Zur Ausgangslage der Grünen
Ziemlich genau ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl zeigen die Umfragewerte nicht annähernd unser Potential. Dabei sollten wir mit unseren Themen durchaus punkten können.
Seit etwa November 2016 zeigen die Umfragewerte für uns Grüne nach unten. Das hat mit den Themen zu tun, die derzeit die öffentlichen Debatten beherrschen, aber auch mit eigenen Fehlern. Schließlich kam der Schulz-Effekt hinzu. Dieser zeigt: Der Wunsch nach einem Wechsel ist größer als gedacht, wenngleich (bislang) auch nicht so ausgeprägt wie er 1998 war. Durch das Erscheinen einer demokratischen Alternative zu Merkel wurde die Unzufriedenheit mit ihr und der von ihr geführten Bundesregierung auch in der Mitte der Gesellschaft erst richtig deutlich. Das hat sein Gutes für uns Grüne: Es gibt eine zusätzliche Machtoption. Für uns gilt nun deutlich zu machen, dass man auch mit einer starken SPD wieder in der großen Koalition landen kann, wenn auch möglicherweise mit einer Größenverschiebung. Zweitens: Mit der SPD gibt es ohne Grüne keinen ökologischen Schwerpunkt. Für beides – die Verhinderung einer Neuauflage der großen Koalition und für eine starke Gewichtung ökologischer Fragen – kommt es auf uns Grüne an! Dabei sollten wir am Kurs der Selbstständigkeit unbedingt festhalten. Wir sollten weder ein Bündnis mit der CDU ausschließen noch uns einseitig auf die SPD festlegen. Stattdessen sollten wir die große Koalition wegen ihrer Politik des Stillstandes und der teuren Kompromisse (siehe Rente) angreifen sowie geschlossen und klar unsere Bedingungen für eine Regierungsbeteiligung formulieren.
Aus meiner Sicht muss die Ökologie klar im Mittelpunkt unseres Wahlkampfes stehen. Bei diesem Thema besitzen wir die Kernkompetenz. Angesichts des Desinteresses bei Union und SPD an ökologischen Themen und damit der zentralen Zukunftsfrage für das Leben auf diesem Planeten verfügen wir hier über ein Alleinstellungsmerkmal. Wir Grüne waren es, die in unserer ersten und bislang einzigen Regierungsbeteiligung mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien und dem Atomausstieg die Energiewende eingeleitet haben. Diese werden nur wir erfolgreich zu Ende führen können, weil Union und SPD die Erneuerbaren gedeckelt haben und sich weigern, einen Pfad für den Ausstieg aus der Verstromung von Kohle vorzulegen. Ich war in dieser Legislatur in den Braunkohletagebaugebieten in Garzweiler (NRW) und in der Lausitz (Brandenburg/Sachsen). Wer mal mit den letzten Einwohnern in ehemals schönen und nun zerfallenen Orten gesprochen hat, die kurz vor dem Abbaggern stehen, kann die Dringlichkeit dieser Forderung nachvollziehen. Und das für einen Energieträger, der mehr Wasser als Energie enthält, Unmengen an CO2 in die Atmosphäre pustet und dessen Stromerzeugung noch nicht einmal nachfrageabhängig reguliert werden kann! Für die Energiewende braucht es uns Grüne!
Genauso sieht es mit der Verkehrswende aus. Die große Koalition hat einen Bundesverkehrswegeplan vorgelegt, der einseitig auf den Straßenbau setzt und die Schiene vernachlässigt. Die GroKo verteidigt darüber hinaus nahezu uneingeschränkt und zukunftsvergessen die Automobilbranche, die so lange wie möglich an der Verbrennungstechnologie festhalten und keine ausreichenden Konsequenzen aus dem Dieselskandal ziehen möchte. Da vertreten wir das genaue Gegenteil: Stärkung von Bus und Bahn, weg von der steuerlichen Subventionierung von Dieselkraftstoff mit all ihren fatalen Fehlanreizen und keine Neuzulassungen von fossilen Verbrennungsmotoren ab dem Jahr 2030.
Selbstverständlich sollten wir keinen ausschließlichen Öko-Wahlkampf führen. Für uns gehört das Gerechtigkeitsthema untrennbar dazu. Deutlich über 60 Prozent der Menschen sehen Deutschland und auch sich selber in einer guten wirtschaftlichen Lage. Das ist erfreulich. Diese Zahlen dürfen aber nicht über die Situation der Menschen des anderen Teils unserer Gesellschaft hinwegtäuschen. Notwendig ist insbesondere der Blick auf die von Langzeitarbeitslosigkeit betroffenen Menschen, an denen der Aufschwung auf dem Arbeitsmarkt weitgehend vorbei ging und die ein Martin Schulz nicht auf dem Schirm hat. Wir brauchen individualisierte Hilfen, mehr passende Qualifikationsangebote und den Aufbau eines sozialen Arbeitsmarktes. Für Hartz IV-Empfänger wollen wir außerdem höhere Vermögensfreibeträge durchsetzen. Des Weiteren stehen wir Grüne für die steuerfinanzierte Garantierente, die über der Grundsicherung liegen muss. Und wir setzen uns für stärkere Institutionen wie Kitas, Schulen und Einrichtungen der Aus- und Weiterbildung ein. Bildung kann Armut nicht vermeiden, aber die Anzahl der davon Betroffenen reduzieren.
Und schließlich haben wir auch im Themenkomplex der inneren Sicherheit, der Verteidigung unserer Freiheit und der Grundrechte einiges zu bieten. Wir setzen bei der Sicherheit auf gut überlegte Maßnahmen, die wirkungsvoll sind (so die Aufstockung der Stellen bei der Polizei, eine europaweit einheitliche Definition von „Gefährdern“ und eine bessere Informationsweitergabe über diese Personen), verwahren uns aber gegen Pauschalverdächtigungen und Vorurteile gegen alle Menschen, die dem Islam angehören. Für Aktionismus und Scheinlösungen sind wir nicht zu haben. Wir verteidigen Grundrechte wie die auf freie Meinungsäußerung und die Religionsfreiheit und setzen uns für die Rechte von Minderheiten ein. Damit vertreten wir das Gegenmodell zu dem der CSU und insbesondere dem der AfD.
Unser Ziel ist die Ablösung der großen Koalition.
Wir wollen die große Koalition ablösen, die
- eine teure Rentenreform beschlossen hat, die nur wenigen etwas bringt aber von vielen höhere Beiträge abverlangt,
- noch immer keinen Gesetzentwurf für Begrenzung von Managerbezügen vorgelegt hat
- auf Massentierhaltung und Exportorientierung in der Landwirtschaft statt auf Tierwohl setzt,
- die sich seit bald vier Jahren mit der europafeindlichen Maut für Fahrer aus dem Ausland beschäftigt, statt die Weichen für eine nachhaltige Mobilität zu stellen,
- die den Ausbau der erneuerbaren Energien ausbremst und keinen Pfad für den Ausstieg aus der Kohleverstromung vorlegt.
„Zukunft wird aus Mut gemacht“ lautet unser Wahlkampfslogan. Da steckt Musik drin. Unser Optimismus wird hörbar. Die nächsten sechs Monate werden wir dafür nutzen, für das Ende der großen Koalition und unsere Themen zu werben. Beides gibt es nur mit starken Grünen!