Neuwahlen kein Ziel, aber sehr wahrscheinlich

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22.11.2017

Min­der­heits­re­gie­rung kei­ne bes­se­re Alter­na­ti­ve

Die Son­die­rungs­ge­sprä­che, um die Chan­cen einer Koali­ti­on aus CDU/CSU, FDP und Grü­nen aus­zu­lo­ten, sind geschei­tert. Ich bedau­re dies sehr. Nun befin­det sich Deutsch­land zwar nicht in einer Staats­kri­se, aber doch vor schwie­ri­gen Wochen und Mona­ten. Die poli­ti­sche Hand­lungs­fä­hig­keit ist mit einer nur geschäfts­füh­ren­den Bun­des­re­gie­rung und unkla­ren par­la­men­ta­ri­schen Mehr­heits­ver­hält­nis­sen erheb­lich ein­ge­schränkt. Zahl­rei­che wich­ti­ge Ent­schei­dun­gen innen­po­li­ti­scher und außen­po­li­ti­scher Natur kön­nen nicht getrof­fen wer­den. Kon­kret heißt das, dass die Minis­te­ri­en ab dem 1. Janu­ar nur noch auf der Grund­la­ge einer vor­läu­fi­gen Haus­halts­füh­rung arbei­ten dür­fen. So dür­fen bei­spiels­wei­se in der Ver­kehrs­po­li­tik zwar begon­ne­ne Vor­ha­ben noch fort­ge­führt wer­den, der Beginn drin­gend not­wen­di­ger neu­er Pro­jek­te ist jedoch vom Haus­halts­recht unter­sagt. Kon­kre­tes Bei­spiel: Die bei den Die­sel- und Kom­mu­nal­gip­feln zuge­sag­ten Bun­des­mit­tel für Maß­nah­men zur Luft­rein­hal­tung in den Städ­ten kön­nen nicht bereit­ge­stellt wer­den. Fahr­ver­bo­te in zahl­rei­chen Städ­ten wer­den auch dadurch immer wahr­schein­li­cher. Gera­de weil das Jahr 2018 vor der Tür steht, geht uns mit dem über­ra­schen­den Abgang der FDP jetzt viel poli­tisch wert­vol­le Zeit ver­lo­ren.

Jenen Bür­ge­rin­nen und Bür­ger, die in den ers­ten Wochen nach der Bun­des­tags­wahl und wäh­rend der schlep­pend lau­fen­den Son­die­rungs­ge­sprä­che Neu­wah­len for­der­ten, hat­te ich noch geant­wor­tet:

„Unser Ziel ist die Bil­dung einer sta­bi­len Bun­des­re­gie­rung, die von einer par­la­men­ta­ri­schen Mehr­heit gestützt wird. Daher spre­chen wir auch nicht von Neu­wah­len. Das wäre unver­ant­wort­lich, denn die Bür­ge­rin­nen und Bür­ger haben gewählt und es liegt nun in der Ver­ant­wor­tung der Par­tei­en aus den gege­be­nen Mehr­heits­ver­hält­nis­sen eine Regie­rung zu bil­den. Wir neh­men das Wahl­er­geb­nis sehr ernst, sind uns unse­rer Ver­ant­wor­tung bewusst und erken­nen an, dass eine mög­li­che Jamai­ka-Koali­ti­on eine hohe gesell­schaft­li­che Akzep­tanz genießt.“

