Dieses Bild entstand bei der Abfahrt des letzten Nachtzuges von Berlin nach Paris Ende 2014.
17.12.2015
Die Deutsche Bahn AG lässt die lange Tradition des bei Fahrgästen unverändert beliebten Nachtzuges sterben. Was sich vor Wochen und Tagen ankündigte, wurde nun bestätigt: Ende 2016 rollt letztmalig der klassische Nachtzug im Auftrag der DB.
Ich dokumentiere unten die Begründung des Bahnkonzerns. Hier eine Zusammenfassung und Bewertung: Lt. DB wird der Nachtzug im Jahr 2015 einen Verlust von 32 Millionen Euro einfahren. Und das, obwohl die verlustträchtigsten Nachtzüge bereits im Jahr 2014 eingestellt wurden. Die Nachfrage befinde sich auf niedrigem Niveau (das hatte die DB zuletzt anders dargestellt!), wenngleich die Tendenz leicht nach oben gehe. Zudem sei das Wagenmaterial nach 40 Jahren veraltet und reparaturanfällig. Eine in 2015 näher geplante Erneuerung und Modernisierung der Innenausstattung sei wegen der Kosten und der beschränkten Lebensdauer der Züge verworfen worden. Dies alles geschehe auch vor dem Hintergrund des Wettbewerbs durch das zunehmende Angebot an Nachtbuslinien, attraktiven Budget-Hotels und innerdeutschen Billigfliegern.
Vorgesehen sei, die Anzahl der nächtlich verkehrenden ICE ebenso zu erhöhen wie die der IC-Busse. Außerdem würden Gespräche mit der Österreichischen Bundesbahn (ÖBB) geführt. Die ÖBB hat heute gegenüber der Österreichischen Presseagentur APA bestätigt, dass diese mit der DB Fernverkehr in Verhandlungen über die Übernahme der DB-Nachtzüge stehe. Spannend in diesem Zusammenhang ist, dass der österreichische Verkehrsminister verkündet hat, der österreichische Staat würde womöglich in die Finanzierung der Nachtzüge einsteigen. Die ÖBB will also den Verkehr in Deutschland betreiben, den die Deutsche Bahn nicht mehr interessant findet? Dies wirft einige Fragen auf, die in der deutschen Bahnpolitik zu diskutieren sein werden: Wie geht es weiter mit der Trennung zwischen dem aus Regionalisierungsmitteln finanzierten SPNV und dem eigenwirtschaftlichen Fernverkehr? Ist die Trennung von SPNV und SPFV in Deutschland so sinnvoll? Braucht es ein Fernverkehrssicherstellungsgesetz, wie es die Bundesländer fordern? Wie auch immer: Dass sich die Deutsche Bahn aus dem traditionellen und doch immer noch zeitgemäßen klassischen Nachtzugverkehr zurückzieht zeigt die ganze Fantasielosigkeit dieses Konzerns. Damit überlässt der Bahnkonzern ein weiteres Marktsegment anderen Akteuren, unter anderem den Fernbusanbietern.
Hier dokumentiere ich auszugsweise ein Antwortschreiben der DB an mich auf einen Brief, in dem ich mich einmal mehr für den Fortbestand der Nachtzüge eingesetzt und nach den aktuellen Plänen erkundigt hatte:
„Im Rahmen des derzeit laufenden Konzernumbaus und der damit verbundenen Restrukturierungen wurde in den letzten Monaten bewertet, wie das Nachtzuggeschäft der DB zukunftsfähig betrieben werden kann. Grund hierfür ist das trotz Sanierungsbemühungen anhaltend hohe Defizit der Nachtzugsparte mit stark negativer Prognose auch für die kommenden Jahre. Um den Kundenbedürfnissen und den wirtschaftlichen Anforderungen zu entsprechen, wurde dem Konzernaufsichtsrat am 16. Dezember 2015 ein Konzept zur Überführung der klassischen Nachtzugverkehre in ein neues Nachtreise-Angebot vorgelegt. Eine Weiterführung des klassischen Nachtzugs auf der Schiene durch die DB ist nicht vorgesehen.
