Neue Ideen statt Beton!

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06.02.2018

Plädoyer für eine konsequente Infrastruktur-Politik

Fragt man deut­sche Unter­neh­men, was aus ihrer Sicht die wich­tigs­ten Auf­ga­ben einer neu­en Bun­des­re­gie­rung sind, so lan­det das The­ma „Infra­struk­tur“ regel­mä­ßig mit gro­ßem Abstand vorn. Selbst der ste­ti­ge Ruf nach Büro­kra­tie­ab­bau wird von der For­de­rung, in Infra­struk­tur zu inves­tie­ren, über­tönt.

Mit Ver­kehrs­in­fra­struk­tur lässt sich Gutes errei­chen, denn Mobi­li­tät ist ein grund­le­gen­des mensch­li­ches Bedürf­nis. Es lässt sich mit Infra­struk­tur aber auch viel Geld ver­bren­nen, wenn unklar ist, wel­che Zie­le Infra­struk­tur errei­chen soll. Die Ziel­lo­sig­keit der deut­schen Ver­kehrs­po­li­tik in den letz­ten Jah­ren macht sich bemerk­bar, dass man hier­zu­lan­de viel Beton in die Land­schaft gießt ohne zu wis­sen, wel­che Infra­struk­tu­ren wirk­lich gebraucht wer­den.

So ist es kaum ver­wun­der­lich, dass seit Mit­te der 1990er Jah­re das deut­sche Auto­bahn­netz um fast 1.900 Kilo­me­ter wuchs, wäh­rend in der glei­chen Zeit das Fern­ver­kehrs­netz der Deut­schen Bahn um 3.700 Kilo­me­ter schrumpf­te. Für zahl­rei­che Groß­städ­te wie Pots­dam, Heil­bronn, Chem­nitz, Kre­feld, Sie­gen oder Trier ging der Fern­ver­kehrs­an­schluss gänz­lich ver­lo­ren. Ins­ge­samt ver­schwan­den rund 220 Städ­te von der Fern­ver­kehrs­land­kar­te der Bahn. Voll­kom­men wider­sprüch­lich wird das jah­re­lan­ge Schrump­fen des Bahn­fern­ver­kehrs, wenn die Bahn jedes Jahr neue Fahr­gast­re­kor­de mel­det. Nicht nur der Frank­fur­ter Haupt­bahn­hof gleicht seit Jah­ren einem Nadel­öhr, wäh­rend anders­wo in nahe­zu men­schen­lee­ren Regio­nen die Auto­bah­nen wie Pil­ze aus dem Boden schie­ßen. Mit siche­rem Instinkt für poli­ti­sche Land­schafts­pfle­ge ent­stand so die Ost­see­au­to­bahn A20, die öst­lich von Ros­tock über fast 250 Kilo­me­ter kei­ner ein­zi­gen Groß­stadt dient. Die Autos, die man täg­lich dort zählt, wer­den locker von jeder Bun­des­stra­ße einer mit­tel­gro­ßen deut­schen Stadt geschla­gen. Trotz der zuneh­mend wach­sen­den Erkennt­nis, dass ein Auto­bahn­an­schluss kei­nes­falls ein Garant für eine wirt­schaft­li­che Blü­te von der­zeit struk­tur­schwä­che­ren Regio­nen ist, läuft die Stra­ßen­bau­ma­schi­ne­rie unver­min­dert wei­ter: Nun soll die Alt­mark im Nor­den Sach­sen-Anhalts, eine der am dünns­ten besie­del­ten Regio­nen Deutsch­lands, mit dem Wei­ter­bau der A38 Rich­tung Schwe­rin eine eige­ne Auto­bahn bekom­men, obwohl auch eine Bun­des­stra­ße den Ver­kehr vor Ort ohne Pro­ble­me bewäl­ti­gen könn­te.

Zugleich ver­stär­ken mil­li­ar­den­schwe­re Bahn­pro­jek­te wie Stutt­gart 21, die sich kaum mehr als für publi­kums­wirk­sa­me Bau­stel­len­events eig­nen, die Ver­kehrs­pro­ble­me in den Bal­lungs­räu­men. Anstatt mehr Regio­nen an den Fern­ver­kehr anzu­bin­den und das Bahn­netz in der Flä­che zu stär­ken, wird man einst ernüch­tert außer eini­gen Minu­ten Zeit­ge­winn zwi­schen den Metro­po­len Stutt­gart und Mün­chen nicht viel spü­ren. Der Streit um die Zahl der Fern­ver­kehrs­zü­ge am künf­ti­gen Stutt­gar­ter Flug­ha­fen­bahn­hof zeigt sehr anschau­lich, wie noch immer Infra­struk­tur­pla­nung und Betrieb in Deutsch­land aus­ein­an­der­fal­len. Zwar will man nun zwei auf­wen­di­ge Tun­nel­bahn­hö­fe am Stutt­gar­ter Flug­ha­fen für die Zeit ab 2025 errich­ten. Wie vie­le Züge dort einst hal­ten wer­den, steht aber noch immer in der Ster­nen.

