Neue Bewertungsmethode:

17.01.2023

Chance für Bahnausbau vor Ort

Lan­ge Zeit war die Bahn auf dem Rück­zug. Kein Zug fuhr mehr, Stre­cken wur­den erst still­ge­legt, dann womög­lich sogar ent­wid­met und mit Dis­count­märk­ten oder Park­plät­zen über­baut. Die Chan­cen, dass die Bahn wie­der zurück in die Flä­che kommt, stei­gen jedoch wie­der. Dafür spre­chen min­des­tens zwei Grün­de.

Auf den 01. Juli 2022 hat­ten vie­le jah­re­lang gewar­tet: Es wur­de eine aktua­li­sier­tes “Stan­dar­di­sier­te Bewer­tung von Ver­kehrs­in­ves­ti­tio­nen im öffent­li­chen Per­so­nen­nah­ver­kehr”, oft auch als “Stan­di” bezeich­net, vor­ge­legt. Anhand die­ser über­ar­bei­te­ten Bewer­tungs­me­tho­dik wer­den Schie­nen-Infra­struk­tur­pro­jek­te der Län­der und Kom­mu­nen bewer­tet, indem Kos­ten und Nut­zen gegen­über gestellt wer­den. Ist der Nut­zen min­des­tens gleich hoch wie es die Kos­ten sind (Wert 1,0), gilt ein Pro­jekt als wirt­schaft­lich und damit för­der­fä­hig nach dem Gemein­de­ver­kehrs­fi­nan­zie­rungs­ge­setz (GVFG). Die neue Stan­di wird in der Fach­welt – aus mei­ner Sicht zurecht – als Ver­bes­se­rung gelobt. So gibt es neue Bewer­tungs­aspek­te wie die Lebens­zy­klu­se­mis­sio­nen für die Errich­tung der Infra­struk­tur. Bar­rie­re­frei­heit bekommt immer einen Nut­zen in glei­cher Höhe wie die Kos­ten (in alter Stan­di wur­den aus­schließ­lich die Kos­ten gewer­tet). Die durch Infra­struk­tur­maß­nah­men dem Fern- und Güter­ver­kehr zugu­te­kom­men­den Kapa­zi­tä­ten wer­den för­der­fä­hig, wenn sie  über­wie­gend dem Regio­nal­ver­kehr dient. Umfas­sen­der bewer­tet als bis­her  wird der Fak­tor Kli­ma­schutz. Stär­ker gewich­tet wird auch die Ver­la­ge­rung vom moto­ri­sier­ten Indi­vi­du­al­ver­kehr (MIV) zum ÖPNV und dadurch Stau­re­duk­ti­on sowie Ener­gie­ein­spa­rungs­ef­fek­te. Auch raum­ord­ne­ri­sche Aspek­te kom­men zur Gel­tung. Dafür wird unter­sucht, ob mit der Infra­struk­tur­maß­nah­me mehr Men­schen mit wel­chem Zeit­be­darf zen­tra­le Orte errei­chen kön­nen. Neue Infra­struk­tur ist grund­sätz­lich so zu dimen­sio­nie­ren, dass sie eine gute Betriebs­qua­li­tät auf­weist.

Lei­der müs­sen auch eini­ge kri­ti­sche Anmer­kun­gen gemacht wer­den: So wird fast aus­chließ­lich das Pro­jekt an sich bewer­tet, unzu­rei­chend jedoch die mög­li­che (posi­ti­ve) Aus­wir­kung auf das Bestands­netz. Ein ver­ein­fach­tes Ver­fah­ren ist nur für klei­ne­re Vor­ha­ben oder bestimm­te Anwen­dungs­fäl­le zuläs­sig. Wei­ter­hin ist kein Stu­fen­ver­fah­ren mög­lich, bei dem ein “Vor­lauf­be­trieb” mit einem ver­bes­ser­ten Bus­an­ge­bot auf­ge­nom­men wird. In die­sem Fall wird näm­lich der Vor­lauf­be­trieb als “Null­fall” ange­nom­men. Das Schie­nen­pro­jekt wird also im Ver­gleich mit der bereits vor­ge­nom­me­nen Ver­bes­se­rung ver­gli­chen, wodurch sich der gewon­ne­ne Nut­zen gegen­über einem Ver­gleich mit dem ursprüng­li­chen Zustand ver­rin­gert. Die wohl schwer­wie­gends­te Kri­tik: Die för­der­fä­hi­ge Infra­struk­tur für eine gute Betriebs­qua­li­tät erweist sich in der Pra­xis häu­fig als unzu­rei­chend. So kön­nen sich bei­spiels­wei­se zwei­glei­si­ge Abschnit­te einer sonst ein­glei­si­gen Stre­cke als zu kurz erwei­sen, weil Fahr­gast­wech­sel­zei­ten in den Sta­tio­nen zu opti­mis­tisch ange­nom­men wur­den. Infra­struk­tur könn­te also trotz Aus­bau wei­ter­hin “auf Kan­te genäht” blei­ben und stör­an­fäl­li­ge Ver­keh­re pro­du­zie­ren. Im ungüns­tigs­ten Fall sind Betriebs­kon­zep­te, die der Aus­bau­pla­nung zugrun­de gelegt wor­den waren, nicht fahr­bar. Als Kri­tik kann auch vor­ge­bracht wer­den, dass die Ver­fah­ren noch kom­ple­xer und damit intrans­pa­ren­ter wer­den. Dies ist jedoch der Tat­sa­che geschul­det, dass mehr Aspek­te abge­bil­det wer­den bzw. im Ermes­sen der Auf­trag­ge­ber zusätz­lich abge­bil­det wer­den kön­nen.

Fazit: Es gibt mit der neu­en Stan­di eini­ge Ver­bes­se­run­gen. Im Ergeb­nis wer­den mehr Pro­jek­te als bis­her för­der­fä­hig. Dies gilt vor allem auch für den Schie­nen­aus­bau außer­halb der Bal­lungs­räu­me. Unzu­rei­chend berück­sich­tigt bleibt eine Infra­struk­tur, die sich in der betrieb­li­chen Pra­xis, in der nicht immer alles rund läuft, als robust erweist.

Die Finan­zie­rung der Vor­ha­ben ist gegen­wär­tig gesi­chert. Der Bund hat die GVFG-Mit­tel deut­lich erhöht. Zudem wur­de der För­der­satz her­auf­ge­setzt, wodurch der von Län­dern und/oder Kom­mu­nen zu finan­zie­ren­de Eigen­an­teil erheb­lich gesenkt wur­de. Der poli­ti­sche Streit­punkt ist nach wie vor die Höhe der Regio­na­li­sie­rungs­mit­tel. Dar­aus wer­den die Betriebs­kos­ten der Regio­nal­ver­keh­re finan­ziert.

Die­ser Text wur­de für die kom­mu­nal­po­li­ti­sche Ver­ei­ni­gung der Grü­nen in Baden-Würt­tem­berg erstellt, deren Vor­stands­mit­glied ich bin.