Im Rahmen dieses neuen Nachtreisekonzeptes ist geplant, die Anzahl an Nacht-ICE zu erhöhen. In den nachfragestarken Sommermonaten soll dieses Grundangebot an Nacht-ICE zudem um zusätzliche ICE-Züge ergänzt werden. Derzeit laufen die betrieblichen Prüfungen dieses Konzeptes. Auf grenzüberschreitenden Verbindungen in das europäische Ausland soll das Angebot an Nacht-ICE zudem durch IC Busse der DB ergänzt werden. Die DB unterstützt zudem die Fortführung von klassischen Nachtzugverkehren auf weiteren Verbindungen in und aus Deutschland. Hierzu werden derzeit unter anderem Gespräche mit der ÖBB geführt. Die DB beabsichtigt, die Umstellung der Nachtzugverkehre Ende 2016 vorzunehmen.
Zu Vertiefung und Beantwortung möglicher Fragen vorab, haben wir zudem ein paar FAQs zusammengestellt:
Warum wird der klassische Nachtzug nicht weitergeführt?
- Das Nachtzuggeschäft ist ein Nischengeschäft. Die ca. 1,3 Mio. Reisenden pro Jahr repräsentieren nur ca. 1% der Gesamtzahl der Reisenden im Tageslinienverkehr.
- Die Verkehre erwirtschaften seit Jahren Verluste in zweistelliger Millionenhöhe, den hohen Betriebskosten stehen geringe, stagnierende Einnahmen gegenüber.
- In der Vergangenheit gab es bereits eine Vielzahl an Sanierungsbemühungen, um das Nachtzuggeschäft zu retten: Trotz dieser Bemühungen wird das Nachtzuggeschäft im Jahr 2015 bei einem voraussichtlichen Ertrag von rund 90 Mio. Euro insgesamt einen Verlust von ca. 32 Mio. Euro erwirtschaften.
- Der größte Teil der Nachtzugflotte ist mit deutlich über 40 Jahren überaltert. Die letzten größeren Investitionen in die Liegewagen fanden vor ca. 15 Jahren statt.
- Die nötigen Investitionen in das Rollmaterial lassen sich nach wie vor allein aus dem Nachtzuggeschäft heraus nicht erwirtschaften. Auch für die Tagesverbindungen sind in den nächsten Jahren erhebliche Investitionen in das Zugmaterial erforderlich. Angesichts des engen wirtschaftlichen Spielraums hat die DB sich dazu entschlossen, zugunsten der Investitionen in ihr Kerngeschäft Tagesverkehr auf weitere Investitionen in das Nischengeschäft Nachtverkehre zu verzichten.
- Die bereits kritische Wirtschaftlichkeit des Geschäftes gerät durch diverse Faktoren im Umfeld weiter massiv unter Druck:
o Das Wettbewerbsumfeld des Nachtzugs verschärft sich durch das zunehmende Aufkommen von Nachtbuslinien, attraktiven Budget-Hotels und auch innerdeut-schen Billigflieger. Es ist zu befürchten, dass sich diese Entwicklung wie im Tagesverkehr nachhaltig auf die Zahlungsbereitschaft der Kunden auswirkt.
o Auf der Kostenseite führt das alte Wagenmaterial zu stetig steigenden Kosten in der Instandhaltung und im Betrieb.
Welche Sanierungsbemühungen wurden seitens der DB unternommen, um den klassischen Nachtreiseverkehr aufrechtzuerhalten?
- In der Vergangenheit gab es bereits eine Vielzahl an Sanierungsbemühungen, um das Nachtzuggeschäft zu retten:
- Das Angebot wurde kontinuierlich an die Veränderungen am Markt (z.B. Einstellung des Nachtzug Frankfurt (Main)–Paris nach Inbetriebnahme des Hochgeschwindigkeitsverkehrs zwischen Frankfurt und Paris im Jahr 2008) oder die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen angepasst. So wurden zuletzt im Jahr 2014 die drei defizitärsten Linien gekürzt bzw. gestrichen: Die Anbindung von Amsterdam entfiel auf der Strecke Warschau/Prag–Berlin–Köln–Düsseldorf–Oberhausen. Eingestellt wurden die Verbindungen Hamburg/Berlin/München–Paris sowie Kopenhagen–Amsterdam/Basel/Prag.