Auch die Hoch­ge­schwin­dig­keits­stre­cke zwi­schen Ber­lin und Mün­chen ist ein Para­de­bei­spiel poli­tisch moti­vier­ter Pla­nung: Weil der dama­li­ge Thü­rin­ger Minis­ter­prä­si­dent Vogel ener­gi­scher war und über den bes­se­ren Zugang zu Bun­des­kanz­ler Kohl ver­füg­te als sein säch­si­scher Kol­le­ge Bie­den­kopf, wur­de die Tras­sie­rung so gewählt wie unlängst in Betrieb genom­men. Aus­schlag­ge­bend waren weder die Kos­ten noch der Flä­chen­ver­brauch der alter­na­ti­ven Vari­an­ten und auch nicht, wel­che Takt­fahr­plä­ne sich dar­auf fah­ren, wel­che Anschlüs­se sich damit orga­ni­sie­ren und wie vie­le Fahr­gäs­te sich hin­zu­ge­win­nen lie­ßen. Die Fol­ge ist, dass wirt­schafts­star­ke Städ­te wie Jena vom Fern­ver­kehr abge­hängt wur­den. Die zehn Mil­li­ar­den Euro teu­re Stre­cke wur­de bis­lang von kei­nem ein­zi­gen Güter­zug befah­ren und wird auch in den nächs­ten Jah­ren abseh­bar nicht aus­ge­las­tet sein.

Jen­seits der fach­po­li­ti­schen Fra­ge, wel­che Inves­ti­tio­nen tat­säch­lich not­wen­dig sind und wel­che einem poli­ti­schen Grö­ßen­wahn geschul­det sind, bekommt das Wachs­tum des Stra­ßen­ver­kehrs­net­zes bei gleich­zei­ti­gem Schrump­fen der öffent­li­chen Fern­ver­kehrs­an­ge­bo­te auf die weni­gen Haupt­ach­sen zwi­schen den Metro­po­len eine gesell­schaft­li­che Dimen­si­on: Vor­han­de­ne Infra­struk­tu­ren und Ange­bo­te prä­gen das eige­ne Bewusst­sein und letzt­end­lich das Bild, das wir Men­schen von unse­rem Land haben. Die Spal­tung des Lan­des in pro­spe­rie­ren­de Metro­po­len und abge­häng­ter Peri­phe­rie setzt sich wei­ter fort, mehr Men­schen zie­hen in die Groß­städ­te, die Ver­kehrs­pro­ble­me ver­schär­fen sich. Gera­de in den Stoß­zei­ten sind die Stra­ßen der Groß­städ­te mit Autos ver­stopft, die kaum mit mehr als einer Per­son aus­ge­las­tet sind. Zeit­gleich quet­schen sich vie­le Men­schen in über­füll­te Bus­se und Bah­nen. Im Stra­ßen­netz ist unvor­stell­bar, was für die Fahr­gäs­te der Bahn auf unzäh­li­gen ein­spu­ri­gen Stre­cken zum All­tag gehört, so auf der Boden­see­gür­tel­bahn: Der Zug muss mit­samt sei­ner Mit­rei­sen­den mehr­fach bis zu sechs Minu­ten auf den Gegen­zug war­ten, weil die Infra­struk­tur unzu­rei­chend aus­ge­baut ist. Einen Aus­bau hat die gro­ße Koali­ti­on jedoch abge­lehnt. Ein­glei­si­ge Bahn-Davids kön­nen aber unmög­lich im Wett­be­werb gegen vier­spu­ri­ge Auto­bahn-Goli­aths mit­hal­ten.

