Nationaler Radverkehrskongress 2017 in Mannheim

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04.04.2017

Das Fahr­rad als Pro­blem­lö­ser

Rund 800 Gäs­te zeig­ten den gestie­ge­nen Stel­len­wert des Rad­ver­kehrs und das gro­ße Inter­es­se an Kon­zep­ten, um den Rad­ver­kehrs­an­teil wei­ter zu stei­gern.

Ist das nur bei uns in Deutsch­land ein The­ma? Bau­en nur wir hier in Deutsch­land Rad­we­ge und ent­zie­hen hin und wie­der sogar dem Auto­ver­kehr Flä­che? Nein, im Gegen­teil! Zum Auf­takt berich­te­te die Lei­te­rin des Ver­kehrs­bü­ros in Port­land (US-Staat Ore­gon) aus der ers­ten Stadt in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten, die Rad­we­ge in neu­en Stadt­ge­bie­ten vor­schrieb und bestehen­de Ver­kehrs­flä­chen zuguns­ten des Rad­ver­kehrs umwid­me­te. So wur­de ein Park­haus abge­bro­chen und die gewon­ne­ne Flä­che ande­ren Nut­zun­gen, bei­spiels­wei­se neue Cafés, zur Ver­fü­gung gestellt. „Wir pla­nen nicht für den star­ken, angst­frei­en Rad­fah­rer, wir haben die Unsi­che­ren im Blick, die ger­ne Rad­fah­ren wür­den“, so die Erklä­rung der Phi­lo­so­phie. Ins­be­son­de­re hat man den Schul­ver­kehr im Blick. In Port­land fah­ren acht­mal so vie­le Kin­der mit dem Rad in die Schu­le wie in ande­ren US-Städ­ten. Das sei wich­tig, denn: „Wenn wir Kin­der aufs Fahr­rad bekom­men, wer­den sie ihr Leben lang Rad fah­ren.“ Die bau­li­chen Maß­nah­men und die grund­sätz­li­che Denk­wei­se zei­gen Erfol­ge: Der Zuwachs im Rad­ver­kehr mach­te wie­der­um so man­chen Rad­we­ge­aus­bau, bei­spiels­wei­se deren Ver­brei­te­rung, not­wen­dig.

Las­ten­rä­der

„Mir satt­lä um!“ war die Devi­se eines auf sechs Mona­te ange­leg­ten Pilot­pro­jek­tes in Bern. Neun klei­ne und mit­tel­stän­di­sche Unter­neh­men, dar­un­ter eine Bäcke­rei, ein Elek­tro­fach­ge­schäft und eine klei­ne Braue­rei, beka­men E‑Lastenräder zum Aus­pro­bie­ren zur Ver­fü­gung gestellt. Ergeb­nis: 77 Pro­zent der bis­her mit Autos und Klein­trans­por­tern durch­ge­führ­ten Fahr­ten konn­ten aufs Las­ten­rad ver­la­gert wer­den. Fünf der neun betei­lig­ten Unter­neh­men über­nah­men nach Ende des Pilot­pro­jek­tes das jewei­li­ge Las­ten­rad. Ihre Rück­mel­dung: Man spart Zeit, weil kür­ze­re Wege genutzt wer­den kön­nen und die Park­platz­su­che ent­fällt. Drei bemän­gel­ten die unzu­rei­chen­de Geschwin­dig­keit bzw. das unzu­rei­chen­de Trans­port­vo­lu­men. Min­des­tens ein Unter­neh­men leg­te sich daher ein leis­tungs­stär­ke­res eCargobike zu. Ein neu­er Pilot­ver­such ist in Vor­be­rei­tung.

Velo­car­ri­er heißt ein Lie­fer­dienst mit Sitz in ver­schie­de­nen Städ­ten, dar­un­ter auch in Stutt­gart (habe ich bereits besucht). Ein Tätig­keits­feld ist die Heim­lie­fe­rung von Ein­käu­fen im Ein­zel- und Online­han­del. Es wer­den aber auch die letz­ten Mei­len für Paket­dienst­leis­ter aus­ge­fah­ren. Vor­teil: 10 bis 12 statt nur 3–5 Aus­lie­fer­stopps pro Stun­de in Innen­städ­ten.

In inzwi­schen 58 Städ­ten in 12 Län­dern setzt DHL Express Las­ten­rä­der ein. In den Nie­der­lan­den wer­den bereits 10 Pro­zent aller Rou­ten mit der umwelt­freund­li­chen Alter­na­ti­ve bewäl­tigt. Bis zu dop­pelt so vie­le Zustell­stopps sind gegen­über dem Lie­fer­wa­gen mög­lich. Teil­wei­se ist die Infra­struk­tur für den Ein­satz der ziem­lich gro­ßen Las­ten­rä­der mit ihren aus­tausch­ba­ren Con­tai­nern hin­der­lich.

