Meine Thesen:
- Die geplante befristete Absenkung der Mehrwertsteuer ist einer der teuersten Bestandteile des Konjunkturpakets und muss alleine schon aus diesem Grund besonders kritisch auf seine Wirksamkeit hinterfragt werden.
- Es bleibt unklar, was die Mehrwertsteuersenkung bewirken soll: Soll sie den Unternehmen eine Erhöhung ihrer Gewinnspannen ermöglichen oder aber wird daran die Erwartung geknüpft, dass der Vorteil an die Endkunden weiter gegeben wird und diese vermehrt konsumieren? Das erste Ziel (Gewinnoption) wäre für die von der Krise besonders gebeutelten Branchen wie die Gastronomie (diese profitiert bereits von einer sinnvollen Mehrwertsteuersenkung) oder den stationären Einzelhandel sehr zu begrüßen. Die vorgesehene Mehrwertsteuersenkung kommt aber auch Branchen wie dem Onlinehandel und Drogeriemärkten zugute, die keine Einbußen hatten.Das zweite Ziel, mittels niedrigerer Verkaufspreise Konsumanreize zu setzen (Endkunden-Option), wird – eine tatsächliche Senkung der Preise vorausgesetzt – durch den geringen Preiseffekt verpuffen. Ein Pullover, der bisher 80 Euro kostet, würde auf 78 Euro reduziert werden. Eine Kauflaune wird dadurch nicht ausgelöst, zumal es neben dem verfügbaren Haushaltsbudget andere Gründe wie die Angst vor Infektionen gibt, die von Einkaufstouren außerhalb des Internets abhalten.Die Mehrwertsteuersenkung ist zunächst populär, wird letztlich aber Frust auslösen: Bei den Unternehmen wegen des hohen Umsetzungsaufwandes und bei den Endverbrauchern, weil Preise nur selten und selbst dann nur geringfügig sinken werden.
- Die Mehrwertsteuersenkungen gelten völlig undifferenziert für alle Produkte, also sowohl für gesunde Lebensmittel, Fahrräder und Kleidung als auch für Dieselkraftstoff, Süßwaren und Tabak. Damit wird eine Chance vertan, zugunsten von Gesundheit, Umwelt- und Klimaschutz gezielte steuerliche Anreize zu setzen. Nach meiner Meinung müsste das Konjunkturpaket dazu beitragen, dass manche Dinge nach der Krise besser werden als sie es zuvor waren.
- Ein großer Teil der Mehrwertsteuer betrifft Geschäfte zwischen Unternehmen, für die diese Steuer durchlaufende Posten darstellen. Dennoch müssen sie ihre Systeme anpassen.
- Die Anpassung der Systeme wird teuer. Die Umstellung eines Kassensystems kann schon ein kleines Geschäft im Bereich des Einzelhandels 300 Euro zum 01. Juli und denselben Betrag wieder zum 01. Januar 2021 kosten. Hinzu kommen Beratungsaufwendungen für Steuerberater, erhöhte Aufwendungen für die Rechnungsprüfung und vieles mehr.Rechnungen für Leistungen, die bereits vor dem 01. Juli begonnen oder aber über den 31.12.2020 hinaus erbracht werden, müssen auf die jeweiligen Leistungszeiträume aufgesplittet werden.
- Die Deutsche Bahn hat bereits angekündigt, die geringere Mehrwertsteuer an die Fahrgäste weiter geben zu wollen. Dies bedeutet dann aber auch, dass die Preise im Januar steigen. Bei den Fahrgästen in Erinnerung bleiben dürfte am Ende lediglich das Gefühl, Bahnfahren würde teurer werden. Während die zu Jahresbeginn 2020 in Kraft getretene dauerhafte Reduzierung der Mehrwertsteuer im Fernverkehr auf den ermäßigten Mehrwertsteuersatz sehr sinnvoll war, muss nun die Frage gestellt werden: Ist das, was im Rahmen des Hilfspaketes vorgesehen ist, mehr als purer Aktionismus?
Fazit: Eine allgemeine Senkung der Mehrwertsteuer ist alles andere als zielgerichtet. Zu hohen Kosten durch Steuerausfälle kommen hohe Kosten bei der Umsetzung hinzu. Die Wirkung auf die Konjunktur ist höchst fragwürdig.