Neues Bahnkonzept Stuttgart – Tübingen im Test

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26.06.2020, ergänzt am 24.07.2020

Fahrkartenverkauf Nürtingen – Ersatzverkehr Oberboihingen

Wie funk­tio­nie­ren die neu­en Bahn­an­ge­bo­te auf der Stre­cke zwi­schen Stutt­gart und Tübin­gen? Mit dem „klei­nen Fahr­plan­wech­sel“ vor eini­gen Tagen hat­te es grö­ße­re Ver­än­de­run­gen gege­ben. Der Betrieb ging von der Deut­schen Bahn auf den Wett­be­wer­ber „Abel­lio“ über. Zugleich kam es zu deut­li­chen Ange­bots­ver­bes­se­run­gen.

So fährt der bis­her zwei­stünd­lich ver­keh­ren­de schnel­le IRE jetzt stünd­lich. Die Fahr­zeit zwi­schen Stutt­gart und Tübin­gen mit dem ein­zi­gen Zwi­schen­halt in Reut­lin­gen liegt bei 45 Minu­ten. Der Regio­nal­ex­press fährt auch außer­halb der Haupt­ver­kehrs­zei­ten im Halb­stun­den­takt. Für vie­le Fahr­gäs­te, so aus Nür­tin­gen und Ober­boi­hin­gen, brach­te der neue Fahr­plan spür­ba­re Ver­bes­e­r­un­gen.

In der mor­gend­li­chen Haupt­ver­kehrs­zeit habe ich – von Nür­tin­gen aus­ge­hend – eini­ge Test­fahr­ten unter­nom­men und mit Fahr­gäs­ten das Gespräch gesucht. Ich fuhr mit dem (gel­ben, neu­en) Zug um 7.03 Uhr nach Met­zin­gen, von dort mit einem alten roten DB-„Silberling“ nach Plochin­gen, dann wie­der nach Met­zin­gen und schließ­lich um 9.24 Uhr (geplant war der Zug um 8.49 Uhr, den ich aber wegen der Ver­spä­tung, sie­he unten, ver­passt hat­te) zurück nach Nür­tin­gen. Unter­wegs berich­te­te mir eine Frau, dass sie mor­gens in Fahrt­rich­tung Stutt­gart gute Erfah­run­gen gemacht hät­te. Am Vor­abend in Rich­tung Tübin­gen habe „ihr“ Zug jedoch eine deut­li­che Ver­spä­tung gehabt und sei noch dazu über­füllt gewe­sen. Ein ande­rer Fahr­gast war seit dem Fahr­plan­wech­sel erst zwei­mal unter­wegs und äußer­te sich zufrie­den. Mei­ne per­sön­li­che Erfah­rung: Drei von vier Zügen waren pünkt­lich. Der Zug, in den ich in Plochin­gen zustei­gen woll­te, hat­te Ver­spä­tung. Die App zeig­te „+15 Minu­ten wegen tech­ni­scher Stö­rung an ande­rem Zug“ an. Auch als der Zug bereits 20 und dann 25 Minu­ten Ver­spä­tung hat­te, blieb die App bei ihren 15 Minu­ten. Die Anzei­ge am Bahn­steig kün­dig­te den Zug mit „+25 Minu­ten“ (was kor­rekt war) an. Wäh­rend der gesam­ten War­te­zeit gab es ledig­lich eine Bahn­steig­durch­sa­ge. Die war­ten­den Fahr­gäs­te waren sicht­lich ver­är­gert und irri­tiert. Ein Mann hat­te Ähn­li­ches wohl schon mehr­fach erlebt. Nach­dem die App die bal­di­ge Ankunft eines ande­ren Zuges mit glei­cher Fahrt­rich­tung an einem ande­ren Bahn­steig anzeig­te, mach­ten sich vie­le Rei­sen­de auf den Weg dort­hin. Der Zug dort fuhr pünkt­lich ein. Jedoch konn­te er nicht ganz pünkt­lich aus­fah­ren, weil inzwi­schen der ver­spä­te­te Zug eben­falls ein­ge­fah­ren war und als ers­tes wie­der aus­fah­ren durf­te. In allen vier Zügen zeig­te sich kein Per­so­nal. So wur­den auch kei­ne Fahr­kar­ten kon­trol­liert. Kei­ner der Züge war unter Coro­nabe­din­gun­gen zu voll, so dass sich pro­blem­los Abstän­de ein­hal­ten lie­ßen. Das Erleb­nis mit der schlech­ten Kom­mu­ni­ka­ti­on habe ich gleich nach mei­nen Fahr­ten der Abel­lio-Füh­rungs­spit­ze in einem Tele­fo­nat mit­ge­teilt.