Dass sich der Staat aus sei­ner Auf­ga­be, in der Flä­che guten Bahn­ver­kehr zu orga­ni­sie­ren, immer wei­ter zurück­zieht, gan­ze Regio­nen abge­hängt wer­den, wäh­rend zeit­gleich neue Auto­bahn­schnei­sen durch fast unbe­rühr­te Land­schaf­ten gezo­gen wer­den, ist nicht nur eine Fra­ge von Prio­ri­tä­ten, sie sind auch ein Beleg poli­ti­scher Ideen­lo­sig­keit. Hät­te der letz­te Res­sort­mi­nis­ter Dob­rindt sein Minis­te­ri­um für Ver­kehr und digi­ta­le Infra­struk­tur rich­tig ver­stan­den, so wäre mit digi­ta­ler Tech­no­lo­gie auf unse­ren Ver­kehrs­net­zen der Neu­bau von Auto­bah­nen ver­zicht­bar, wäh­rend die Bahn einen Quan­ten­sprung hin­le­gen könn­te. Nach Ein­schät­zun­gen von Fach­leu­ten sind mit der digi­ta­len Bahn rund 20 Pro­zent mehr Kapa­zi­tät mög­lich. So lie­ßen sich die Bahn­net­ze unse­rer Groß­städ­te bes­ser nut­zen und Inves­ti­tio­nen auf den Aus­bau der wirk­lich ent­schei­den­den Infra­struk­tur­lü­cken kon­zen­trie­ren. Wenn intel­li­gen­te Tech­no­lo­gie das blo­ße Ver­gie­ßen von Beton als Leit­dis­zi­plin in der Ver­kehrs­po­li­tik ablöst, haben es dann auch die vie­len Bahn­stre­cken, die seit Jah­ren und Jahr­zehn­ten den Dorn­rös­chen­schlaf dahin­däm­mern, auch wie­der eine Chan­ce zum Leben erweckt zu wer­den. Glei­cher­ma­ßen braucht es auch eine ent­schei­den­de Neu­auf­stel­lung der Inves­ti­ti­ons­schwer­punk­te im Ver­kehrs­haus­halt. Eine deut­li­che Auf­sto­ckung der Mit­tel für Erhalt, Elek­tri­fi­zie­rung und Aus­bau von ein­glei­si­gen Bahn­stre­cken, dar­an muss sich eine neue Gro­ße Koali­ti­on mes­sen las­sen. Wir Grü­ne haben mit dem Kon­zept „Zukunfts­pro­gramm Nah­ver­kehr“ mit einer Mil­li­ar­de jähr­lich einen finan­zi­ell unter­setz­ten Vor­schlag ent­wi­ckelt, der den Feh­ler der Gro­ßen Koali­ti­on von 2016, die Mit­tel für die­se klei­ne­ren, aber in der Sum­me für das Netz wich­ti­ge­ren Pro­jek­te auf Jah­re ein­zu­frie­ren, end­lich kor­ri­gie­ren wür­de. Die Fra­ge, ob gan­ze Regio­nen vom Bahn­fern­ver­kehr abge­hängt wer­den, wür­de sich nach Elek­tri­fi­zie­rung zahl­rei­cher Stre­cken nicht mehr stel­len. Der länd­li­che Raum stün­de nicht mehr als Syn­onym als Abge­häng­t­sein.

Die Zei­ten, in der viel gutes Geld nach dem Gieß­kan­nen­prin­zip über das Land gewor­fen wird, damit Ver­kehrs­mi­nis­ter unbe­sie­del­te Land­stri­che zu beleuch­te­ten Acker­flä­chen mit Auto­bahn­an­schluss umpflü­gen, wäh­rend der Bahn­ver­kehr jen­seits der Metro­po­len ein trau­ri­ges Schat­ten­da­sein fris­tet, haben in Zei­ten der Digi­ta­li­sie­rung end­gül­tig ihre Daseins­be­rech­ti­gung ver­lo­ren. Trotz digi­ta­ler Tech­no­lo­gien setzt das groß­ko­ali­tio­nä­re Deutsch­land noch immer auf die alte wie längst über­hol­te Idee des immer mehr Beton.

Es wird Zeit, dass die Gro­ße Koali­ti­on einen Ver­kehrs- und Digi­tal­mi­nis­ter – oder auch mal eine Ver­kehrs- und Digi­tal­mi­nis­te­rin – ernennt, bei dem oder der mehr zu erwar­ten ist als das „immer mehr vom immer Glei­chen“. Eine Per­son, die hin­ter­fragt, wie die Pend­ler nicht alle zum glei­chen Zeit­punkt in die Bah­nen strö­men, die Auto­bah­nen tag­ein, tag­aus auf den immer­glei­chen Abschnit­ten ver­stop­fen.

Die vie­len Men­schen, die früh mor­gens und nach­mit­tags dicht gedrängt im Stau und in den Bah­nen ste­hen, wür­den es dan­ken.

Eine Kurz­fas­sung die­ses Bei­trags ist als Gast­bei­trag in der Frank­fur­ter Rund­schau erschie­nen.