Wir Grü­ne haben sehr viel Zeit und Ener­gie in die Vor­be­rei­tung, die Durch­füh­rung und die fach­li­che Beglei­tung der Gesprä­che inves­tiert. Wir haben uns früh­zei­tig mit den inhalt­li­chen Vor­stel­lun­gen der ande­ren Par­tei­en aus­ein­an­der­ge­setzt, Gemein­sam­kei­ten gesucht und ver­sucht, Dif­fe­ren­zen zu über­win­den. Wir Grü­ne haben vie­le, für unse­re Mit­glie­der und Wähler*innen häu­fig schmerz­haf­te, Kom­pro­miss­an­ge­bo­te und Zuge­ständ­nis­se gemacht. So haben wir die Jah­res­zah­len in unse­ren For­de­run­gen für das Ende der Neu­zu­las­sun­gen fos­si­ler Ver­brenn­erfahr­zeu­ge eben­so gestri­chen wie beim Koh­le­aus­stieg. Uns war aber nach wie vor wich­tig, dass die Rich­tung weg von Sta­tus Quo der Gro­ßen Koali­ti­on stimmt und der Kli­ma­ver­trag von Paris mit­samt sei­ner Zwi­schen­zie­le ein­ge­hal­ten wird. Bei den Wegen dort­hin haben wir uns jedoch fle­xi­bel gezeigt. Wir haben unse­re For­de­rung nach der Wie­der­ein­füh­rung der Ver­mö­gens­steu­er mit Blick auf die Pro­gram­ma­ti­ken der ande­ren drei poten­ti­el­len Koali­ti­ons­part­ner nicht wei­ter ver­folgt. Der For­de­rung der FDP nach der Abschaf­fung des Solis haben wir, obwohl wir ande­re Vor­stel­lun­gen von Ent­las­tun­gen der Bürger*innen haben, zuge­stimmt. Der Soli wäre ent­spre­chend der Finan­zier­bar­keit in meh­re­ren Schrit­ten abge­senkt und in der nächs­ten Legis­la­tur­pe­ri­ode schließ­lich ganz abge­schafft wor­den. Sogar bei der Flücht­lings­po­li­tik stand am Sonn­tag des letz­ten Son­die­rungs­wo­chen­en­des eine Ver­stän­di­gung mit den Uni­ons­par­tei­en vor dem Abschluss.

Nun müs­sen wir fest­stel­len, dass die Bemü­hun­gen, die Bil­dung einer Jamai­ka-Koali­ti­on kon­kret aus­zu­lo­ten, dar­an geschei­tert sind, dass sich die FDP von den lau­fen­den Gesprä­chen davon­ge­stoh­len hat und sich damit ihrer Mit­ver­ant­wor­tung für die Bil­dung einer hand­lungs­fä­hi­gen Regie­rung ent­zo­gen hat. Damit ist die alte, geschei­ter­te FDP zurück; die Kli­en­tel­par­tei ohne Sinn für gesamt­ge­sell­schaft­li­che Belan­ge. Sie hat in ihrer Erklä­rung am Sonn­tag­abend zu ihrem ein­sei­ti­gen Abbruch der Gesprä­che kei­ne inhalt­li­chen Grün­de gel­tend gemacht. Die Gene­ral­se­kre­tä­rin der Bun­des-FDP hat­te noch weni­ge Stun­den zuvor in den Tages­the­men zum Son­die­rungs­stand erklärt: „Unse­re For­de­run­gen wer­den dort zu einem Groß­teil abge­bil­det“.

Wir Grü­ne blei­ben gesprächs­be­reit. Für uns ist Jamai­ka wegen der Ver­wei­ge­rung der FDP zwar unwahr­schein­lich, aber nicht unmög­lich gewor­den.

Zur wei­te­ren Gesprächs­ver­wei­ge­rung der FDP die Erklä­rung unse­res Frak­ti­ons­vor­sit­zen­den Dr. Anton Hof­rei­ter:

„Die FDP stiehlt sich aus der Ver­ant­wor­tung

(…) Wir sind ent­täuscht, dass es nicht gelun­gen ist, die­se Son­die­rungs­ge­sprä­che zu einem guten Ende zu brin­gen. Mir ist es rät­sel­haft, wie die FDP begrün­den will, dass sie nicht dabei ist. Aus­sa­gen wie bei Digi­ta­li­sie­rung oder Ent­las­tung der Bür­ger wäre kei­ne Eini­gung mög­lich gewe­sen, sind schlicht­weg falsch. Es gab sehr gute, auch geein­te Vor­schlä­ge zur Digi­ta­li­sie­rung und im Bil­dungs­be­reich. Es lag das Ange­bot auf dem Tisch, den Soli nach und nach nicht in einer Legis­la­tur, das wäre nicht finan­zi­ell dar­stell­bar gewe­sen, aber in zwei Legis­la­tu­ren kom­plett abzu­schaf­fen. Ich kann mir nicht vor­stel­len, wie die FDP Part­ne­rin­nen oder Part­ner fin­den will, mit denen mehr mög­lich ist. Des­halb: Es gab in die­sen Punk­ten kei­ne inhalt­li­che Begrün­dung.

Die­se Regie­rung hät­te in einem in Tei­len gespal­te­nen Land gro­ße Ver­söh­nun­gen zustan­de brin­gen kön­nen. Bei dem schwie­ri­gen The­ma Migra­ti­on und Flucht deu­te­te sich an, dass ein gro­ßer Kom­pro­miss von CSU bis zu den Grü­nen, von Clau­dia Roth bis Alex­an­der Dob­rindt, mög­lich gewe­sen wäre. Die­ser Kom­pro­miss hät­te die­sem Land wirk­lich gut­ge­tan.