- Zur Senkung der Kosten wurde im Jahr 2013 die ehemalige DB AutoZug GmbH in die DB überführt. Auf diese Weise wurden Synergien gehoben und damit unter anderem Kosten für Overheadfunktionen reduziert.
- Die überdurchschnittlich stark von Verschleiß betroffenen und in der Instandhaltung sehr teuren Doppelstockschlafwagen wurden Ende 2014 aus dem Betrieb genommen, um den hohen Sanierungsaufwand und die überproportionalen laufenden Kosten zu reduzieren.
Welche Alternativen wurden seitens der DB zur Überführung der klassischen Nachtzüge auf Nacht-ICE geprüft?
- Aufgrund der wirtschaftlich sehr schwierigen Situation steht die DB unter Handlungsdruck, das Nachtreisegeschäft neu aufzustellen. Entsprechend wurden in den vergangenen Monaten intensiv an alternativen Szenarien für den Nachtzug gearbeitet und diese bewertet. Trotz der Vielzahl an Sanierungsbemühungen bleibt die Prognose der Wirtschaftlichkeit der Verkehre für die kommenden Jahre weiterhin stark negativ. Folgende Szenarien wurden neben der Überführung des klassischen Nachtzuges in ein alternatives Konzept geprüft:
1) Investition in den klassischen Nachtzug
- Für die überalterten Liegewagen wurde im Laufe des Jahres 2015 ein innovatives Redesignkonzept entwickelt. Der Entwicklung des neuen Liegewagens gingen umfangreiche Marktstudien sowie Expertengespräche voraus. Dabei zeigte sich, dass aufgrund des alten Wagenmaterials die Umbaukosten sehr hoch ausfallen würden. Gleichzeitig besteht nach den Erfahrungen aus den Wettbewerbseffekten im Tagesverkehr die begründete Befürchtung, dass die hohen Investitionen nicht durch steigende Umsätze im Segment der Liegewagenkunden gedeckt werden können. Hinzu kommt, dass die Höhe der Investitionen in einen Umbau in keinem Verhältnis zur begrenzten Lebensdauer der vergleichsweise alten Züge steht.
- Mit Blick auf die anhaltend schlechte Wirtschaftlichkeit der Nachtreiseverkehre, die die notwendigen hohen Investitionen nicht abdeckt, wird der Umbau der Liegewagen nicht weiterverfolgt.
- Auf explizite Nachfrage: Im Rahmen des Redesignkonzepts wurde ein 1:1‑Modell mit individuellen Schlafkabinen konzipiert, gebaut und am Kunden getestet. Dieses Konzept wurde von den Probanden sehr positiv aufgenommen. Den Umbaukosten, die im Rahmen der Studie veranschlagt wurden, steht die hohe Unsicherheit bzgl. der künftigen Zahlungsbereitschaft und Umsätze gegenüber.
2) Fortführung des Status Quo
- Die Weiterführung der Nachtzugverkehre entsprechend dem Status Quo ist keine Option. Aufgrund der heute bereits mangelnden Produktqualität ist mit einer künftig sinkenden Nachfrage und Zahlungsbereitschaft bei gleichzeitig weiter steigenden Kosten zu rechnen.
Wie hat sich die Nachfrage im Nachtzuggeschäft in den letzten Jahren entwickelt?
- Die Nachfrage für klassische Nachtzüge befindet sich auf konstant niedrigem Niveau mit leicht positiver Tendenz. Im Vergleich zum Tageslinienverkehr repräsentieren die Nachtzugkunden nur ca. 1 % der Reisenden. Dies ist nicht ausreichend, um das kostenintensive Nachtzuggeschäft wirtschaftlich zu betreiben.“