärzt*innen im zeit­li­chen Abstand von min­des­tens zwei Wochen schil­dern. Außer­dem müs­sen zwei Bera­tun­gen erfolgt sein. Geschäfts­mä­ßi­ge Hil­fe­an­bie­ter dür­fen nicht gewerb­lich und nicht zu Erwerbs­zwe­cken auf­tre­ten. Für deren Lei­tun­gen darf nicht gewor­ben (wohl aber dar­über infor­miert) wer­den. In der Begrün­dung wird unter ande­rem aus­ge­führt, dass ein wie in die­sem Gesetz­ent­wurf gere­gel­tes Ver­fah­ren zu einer Redu­zie­rung von Sui­zi­den füh­ren kön­ne, da es den Betrof­fe­nen zwin­ge, sich über Bera­tungs­an­ge­bo­te mit dem eig­nen Sui­zid­wunsch aus­ein­an­der zu set­zen.

Wie es wei­ter geht

Nach­dem bis zur Som­mer­pau­se und damit fak­tisch in die­ser Legis­la­tur­pe­ri­ode nur noch drei Sit­zungs­wo­chen anste­hen, ist in die­sem Jahr kei­ne Ent­schei­dung mehr zu erwar­ten.