09.08.2015
Einen Nachmittag und Abend war ich mit einem Leihfahrrad fahrradpolitisch in Heidelberg unterwegs. Begleitet wurde ich von Hermino Katzenstein (ADFC) und Stadtrat Christoph Rothfuß. Heidelberg ist – mit Freiburg zusammen – innerhalb von Baden-Württemberg ganz vorne, was den Anteil der Wege angeht, die mit dem Fahrrad zurückgelegt werden. Fast jeder dritte Weg wird in beiden Städten inzwischen mit dem Rad zurückgelegt – Tendenz hier wie dort steigend.
Meine erste Station führte mich zum ambulantem Pflegedienst “Frauen pflegen Frauen”. Träger des 1995 gegründeten Pflegedienstes ist der „Verein zur beruflichen Integration und Qualifizierung e. V.“. Das Besondere: Der Dienst verfügt über keine Autos. Die zehn angestellten Pflegekräfte besuchen ihre PatientInnen ausschließlich mit dem Fahrrad. Der Dienst ist unterwegs in Heidelberg mit allen Stadtteilen – außer denen, die auf dem Berg liegen (diese sind aber zugleich auch zu weit weg). Einige der Pflegekräfte nutzen ihre eigenen Räder, andere nutzen die Dienstfahrräder. Mit dem Pedelec ist aber keine der Pflegerinnen unterwegs. Pro Dienst und Pflegekraft werden etwa 25 Kilometer zurückgelegt. Ambulante Pflege ohne Auto – das ist einmalig in Deutschland. Und es blieb bisher trotz des positiven Beispiels aus Heidelberg einmalig. Weshalb findet dieses Modell keine Nachahmer? Weshalb wird bei Pflegediensten in städtischen Regionen nicht häufiger auf Autos verzichtet oder zumindest der Einsatz von Autos reduziert, obwohl die Wege zwischen den einzelnen PatientInnen in aller Regel sehr kurz sind und meist nur wenig Material mitgeführt werden muss? Ein Erklärungsversuch von zwei Pflegekräften von „Frauen pflegen Frauen“: Viele fühlen sich auf dem Rad im Straßenverkehr unsicher; der Verkehrsraum ist häufig für den Radverkehr nicht geeignet; Wege für den Radverkehr sind eng und von Hindernissen gesäumt; es gibt zu wenig geeignete Abstellflächen für Fahrräder etc. Ich jedenfalls wünsche mir, dass es bald Nachahmer gibt. Vielleicht machen es die Pedelec-Lastenräder einfacher und bringen Veränderungen. Hersteller von Lastenrädern mit elektrischer Unterstützung jedenfalls haben ambulante Pflegedienste bereits als Zielgruppe im Blick.
Weiter ging es zum verkehrspädagogischen Projekt des ADFC. Der ADFC bietet für Kita-Kinder und erste Grundschulklassen die Verleihung von Rollern an, um die sensomotorischen Fähigkeiten der Kinder zu fördern und sie ans sichere Radfahren heranzuführen. In den Klassen 3 und 4 wird Kindern das Thema Sicherheit mit dem Fahrrad näher gebracht und sie werden auf die Fahrradausbildung vorbereitet. OberstufenschülerInnen schließlich werden zu Fahrradlotsen ausgebildet, die Fünftklässlerinnen mit dem Rad auf dem Schulweg begleiten.
Nun stand das Existenzgründungszentrum für den Kreativbereich mit dem Start-Up-Unternehmen “Coboc” auf dem Besuchsprogramm. Das vor vier Jahren gegründete und 2014 auf den Markt getretene Unternehmen entwickelt, stylt und baut schicke Pedelecs. Die Besonderheiten: Die Räder sind mit 13,5 kg besonders leicht, Motor und Akku stecken im Rahmen und die Teile stammen überwiegend aus der Region. Der Vertrieb läuft über den Fachhandel in Deutschland und bereits einigen Nachbarländern. Und er läuft so gut, dass bald größere Räumlichkeiten bezogen werden müssen.
Obwohl es nichts mit dem Thema „Radverkehr“ zu tun hat, besichtigten wir “Annas Unverpacktes”. Der Laden lag einfach auf dem Weg. Dort werden unverpackte Bio-Lebensmittel wie Müsli und Nudeln verkauft.
Schließlich unternahmen wir eine kleine Radtour durch Heidelberg, um uns Stärken und Schwächen des Radverkehrsnetzes anzuschauen.