04.07.2020
Wahlrechtsreform scheitert an CDU/CSU und SPD
Spätestens seit 2013 ist klar, dass es eine Wahlrechtsreform braucht, um einen zu großen Bundestag zu verhindern. FDP, Linke und Grüne haben einen gemeinsamen Gesetzentwurf erarbeitet und Ende 2019 in den Bundestag eingebracht. Von der Koalition kam nichts.
Sollte die Union bei der Bundestagswahl viele Direktmandate erringen, aber ein relativ schlechtes Zweitstimmenergebnis erzielen, entstehen Überhangmandate, die wiederum Ausgleichsmandate nach sich ziehen. Die Ausgleichsmandate sind notwendig, damit jeder Partei das ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehende Sitzzahlverhältnis erreicht. Nur dann ist sichergestellt, dass die Stimme für jede Partei, die den Einzug ins Parlament geschafft hat, gleich viel wert ist. Dadurch kann aber ein noch größerer Bundestag entstehen als der derzeitige mit seinen 709 Mitgliedern. Das gilt es mit Hilfe einer Wahlrechtsreform. Union und SPD haben eine solche jedoch einmal mehr verhindert. Der einzige vorliegende und abstimmungsfähige Gesetzentwurf ist der aus Reihen der demokratischen Opposition. Der Gesetzentwurf wurde vorberaten und bei einer Anhörung auf Herz und Nieren geprüft. Doch die beiden Regierungsfraktionen verhinderten gestern die Abstimmung im Plenum, um nicht gegen den einzigen Gesetzentwurf, mit dem eine Aufblähung des nächsten Bundestage hätte verhindert werden können, zu vermeiden. Unser Vorschlag sieht im Kern eine Reduzierung der Wahlkreise von heute 299 auf 250 vor.
Eine Aufblähung des Deutschen Bundestages muss unbedingt vermieden werden. Zwar darf eine Demokratie nicht an ihren Kosten bemessen werden. Sie muss in erster Linie funktionieren. Eine womöglich deutlich höhere Anzahl an Abgeordnete würde Diskussions- und Entscheidungsprozesse und damit die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigen. Den Handlungsbedarf schienen aber nicht alle gleichermaßen erkannt zu haben. Die Unionsfraktion befasste sich in dieser Woche überhaupt erstmals (!) in einer Fraktionssitzung mit diesem Thema. Ein Vorschlag des Fraktionsvorsitzenden stieß umgehend in der eigenen Fraktion auf Widerspruch. Die SPD scheint es ebenfalls nicht sonderlich eilig zu haben und einige Ihrer Abgeordneten bezweifelten sogar immer wieder, dass es einer Parlamentsverkleinerung bedarf. Bei mir drängt sich mehr und mehr der Verdacht auf, dass Union und SPD die weitere Aufblähung des Parlamentes hinnehmen wollen, weil sie dadurch viele ihrer Mandate trotz womöglich schlechterer Wahlergebnisse absichern können.
Wir Grünen sind seit Jahren gesprächsbereit. Für uns ist klar: Das Parlament darf eine bestimmte Größe nicht überschreiten, um sich seine volle Arbeitsfähigkeit zu erhalten. Dabei muss jede Wählerinnen- und Wählerstimme gleich viel wert bleiben. Die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag müssen weiterhin dem Wählerwillen, der im Zweitstimmenergebnis zum Ausdruck gebracht wird, entsprechen.
Aus meiner Sicht ist die Nicht-Einigung extrem schädlich fürs Ansehen des Deutschen Bundestages und damit für die Demokratie an sich. Politik muss stets handlungsfähig sein – auch in eigener Sache. Union und SPD hätten es nicht zulassen dürfen, dass sich das Parlament ohne eine Lösung in die Sommerpause verabschiedet.
Ob eine Entscheidung nach der Sommerpause realistisch ist werden wir sehen. Ein Jahr vor einer Wahl kann das Wahlrecht nicht mehr geändert werden.