30.04.2020
Dem Bund fehlt Interesse
Dass manche Bahnhöfe dunklen Hinterhöfen gleichen wissen alle Bahnfahrerinnen und Bahnfahrer. Doch wie sieht es genau aus und was ist in den nächsten Jahren zu erwarten? Das wollte ich mit einer Anfrage an die Bundesregierung in Erfahrung bringen.
Aus den Antworten der Bundesregierung wird deutlich, dass einiges im Argen liegt. In Deutschland gibt es rund 5.700 Bahnhöfe und Haltepunkte. Nur ein Bruchteil davon – meist größere Stationen – ist so weit entwickelt, dass das meiste in Ordnung ist und es gute Vernetzungen verschiedener Mobilitätsangebote gibt. Unterschiedliche Zuständigkeiten und ein Flickwerk aus Förderprogrammen machen es in den meisten Fällen schwierig bis unmöglich, eine ganzheitlich hochwertige Entwicklung vom städtebaulichen Umfeld, den Bahnhofsvorplatz mit vielfältigen Mobilitätsangeboten, ein oft noch vorhandenes Empfangsgebäude, eine Unterführung oder Überführung bis hin zum Bahnsteig und hinein in die Züge zu erreichen.
Sparzwänge und wirtschaftlicher Leistungsdruck der letzten Jahrzehnte haben dazu geführt, dass sich der Bahnhofsbetreiber die DB Station&Service AG an vielen Stationen lediglich für den reinen Bahnsteig und Bahnsteigzugang zuständig fühlt. Ich habe daher den aktuellen Stand zu zwölf von den Bahnkunden vielerorts zurecht erwartete Angebote und vorteilhafte Ausstattungsmerkmale abgefragt: Bahnhofsgebäude, geschützte Wartebereiche, Bahnsteigdächer, Sitzgelegenheiten, angenehme Beleuchtung, Toiletten, Fahrradparken, städtebauliche Entwicklung, gepflegte Grünflächen, Servicepersonal, Läden mit Reisebedarf und Fahrkartenverkauf, Mitfahrbänke, freies WLAN und Bahnhofsfeste. Vieles davon ist leider häufig Fehlanzeige.
Zwei Themen liegen mir besonders am Herzen: Der Rückbau an mit Bahnsteigdächern überdachter Fläche stellt ein großes Problem dar. In den letzten 10 Jahren sind netto fast 50.000 Quadratmeter Dachfläche verloren gegangen. Die Bahn will die Dächer wegen hoher Unterhaltskosten und Instandhaltungsrückstau vielerorts loswerden. Jedoch besteht oft Denkmalschutz und eine schöne Bausubstanz, hierfür wären also dringend ein Investitionsprogramm und mehr Ingenieur-Know-how für die Statik nötig. Wetterschutzhäuser werden oft nicht als gleichwertige Alternative zu Bahnsteigdächern gesehen.
Bei den Bahnhofsgebäuden haben wir oft ein riesiges Problem. In den kleineren Stationen gibt es häufig Leerstand. Sogar Wohnungen stehen leer, was angesichts des Wohnungsmangels völlig inakzeptabel ist. Oft unterbleiben notwendige Sanierungen, sofern nicht die Kommune oder private engagierte Käufer ein Gebäude renovieren und betreiben, und das meistens defizitär. Viele Verkäufe von Gebäuden enden in Desastern, z.B. wenn sie bei Auktionen versteigert werden und private Käufer völlig überfordert sind mit Finanzierung, Umnutzung und Entwidmung. Der Bund hat überhaupt keinen Überblick über den Zustand und die Eigentumssituation der 3.000 Bahnhofsgebäude in Deutschland, von denen mittlerweile 2.300 verkauft wurden. Stattdessen zeigt er völliges Desinteresse. Hier herrscht insgesamt Blindflug, und es wäre dringend ein ganzheitlich angelegtes Investitionsprogramm nötig. Die meisten Förderprogramme für Bahnhöfe werden von der DB vorgeschlagen und dann mit dem Bund verhandelt. Der Bund hat offenbar keinen eigenen Qualitätsanspruch und kein eigenes Konzept für durchgängig attraktive Bahnhöfe.
Die extremen Sparzwänge der Nuller Jahre gibt es mittlerweile nicht mehr. Bundesmittel für die Bahn stehen in viel größerem Umfang zur Verfügung als bisher, und Umschichtungen vom Straßenneubau und anderen klimaschädlichen Subventionen sind in den nächsten Jahren zusätzlich zu erwarten (wir werden dies jedenfalls weiter energisch einfordern). Ziel von uns Grünen sind flächendeckend attraktive Bahnhöfe als Zugang zum System Bahn und als Visitenkarte von Stadt und Bahn. Die Bahnhöfe sind als Teil der Netzinfrastruktur Eigentum des Bundes und zugleich Teil der Daseinsvorsorge, d.h. der Bund muss sich viel stärker um die Defizite seines Eigentums kümmern, denn Eigentum verpflichtet bekanntlich.
Mit Rahmenvereinbarungen mit fast allen Bundesländern versucht DB Station&Service, die vielen Lücken zu stopfen, die eigentlich auf Bundesebene geklärt werden müssten*. Auch Städte werden zur Kasse gebeten, wenn sie einen ordentlichen Bahnhof wollen. Verhandlungen zur Bahnhofsaufwertung dauern oft mehr als fünf Jahre, da viele Schnittstellen zwischen Stadt und Bahn nicht klar geregelt sind. Man stelle sich vor, die Fassade einer Autobahnraststätte müsste mal wieder gestrichen werden und der Betreiber geht zur Kommune oder zum Land und bettelt um Geld. Das wäre unvorstellbar, bei Bahnhöfen ist es die traurige Realität.
Ein weiterer Mosaikstein im Stückwerk der Förderungen ist das 1.000 Bahnhöfe-Programm der Bundesregierung, das sicherlich gut gemeint war aber symptomatisch ist. Um es mal etwas zuzuspitzen: Wir brauchen ein 5.700-Schöne-Bahnhöfe-Programm, damit bis 2030 wirklich jeder Bahnhof möglichst attraktiv oder zumindest in gutem Zustand ist!
*Das Land Baden-Württemberg geht mit dem neuen Bahnhofsmodernisierungsprogramm einen großen Schritt voran. Es ist bundesweit einzigartig, da es den Bahnhof erstmalig ganzheitlich betrachtet. Davon sollte sich der Bund eine Scheibe abschneiden, denn sowas gehört eigentlich auf Bundesebene. Mehr Infos hier
Link zur Kleinen Anfrage Förderung von Aufenthaltsqualität an Bahnhöfen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN