28.02.2023
Interview mit Nahverkehrsgesellschaft B‑W
Die Bodenseegürtelbahn ist auf ihrer gesamten Länge von Friedrichshafen bis Radolfzell nicht elektrifiziert und weitgehend, nämlich zwischen Stahringen (bei Radolfzell) und Friedrichshafen, eingleisig. Planungen und Untersuchungen für die Elektrifizierung und einen abschnittsweisen zweigleisigen Ausbau laufen. Darüber sprach ich mit der Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg (NVBW).
1. Frage: Die Strecke ist eingleisig und nicht elektrifiziert. Für einen Ausbau (Elektrifizierung, zweigleisige Abschnitte) wurden verschiedene Betriebskonzepte untersucht. Welches davon wird die Grundlage für die Ausbauplanungen sein? Was sind die Vorteile gegenüber dem heutigen Fahrplanangebot?
Antwort: Grundlage für die Ausbauplanung ist die Vorzugsvariante. Die Vorzugsvariante sieht zahlreiche Verbesserungen gegenüber dem heutigen Angebot vor, insbesondere eine Verdichtung des RB-Angebots zwischen Friedrichshafen und Radolfzell ganztägig auf einen Halbstundentakt, eine Verdichtung des RE-Angebots vom Zweistunden- auf einen Stundentakt und eine bessere Knoteneinbindung der Verkehre in Friedrichshafen und Radolfzell.
2. Steht neben der Elektrifizierung inzwischen fest, auf welchen Streckenabschnitten einzelne Doppelspurabschnitte geplant werden?
Die folgenden Streckenabschnitte sollen nach derzeitigem Planungsstand zweigleisig ausgebaut werden:
- Friedrichshafen Stadt – Friedrichshafen Manzell
- Kluftern – Bermatingen-Ahausen
- Uhldingen-Mühlhofen – Überlingen-Nußdorf
- Ludwigshafen – Überleitstelle Espasingen Ost
- Stahringen – Überleitstelle Stahringen Ost
- Brandbühltunnel
3. Seit Sommer 2022 gibt es die neue “Standi”. Diese runderneuerte Bewertungsmethodik des Bundes ist die Voraussetzung für die Bezuschussung von “regionaler” Infrastruktur durch den Bund. Die neue “Standi” wird oft gelobt, da mehr Projekte die Chance einer Förderung erhalten und die Förderkriterien etwas weiter gefasst werden als bisher. Wirkt sie sich auf den geplanten Ausbau der Bodenseegürtelbahn aus und wenn ja inwiefern?
Die standardisierte Bewertung für die Bodenseegürtelbahn wird derzeit erarbeitet, deshalb sind abschließende Aussagen zum Ergebnis der neuen gegenüber der alten standardisierten Bewertung noch nicht möglich. Wir hoffen aber, dass sich insbesondere durch den gestiegenen CO2-Preis und im Falle der Bodenseegürtelbahn die Betrachtung der touristischen Bedeutung positive Effekte für das Gesamtergebnis ergeben.
4. Erfahrungen aus jüngeren Ausbaumaßnahmen zeigen leider, dass auf Grundlage der bisherigen Fördergrundsätze (standardisiertes Verfahren, “Standi”) Bahn-Infrastruktur weiter auf “Kante genäht” bleibt. Unterstellt werden immer optimale Voraussetzungen. Wenn das Kuppeln von Zügen, der Fahrgastwechsel oder was auch immer etwas mehr Zeit beanspruchen, dann lassen sich die Betriebskonzepte auf der dafür (zu knapp) ausgebauten Infrastruktur nicht fahren. Wir haben dies auf der Breisgau-S-Bahn und der Ammertalbahn erlebt. Wie optimistisch ist die NVBW, dass sich das vorgesehene Betriebskonzept am Bodensee zuverlässig fahren lässt? Müsste infrastrukturell mehr gemacht werden, als förderfähig ist?
Das Ausbaukonzept der Bodenseegürtelbahn sieht vor, die Strecke im Abschnitt zwischen Stahringen und Friedrichshafen (dieser Abschnitt ist bisher durchgehend eingleisig, Anm. Matthias Gastel) auf einer Länge von 22 Kilometer zweigleisig auszubauen. Das entspricht etwa 40 Prozent der gesamten Streckenlänge von 52 Kilometer. Zusätzlich entsteht ein neuer Kreuzungsbahnhof in Sipplingen. Der Abschnitt zwischen Stahringen und Radolfzell wird durch den zweigleisigen Ausbau des Brandbühltunnels zukünftig durchgehend zweigleisig sein. Aufgrund des deutlich größeren Ausbauumfangs als bei vergangenen Projekten, sind wir optimistisch eine gute Betriebsqualität erreichen zu können. Dies wird derzeit im Rahmen einer eisenbahnbetriebswissenschaftlichen Untersuchung überprüft.
5. Was lässt sich zu den voraussichtlichen Kosten und die Finanzierung sagen?
Die aktuellen Kosten für die Vorzugsvariante mit Preisstand 2022 betragen 590 Millionen Euro. Nach Abzug der Bundesförderanteile nach dem GVFG – 90 Prozent der zuwendungsfähigen Kosten für Projektanteile der Elektrifizierung, 75 Prozent für Anteile sonstiger Infrastruktur und der Planungskostenpauschale i. H. v. 10 Prozent der zuwendungsfähigen Kosten – werden die verbleibenden Kosten von Land und Interessenverband getragen.
6. Wie weit sind die Planungen gediehen? Wann kann mit einem Baubeginn, wann mit der Inbetriebnahme gerechnet werden?
Die technischen Planungsleistungen für die Grundlagenermittlung und Vorplanung sind abgeschlossen. Aktuell laufen noch gutachterliche Untersuchungen zum Baugrund und ab März dieses Jahres wird mit der Vermessung und digitalen Aufnahme der Strecke und Bauwerke begonnen. Nach Festlegung auf die Vorzugsvariante im Lenkungskreis Dezember 2022 wird aktuell die darauf basierende Eisenbahnbetriebswissenschaftliche Untersuchung durchgeführt. Das Ergebnis wird vsl. bis Mitte 2023 vorliegen. Über den Zeitpunkt der Inbetriebnahme liegen derzeit noch keine Informationen vor.
7. Wie wichtig ist die zeitliche Synchronisation der Elektrifizierung von Bodenseegürtel- und Hochrheinbahn? Was würde geschehen, wenn die Hochrheinbahn schon einige Jahre früher über die Oberleitung verfügen würde?
Die Elektrifizierung der Bodenseegürtelbahn ist zusammen mit der Hochrheinbahn von besonderer Bedeutung , um die RE-Linie Ulm – Basel zukünftig stündlich durchgehend anbieten zu können. Im Falle einer früheren Fertigstellung der Hochrheinbahn wird es auf der Bodenseegürtelbahn für einige Jahre bis zur Fertigstellung des Ausbaus zu einem Inselbetrieb mit Dieselzügen kommen.