Erfolg­rei­che Anreiz­sys­te­me in der Rad­ver­kehrs­för­de­rung

Kopen­ha­gen gilt seit lan­gem als Mus­ter­bei­spiel gelun­ge­ner Rad­ver­kehrs­för­de­rung. Das zieht vie­le Wis­sen­schaft­ler an, die unter­schied­lichs­te Fra­ge­stel­lun­gen auf­wer­fen. Eine davon lau­tet: Was kos­tet der Auto- und was kos­tet der Rad­ver­kehr? Die Lund Uni­ver­si­ty hat ver­sucht, mit eige­nen Berech­nun­gen Ant­wor­ten zu fin­den. Ergeb­nis der „kon­ser­va­ti­ven“ Annah­men: Wenn man pri­va­te und gesell­schaft­li­che Kos­ten berück­sich­tigt, kommt man auf 50 Cent für den Auto- und 8 Cent für den Fahr­rad-Kilo­me­ter. Berück­sich­tigt man aus­schließ­lich die gesell­schaft­li­chen Kos­ten (und blen­det bspw. die indi­vi­du­el­len Fahrt­zei­ten aus), so sind es 15 Cent fürs Auto und eine Ein­spa­rung von 16 Cent durch jeden Rad­ki­lo­me­ter. Aller­dings sind der­ar­ti­ge Berech­nun­gen sehr schwie­rig, denn wie kal­ku­liert man bei­spiels­wei­se die Kos­ten für den Kli­ma­wan­del? In Kopen­ha­gen jeden­falls ist das Bewusst­sein für die Kos­ten­re­la­tio­nen offen­bar vor­han­den: Poli­tik und Bür­ger­schaft trei­ben den Aus­bau der Rad­in­fra­struk­tur wei­ter vor­an – und das weit­ge­hend im Kon­sens mit dem Ein­zel­han­del. Und auch die Auto­fah­ren­den unter­stüt­zen die­sen kon­se­quen­ten Kurs, wenn man Umfra­gen Glau­ben schenkt: 69% von ihnen wünscht sich mehr Rad­ver­kehr.

Das Pro­jekt „Gute Wege zu guter Arbeit“ des gewerk­schafts­na­hen Auto­mo­bil­club Euro­pa (ACE) setzt sehr kon­kret bei der betrieb­li­chen Mobi­li­tät an. Hin­ter­grund: Zwei Drit­tel der Berufs­tä­ti­gen fährt mit dem Auto an den Arbeits­platz, 90 Pro­zent von ihnen sit­zen auf die­sen Wegen allei­ne im Auto. Dabei sind die Wege durch­schnitt­lich 17 Kilo­me­ter lang und damit häu­fig auf mit dem Fahr­rad oder Pedelec zu bewäl­ti­gen. Zumal Staus in den Bal­lungs­räu­men die Fahrt­zei­ten mit dem Auto um 30 bis 50 Pro­zent ver­län­gern. Vie­le Aspek­te spre­chen fürs Fahr­rad, auch aus Arbeit­ge­ber­sicht: So sind rad­fah­ren­de Arbeit­neh­men­de einen Tag pro Jahr weni­ger krank und bean­spru­chen kei­ne teu­ren Stell­plät­ze auf dem Betriebs­ge­län­de. Hand­lungs­fel­der sind bei­spiels­wei­se, so umge­setzt am Kli­ni­kum in Lud­wigs­burg, bewirt­schaf­te­te Pkw-Stell­plät­ze sowie Abstell­an­la­gen für Fahr­rä­der und Duschen in den Betrie­ben. Da das Pro­jekt noch läuft, ist der­zeit noch nicht mehr als eine Zwi­schen­bi­lanz mög­lich. Ich beglei­te das Pro­jekt im Pro­jekt­bei­rat und wer­de sicher wei­ter berich­ten …

Aus­zeich­nun­gen

Unter den mit Prei­sen aus­ge­zeich­ne­ten Pro­jek­ten befin­den sich die Städ­te Hei­del­berg und Kirch­heim unter Teck sowie TINK (Trans­port­In­itia­ti­ve nach­hal­ti­ger Kom­mu­nen). Hin­ter TINK ver­birgt sich ein Las­ten­rad-Ver­lei­h­an­ge­bot, das bei­spiels­wei­se in Kon­stanz 26 Räder für jedermann/jedefrau zum Aus­leih bereit­hält. Dies habe ich mir bereits vor Ort ange­schaut – und ich hal­te es für abso­lut nach­ah­mens­wert!