Fazit nach vier Fahr­ten: Die Fahr­gast­in­for­ma­ti­on über den ver­spä­te­ten Zug war dürf­tig und wider­sprüch­lich. Ins­ge­samt läuft es. Es gibt aber noch Luft nach oben. Ich wer­de die wei­te­ren Ent­wick­lun­gen kri­tisch ver­fol­gen und, wenn nötig, mich immer wie­der zu Wort mel­den.

Fahr­kar­ten­ver­kauf in Nür­tin­gen

Nach­dem die Deut­sche Bahn die Aus­schrei­bung für die Stre­cke Stutt­gart – Tübin­gen ver­lo­ren hat­te, hat sie ihre Ver­kaufs­stel­le in Nür­tin­gen geschlos­sen. Abel­lio lässt Fahr­kar­ten in einem Ein­zel­han­dels­ge­schäft ver­kau­fen, das sich im Bahn­hofs­ge­bäu­de befin­det. (Noch) wer­den aller­dings kei­ne Fern­ver­kehrs­ti­ckets der Deut­schen Bahn ver­kauft. Fahr­gäs­te sind also für Fern­fahr­ten auf das Inter­net bzw. ihr Smart­phone ange­wie­sen. In einem Brief hat­te ich Abel­lio gebe­ten, den Ver­kauf von Fern­ver­kehrs­fahr­schei­nen der DB sicher zu stel­len. Das Ver­kehrs­un­ter­neh­men hat geant­wor­tet, dass dies sein Ziel sei und man sich in Gesprä­chen befin­de. Aller­dings muss dazu gesagt wer­den, dass die DB ihre Pro­vi­si­ons­re­ge­lung zum Nach­teil vor allem der klei­ne­ren Agen­tu­ren ver­än­dert hat. Hin­zu kommt, dass die Deut­sche Bahn in ihrem Rei­se­bü­ro gera­de ein­mal 10 Fern­ver­kehrs-Fahr­schei­ne am Tag ver­kauft und damit einen Umsatz von häu­fig nicht ein­mal 200 Euro gemacht hat. Ob sich der Ver­kauf unter die­sen Bedin­gun­gen rech­net und auf­ge­nom­men wird wer­den wir sehen. Aus­sichts­rei­cher, wenn auch nicht sofort umsetz­bar ist, dass auf ein Mobi­li­täts­zen­trum hin­ge­ar­bei­tet wird, in dem auch Car­sha­ring, Leih­fahr­rä­der und vie­les Mehr ange­bo­ten wird. Par­al­lel dazu soll­te nach einer schnel­len Über­gangs­lö­sung gesucht wer­den.

Bahn­halt und Ersatz­ver­kehr in Bem­pf­lin­gen

In Bem­pf­lin­gen wer­den für eini­ge Mona­te nur ver­ein­zelt Züge hal­ten kön­nen. Dies hat damit zu tun, dass die Deut­sche Bahn den Bahn­steig noch nicht für die län­ge­ren Züge aus­ge­baut hat und der Zug­her­stel­ler Bom­bar­dier nicht recht­zei­tig die Züge gelie­fert hat, mit denen sich nur die Türen am Bahn­steig öff­nen las­sen. Daher wur­de ein Schie­nen­er­satz­ver­kehr nach Nür­tin­gen ein­ge­rich­tet. Es han­delt sich um die bestehen­de Bus­li­nie X 19, die häu­fi­ger fahrt und außer­dem nach Met­zin­gen ver­län­gert wur­de, so dass in bei­den Städ­ten in/vom Zug umge­stie­gen wer­den kann. Ich hat­te gegen­über Abel­lio und dem Land als Auf­ga­ben­trä­ger für den regio­na­len Schie­nen­ver­kehr vor­ge­schla­gen, die Bus­se im Halb­stun­den- statt nur im Stun­den­takt fah­ren zu las­sen. Fahr­gäs­te aus Bem­pf­lin­gen könn­ten dann wei­te­re Züge errei­chen. Abel­lio hat­te den Vor­schlag zunächst abge­lehnt. Nach mei­nem erneu­ten Vor­stoß hat Abel­lio eine Prü­fung und Abklä­rung mit dem Land zuge­sagt. Mei­ne Mei­nung: Dort, wo der Bahn­ver­kehr für län­ge­re Zeit­räu­me unter­bro­chen wird, soll­te nicht ein­fach nur ein Bus statt des Zuges fah­ren. In vie­len Fäl­len kann ein dar­über hin­aus gehen­des Bus­an­ge­bot die Nach­tei­le durch die ent­fal­len­den Züge qua­li­ta­tiv zwar nicht gleich­wer­tig erset­zen, die Nach­tei­le für die Fahr­gäs­te jedoch deut­lich ver­rin­gern und dadurch das Abwan­dern auf das Auto ver­mei­den. Im Fal­le von Bem­pf­lin­gen wäre dies sehr ein­fach: Wenn mehr Bus­se fah­ren, kön­nen die Fahr­gäs­te von den seit dem klei­nen Fahr­plan­wech­sel deut­lich ver­bes­ser­ten Bahn­an­ge­bo­ten in Nür­tin­gen und Met­zin­gen pro­fi­tie­ren. Dafür soll­ten die Deut­sche Bahn wegen des zu spä­ten Bahn­steig­aus­baus und Bom­bar­dier wegen der ver­spä­te­ten Aus­lie­fe­rung der neu­en Züge für die Finan­zie­rung her­an gezo­gen wer­den.