Die­se unver­ant­wort­li­che Akti­on reißt die alte Wun­de wie­der stär­ker auf. Wir wer­den wei­ter dafür wer­ben, dass eine Regie­rung zustan­de kommt. Herr Stein­mei­er hat in sei­nen Aus­sa­gen abso­lut Recht, dass alle Par­tei­en und alle han­deln­den Per­so­nen ver­ant­wor­tungs­voll mit dem Ergeb­nis umge­hen müs­sen. Wenn es zu wei­te­ren Gesprä­chen kommt, sind wir gesprächs­be­reit, um in wich­ti­gen Din­gen etwas für die­ses Land vor­an­zu­brin­gen, wie Posi­tio­nen bei der Fra­ge Migra­ti­on und Flucht zu ver­söh­nen, wie etwas für den Kli­ma­schutz zu tun, wie etwas zur Bekämp­fung von Flucht­ur­sa­chen zu tun, wie dafür zu sor­gen, dass die Euro­päi­sche Uni­on wie­der stär­ker zusam­men­hält oder dass kei­ne Waf­fen mehr nach Sau­di-Ara­bi­en in einen bru­ta­len Krieg expor­tiert wer­den. All das bis zur Abschaf­fung der anlass­lo­sen Vor­rats­da­ten­spei­che­rung kommt jetzt erst mal nicht. Wir wer­den wei­ter dafür wer­ben, dass die­se Din­ge kom­men.“

Gegen­über der Lokal­pres­se in mei­nem Wahl­kreis habe ich mich wie folgt zum Schei­tern der Son­die­rungs­ge­sprä­che geäu­ßert:

„Ein Jamai­ka-Bünd­nis war für kei­nen der Betei­lig­ten die Wunsch­kon­stel­la­ti­on. Wir Grü­ne haben uns den­noch sehr ernst­haft auf die Gesprä­che ein­ge­las­sen. Wir haben bis zur letz­ten Minu­te kon­struk­tiv dar­an gear­bei­tet, dass sie erfolg­reich abge­schlos­sen wer­den und es zu einer sta­bi­len Regie­rung kommt. Dafür haben wir mit eige­nen Kom­pro­miss­an­ge­bo­ten in der Energie‑, Ver­kehrs- und Flücht­lings­po­li­tik Bewe­gung in die zwi­schen­zeit­lich erstarr­ten Gesprä­che gebracht. Eine Eini­gung bei die­sen The­men wäre schwie­rig, ver­mut­lich aber mög­lich gewe­sen. Geschei­tert ist ein sol­ches Jamai­ka-Bünd­nis jedoch an einer ver­ant­wor­tungs­los und rein par­tei­tak­tisch agie­ren­den FDP. Der FDP hat­ten von Anfang an die Ernst­haf­tig­keit und der gute Wil­le zu einem Gelin­gen gefehlt.“

Min­der­heits­re­gie­rung?

Häu­fig wird eine Min­der­heits­re­gie­rung in die Dis­kus­si­on gebracht. Kaum jemand äußert sich hin­ge­gen zu der damit ver­bun­de­nen Fra­ge, wer die­se stel­len und wer eine sol­che (aus wel­chen Grün­den) tole­rie­ren soll­te.

Wes­halb soll­ten wir eine Per­son zur Kanz­le­rin oder zum Kanz­ler wäh­len, ohne dass in einem Ver­trag ver­läss­lich fest­ge­hal­ten wer­den kann, wel­che Inhal­te damit ver­bun­den wer­den? Wes­halb soll­ten wir eine Regie­rung stüt­zen, deren Teil wir nicht sind und es uns auf­grund des­sen nicht mög­lich ist, Regie­rungs­han­deln, Zie­le und The­men­set­zun­gen vor­her­seh­bar mit­zu­be­stim­men? Was soll von einer Regie­rung zu hal­ten sein, die für „popu­lä­re“ Ent­schei­dun­gen jeder­zeit eine brei­te Mehr­heit im Par­la­ment fin­den wird, nicht aber unbe­dingt für „unpo­pu­lä­re“, aber not­wen­di­ge Ent­schei­dun­gen?

