Neuer Wein in alten Schläuchen
Von Stephan Kühn und Matthias Gastel
Planst Du noch oder baust Du schon? In Deutschland wird meist noch geplant, während anderorts bereits die Bagger rollen. Zwischen Planungsbeginn und Baufreigabe von Verkehrsprojekten liegen oft 10 bis 15 Jahre, mitunter sogar Jahrzehnte. Das darf nicht so bleiben. Engpässe im Schienennetz und ein überlasteter städtischer Nahverkehr verlangen nach zügigen Investitionen. Der Klimaschutz duldet keinen weiteren Aufschub.
Die Bundesregierung will deshalb eine alte Idee aufwärmen, um Projekte schneller baureif zu bekommen. Im 30. Jahr der Deutschen Einheit soll Baurecht wie einst bei einigen Verkehrsprojekten „Deutsche Einheit“ per Gesetz erwirkt werden. Statt einem Verwaltungsakt soll der Deutsche Bundestag entscheiden. Was vernünftig klingt – mehr Verantwortung für das Parlament – entpuppt sich bei genauer Betrachtung lediglich als Instrument, um Klagen von Bürgern und Umweltverbänden zu verhindern. Denn gegen ein per Gesetz genehmigtes Verkehrsprojekt kann nur eine Verfassungsbeschwerde eingelegt werden. Bei den Verkehrsprojekten „Deutsche Einheit“ hat das zu keinerlei Beschleunigung geführt, weshalb man von diesem Verfahren wieder abgerückt ist. Stattdessen werden die vermeintlich Schuldigen für stockende Projekte benannt: die Umweltverbände. Mit ihren Klagen seien sie dafür verantwortlich, dass die Bagger in Deutschland stillstehen. Dabei gibt es bei hunderten Projekten jährlich nur eine Handvoll Verbandsklagen. Die Ursachen für langwierige Planungsprozesse liegen woanders.
Hauptgrund sind fehlende Planungskapazitäten und Genehmigungsbehörden, die unter dem Credo des „schlanken Staates“ kaputtgespart wurden. Ergebnis dieser Sparpolitik: Verfahren stocken, weil Fachleute fehlen. Das rächt sich jetzt, weil der Arbeitsmarkt leergefegt ist. Zudem sind die Planungsverfahren aufwendig und Untersuchungen werden doppelt gemacht. Bei Neubauvorhaben werden zahlreiche im üblichen Raumordnungsverfahren geprüfte Aspekte im sich anschließenden Planfeststellungsverfahren erneut geprüft, was Zeit kostet. Es fehlt zudem eine bundesweite Standardisierung von Umweltuntersuchungen. Viele Verfahren könnten schlanker werden. Für Ersatzneubauten wie Brücken sollte kein umfangreiches Planfeststellungsverfahren mehr nötig sein. Gleiches sollte gelten, wenn Bahnstrecken elektrifiziert oder mit digitaler Technik ausgestattet werden.
Wir sind überzeugt: Wenn die Belange des Naturschutzes von Anfang an berücksichtigt werden, kommt man mit besseren Planungen schneller zum Ziel. Man schafft keine Akzeptanz für Infrastrukturprojekte, indem man die Rechte von Bürgern und Verbänden beschneidet. Wir brauchen mehr Kooperation statt Konfrontation in der Zusammenarbeit der Behörden mit Umweltverbänden. Deren Expertise wird, wenn überhaupt, nur am Rande in die Planungen einbezogen. Man sieht sie meist als Gegner und nicht als Gesprächspartner auf Augenhöhe.
Bürger werden nicht oder zu spät in den Verfahren beteiligt – zu oft erst dann, wenn die Grundsatzentscheidungen zu einem Projekt längst gefallen sind und nur noch Details wie die Höhe von Lärmschutzwänden beeinflusst werden können. Dadurch wird die Akzeptanz der Planungen systematisch geschwächt, Widerstände und Klagen gegen Projekte geradezu provoziert. Notwendig ist eine verbindliche, umfassende und frühzeitige Bürgerbeteiligung, bei der auch Alternativen zu den vorgeschlagenen Projekten zur Sprache kommen müssen. Bei der Beteiligung muss der Grundsatz der Chancengleichheit gelten: dialogisch und auf Augenhöhe. Die Deutsche Bahn ist mit ihren Dialogforen zu Großprojekten bereits auf dem richtigen Weg, um die Bürger von den Vorteilen neuer Bahninfrastruktur zu überzeugen.
Deutschland braucht eine leistungsfähige Infrastruktur, die vor Ort Akzeptanz findet. Anstatt den Bürgern ihre Rechte zu entziehen, braucht es eine neue Beteiligungskultur. Nur so besteht die Chance, eine moderne Infrastruktur zu bauen, die den vielfältigen Ansprüchen unserer Gesellschaft im 21. Jahrhundert genügt.
Stephan Kühn ist Sprecher für Verkehrspolitik und Matthias Gastel Sprecher für Bahnpolitik der Grünen-Bundestagsfraktion.