Pünkt­lich­keit

Wegen der Zug­aus­fäl­le und der (Un)Pünktlichkeit hat­te ich Kon­takt mit dem Ver­kehrs­mi­nis­te­ri­um und Abel­lio. Ergeb­nis: DB Regio hat­te mit dem RE im Janu­ar und Febru­ar 2020 eine Aus­fall­quo­te von 4% (wenn man Sturm­fol­gen abzieht von 2,7%). Die RB wur­de zwi­schen Plochin­gen und Tübin­gen mit einer Aus­fall­quo­te von 6,3% gefah­ren (wenn man Sturm­fol­gen abzieht von 5,5%). Abel­lio hat­te zwi­schen 15. Juni und 12. Juli eine Aus­fall­quo­te von 1,2%.
Bei der Pünkt­lich­keit steht Abel­lio schlech­ter da als frü­her die DB. Im Zeit­raum vom 14. Juni bis zum 05. Juli gal­ten 81,3% aller Züge als pünkt­lich (DB im Januar/Februar: 91%). Schaut man sich die Ver­trag­s­pünkt­lich­keit von 3:59 Minu­ten an, so waren 78% der Züge pünkt­lich (DB: 86%). Die Pünkt­lich­keit von Abel­lio hat sich in den drei betrach­te­ten Wochen jedoch deut­lich ver­bes­sert. Zuletzt lag Abel­lio nur noch mini­mal hin­ter den frü­he­ren Wer­ten der DB zurück. Die­se Betrach­tung endet in KW 27 (05. Juli).
Abel­lio hat auf mei­ne Anfra­ge hin Stel­lung genom­men und spricht – wohl unter Ein­be­zie­hung der aktu­el­le­ren Situation/letzten Woche – von „aktu­ell über­durch­schnitt­lich vie­len Ver­spä­tun­gen und Zug­aus­fäl­len“. Als Grün­de wer­den genannt: Man­gel und unzu­rei­chen­de Zuver­läs­sig­keit der Trieb­fahr­zeu­ge. Dabei han­delt es sich um die Lei­fahr­zeu­ge der DB und ein­zel­ne Talent-Züge der Abel­lio-Bestands­flot­te. Die War­tung der Züge sei schwie­rig, weil die Werk­stät­ten über­las­tet sei­en. Die Talent-Fahr­zeu­ge sol­len bis Herbst ein Soft­ware-Update erhal­ten und dann weni­ger stör­an­fäl­lig sein. Hin­zu kämen zahl­rei­che Infra­struk­tur­stö­run­gen im Netz (Oberleitungs‑, Signal- und Stell­werks- sowie Bahn­über­gangs­stö­run­gen) sowie Krank­mel­dun­gen von Lok­füh­rern. Die Pünkt­lich­keits­wer­te wür­den wochen­wei­se sehr stark schwan­ken. Ich wer­de das wei­ter im Auge behal­ten und ggf. auch Kon­takt zu DB Netz (zustän­dig für die Infra­struk­tur) auf­neh­men.