Meine Rede im Bundestag zur Bahnpolitik mit den Aspekten Wettbewerbsgerechtigkeit gegenüber anderen Verkehrsträgern, der Finanzierung des Nah- und Regionalverkehrs, der Zukunft des Nachtzugs, des dringend benötigten neuen Wagenmaterials … und der leider mangelnden Wertschätzung des Systems Schiene durch die GroKo.
Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Vor einem Jahr standen wir hier und haben über die Bilanz von 20 Jahren Bahnreform diskutiert. Damals war es mir ein besonders großes Anliegen, dass wir diese Bilanz ehrlich ziehen, insbesondere im Hinblick auf die Situation des Schienenfernverkehrs. Leider wurde sie hier von der Mehrheit eher geschönt dargestellt, und dementsprechend ist seither auch nichts zur Stärkung des Fernverkehrs auf der Schiene und nichts zur Stärkung des Systems Schiene insgesamt geschehen. Ganz im Gegenteil, die Schiene wurde im Wettbewerb mit dem Auto, mit dem Fernbus, mit dem Flugzeug und mit dem Lkw einseitig weiter belastet.
Hinzu gekommen sind die Belastung bei der EEG-Umlage ‑ 70 bis 80 Millionen Euro zusätzlich ‑, die Senkung der Lkw-Maut. Das macht umgerechnet eine Wettbewerbsungerechtigkeit von etwa 200 Millionen Euro aus. Außerdem hat sich nichts geändert beim Wettbewerb zwischen der Schiene und anderen Verkehrsmitteln. Die Bus-Maut fehlt nach wie vor. Der Zug zahlt für jeden Kilometer Trasse, die er benutzt, aber der Fernbus bezahlt nichts für die Straßennutzung.
Wir unterstützen den Antrag der Linken bezüglich der Mehrwertsteuer von der Stoßrichtung her. Der Flugverkehr zahlt teilweise keine Mehrwertsteuer, aber bei der Schiene muss man 19 Prozent Mehrwertsteuer auf das Ticket bezahlen.
Beim Lärmschutz ‑ er ist uns sehr wichtig, um die Akzeptanz der Schiene auch im Güterverkehr zu erhöhen ‑ ist es so, dass die Bahnen selber dafür bezahlen müssen, während der Straßenverkehr für den Lärmschutz nichts bezahlen muss; das ist steuerfinanziert.
Wenn man weiter schaut, wie es im System Schiene aussieht, dann muss man leider feststellen: Die Politik lässt die Länder und die Kommunen im Stich bei der Finanzierung des Nah- und Regionalverkehrs. Es gibt keine Klarheit darüber, wie es mit dem auslaufenden Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz weitergeht. Wer wird künftig die Investitionskosten schultern und unterstützen? Es gibt keine vernünftige Regelung bei den Regionalisierungsmitteln. Die Große Koalition bleibt mit ihrem Gesetzentwurf sogar hinter den Empfehlungen ihres eigenen Gutachters zurück. Damit ist die Große Koalition drauf und dran, den einzigen unstrittigen Erfolg der Bahnreform, nämlich die Regionalisierung, regelrecht gegen die Wand zu fahren, weil sie nicht für die Sicherheit bei der Bestellung des Nah- und Regionalverkehrs sorgt, die so dringend notwendig wäre.
(Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): Ich würde einmal die Verhandlungsergebnisse abwarten!)
Dann schauen wir einmal, welche Anforderungen die Politik, auch der Eigentümer der Deutschen Bahn, an den Konzern stellt. Er möchte, dass die Schulden ‑ inzwischen 17 Milliarden Euro ‑ abgebaut werden, dass mehr in den Erhalt der Infrastruktur investiert wird, dass vorhandene Lücken in der Infrastruktur geschlossen werden, dass die Dividende höher ausfällt als bisher. Der Konzern wird genötigt, ein unsinniges Projekt wie Stuttgart 21 zu bauen und die Mehrkosten ‑ zuletzt 2 Milliarden Euro ‑ selber zu stemmen. All diese Anforderungen, die der Eigentümer an diesen Konzern stellt, gehen nie und nimmer zusammen. Die Deutsche Bahn steht von allen Seiten unter Druck. Einerseits besteht die ungerechte Wettbewerbssituation mit Blick auf andere Verkehrsträger; andererseits müsste die DB und/oder der Eigentümer, der Bund, mehr in den Erhalt der Infrastruktur investieren. Dringend notwendig ist auch neues rollendes Material. Man muss sich einmal anschauen, mit welchen Mängeln die Züge jeden Morgen auf das Gleis gesetzt werden: mit nicht funktionierenden Behinderten-WCs, mit defekten Türen, ohne Speisewagen, mit zu wenigen Wagen, sodass Reservierungen der Fahrgäste nicht gewährleistet sind. Wir brauchen dringend neue Züge. Wie sollen sie finanziert werden? Sie sind aber als Reserve notwendig. Sie sind auch notwendig, weil die Fahrgäste entsprechende Anforderungen haben, die das bestehende Wagenmaterial nicht erfüllt. Steckdosen, WLAN, Barrierefreiheit, funktionierende Gastronomie – all das sind die Anforderungen des Fahrgastes von heute.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Was passiert stattdessen? – Das Nachtzugangebot wird ausgedünnt, obwohl die Nachfrage – das gibt inzwischen auch der DB-Konzern zu – sehr hoch ist. Wir fordern, dass jetzt schleunigst ein Konzept für die Zukunftsfähigkeit des Nachtzuges vorgelegt wird. Wir fordern, dass die DB Investitionen in neue Nachtzüge tätigt. Ohne neues Wagenmaterial hat der Nachtzug nämlich keine Chance. Wir als Grüne werden hier nicht nachlassen und Druck machen, bis wir das Konzept für die Zukunft des Nachtzuges tatsächlich auf den Tisch bekommen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das Hauptproblem ist jedoch die mangelnde Wertschätzung seitens eines großen Teils dieses Parlamentes und der Bundesregierung gegenüber dem System Schiene. Das drückt sich in der Summe der Beträge aus, die in die Schiene investiert werden. Pro Kopf und Jahr werden in Deutschland 54 Euro investiert, in der Schweiz aber beispielsweise 366 Euro. Das macht deutlich, wie gering die Wertschätzung ist. Die Schweizer sind stolz auf ihre Bahn. Wir wollen, dass auch wir Deutschen stolz auf unsere Bahn sein können,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Auf eine Bahn, die pünktlich, zuverlässig und umweltgerecht Menschen und Güter transportiert. Mit der Politik, die Sie betreiben, ist das aber leider nicht möglich.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Hier kann die Rede angeschaut und angehört werden: http://www.bundestag.de/mediathek/?isLinkCallPlenar=1&action=search&contentArea=details&ids=4704487&instance=m187&categorie=Plenarsitzung&destination=search&mask=search