Das Fin­den von Mehr­hei­ten ist ange­sichts der hohen Ent­schei­dungs­dich­te auf Bun­des­ebe­ne mit einer Min­der­heits­re­gie­rung so müh­sam und auf­wän­dig, dass die Hand­lungs- und Leis­tungs­fä­hig­keit der Regie­rung deut­lich ein­ge­schränkt wäre.

Eine Min­der­heits­re­gie­rung wür­de mit größ­ter Wahr­schein­lich­keit kei­ne vier Jah­re Bestand haben. Alle Betei­lig­ten wür­den viel­mehr auf ihre Umfra­ge­wer­te schau­en und den güns­ti­gen Moment abwar­ten, um Neu­wah­len zu erzwin­gen. Sind also Neu­wah­len so schnell wie mög­lich nicht der ehr­li­che­re Weg, um eine läh­men­de Hän­ge­par­tie zu ver­mei­den?

Bes­ser wäre es jedoch, SPD und FDP wür­den sich ihrer Ver­ant­wor­tung fürs Land bewusst wer­den und ihre Ver­wei­ge­rungs­hal­tung gegen eine auf vier Jah­re ange­leg­te, sta­bi­le Regie­rungs­ko­ali­ti­on able­gen.

Rasche Neu­wah­len in die Wege lei­ten 

Erst hat die SPD erklärt, sich auf kei­ne Neu­auf­la­ge der Gro­ßen Koali­ti­on ein­zu­las­sen. Dann hat die FDP die Gesprä­che über die mög­li­che Bil­dung einer Jamai­ka-Koali­ti­on ver­las­sen. Die Bil­dung einer Min­der­heits­re­gie­rung hal­te ich aus den genann­ten Grün­den für unwahr­schein­lich und selbst wenn es dazu käme, wären Neu­wah­len noch weit vor dem eigent­li­chen Ende der Legis­la­tur­pe­ri­ode höchst wahr­schein­lich. Damit läuft es ohne­hin auf Neu­wah­len hin­aus. Die­se kön­nen jedoch kein Ziel sein. Bes­ser wäre nach wie vor eine Jamai­ka-Koali­ti­on und neben der FDP soll­te auch die SPD noch ein­mal inten­siv dar­über nach­den­ken, ob sie nicht doch regie­rungs­be­reit ist.

Wenn sich die bei­den Par­tei­en wei­ter ver­wei­gern ist die Neu­wahl des Bun­des­ta­ges die bes­te der schlech­ten Alter­na­ti­ven. Aus mei­ner Sicht kom­men die­se bes­ser so schnell wie mög­lich als erst zu einem Zeit­punkt, den eine der Frak­tio­nen aus rein oppor­tu­nis­ti­schen Grün­den in Abhän­gig­keit von Wahl­um­fra­gen erzwingt. Neu­wah­len sind nach allem, was wir wis­sen, auch im Sin­ne einer Mehr­heit der Bürger*innen: Beim ZDF-Polit­ba­ro­me­ter spra­chen sich 51 Pro­zent und beim ARD-Deutsch­land­trend 63 Pro­zent (jeweils am 20.11.2017) dafür aus.

Ich bin eini­ger­ma­ßen zuver­sicht­lich, dass sich durch Neu­wah­len hand­lungs­fä­hi­ge Mehr­hei­ten erge­ben wer­den. Denn die Men­schen in Deutsch­land wis­sen nun, wer bereit ist, Ver­ant­wor­tung zu über­neh­men und wer sich davor drückt.

Die Men­schen wis­sen nach den Son­die­rungs­wo­chen aber auch deut­li­cher denn je, wer für wel­che Posi­tio­nen steht. Sie wis­sen, wer an den Kli­ma­schutz­ver­pflich­tun­gen fest­hält und wer dar­an rüt­telt. Sie wis­sen, wer mit dem Koh­le­aus­stieg einen wesent­li­chen Bei­trag zum Kli­ma­schutz leis­ten und wer ihn ver­schlep­pen will. Sie wis­sen, wer für eine mensch­li­che Flücht­lings­po­li­tik mit dem Recht auf Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung steht und wer für einen har­ten Kurs plä­diert, der Inte­gra­ti­on unnö­tig erschwert. Die geschei­ter­ten Jamai­ka-Gesprä­che haben gezeigt, wie groß die Unter­schie­de allein schon zwi­schen den vier betei­lig­ten Par­tei­en sind und dass wir in Deutsch­land weit ent­fernt von einem von der AfD immer wie­der her­bei­ge­re­de­ten „Par­tei­en­kar­tell“ sind.