Soziale Arbeit in der Pandemie

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23.01.2021

Gespräch mit Beratungsstelle und Tafelladen

Immer wie­der wird, sicher­lich nicht zu Unrecht, bemän­gelt, dass in der Pan­de­mie­be­kämp­fung sozia­le Aspek­te hin­ter den gesund­heit­li­chen Not­wen­dig­kei­ten zu kurz kom­men. Daher habe ich Vertreter*innen sozia­ler Insti­tu­tio­nen zum öffent­li­chen Gespräch ein­ge­la­den.

Tafel­lä­den und Bera­tungs­stel­len gehö­ren zu Insti­tu­tio­nen der sozia­len Arbeit, mit denen ich bereits vor der Coro­na­kri­se immer wie­der im Rah­men mei­ner Wahl­kreis­ar­beit als Abge­ord­ne­ter im Kon­takt stand. Dies habe ich in der Kri­se fort­ge­setzt und nun zum öffent­li­chen Gespräch ein­ge­la­den. Frau Dr. Chris­tia­na Ber­ner ist die Lei­te­rin der Psy­cho­lo­gi­schen Bera­tungs­stel­le Fil­der. Getra­gen wird die Bera­tungs­stel­le mit Anlauf­stel­len unter ande­rem in Ech­ter­din­gen und Fil­der­stadt-Bern­hau­sen von der Dia­ko­nie. Mein zwei­ter Gesprächs­part­ner war Sven Jaiss­le, Lei­ter Wirt­schaft und Finan­zen der Cari­tas Fils-Neckar-Alb, Trä­ger von Tafel­lä­den auch in Ess­lin­gen und Nür­tin­gen.

Orga­ni­sa­ti­on der sozia­len Arbeit in der Pan­de­mie

Abstands­re­ge­lun­gen und ande­re Vor­ga­ben und Maß­nah­men, die dem Infek­ti­ons­schutz eige­ner Beschäf­tig­ter sowie der Klient*innen die­nen, haben auch die sozia­le Arbeit stark ver­än­dert. Sie muss­te sich in Tei­len neu erfin­den. Die Bera­tungs­stel­len bie­ten ver­mehrt Bera­tun­gen per Tele­fon und in Video­for­ma­ten an. Etwa 40 bis 50 Pro­zent der Bera­tun­gen fin­den jedoch nach wie vor „Face to Face“ statt – mit Abstand und Ple­xi­glas­wän­den in den Räu­men. So konn­ten die Bera­tungs­an­ge­bo­te durch­ge­hend auf­recht­erhal­ten wer­den. Video­for­ma­te sol­len aber auch nach der Pan­de­mie eine Opti­on blei­ben. Die Tafel­lä­den hat­ten teil­wei­se ganz ande­re Pro­ble­me: Sie sind stark vom Ehren­amt abhän­gig. Vie­le der Ehren­amt­li­chen gehö­ren sel­ber zur Risi­ko­grup­pe und konnten/können viel­fach nicht ein­ge­setzt wer­den. Auch die Mit­ar­beit durch Men­schen in Arbeits­ge­le­gen­hei­ten muss­te, teils auf Order des Job­cen­ters, ver­rin­gert wer­den. Die Aus­fäl­le wur­den teil­wei­se durch bezahl­te Kräf­te kom­pen­siert und auch Stu­die­ren­de sind ein­ge­sprun­gen. Den­noch muss­ten die Öff­nungs­zei­ten um einen Tag redu­ziert wer­den. In den Läden gel­ten Ein­lass­be­schrän­kun­gen. Meist dür­fen nur drei bis vier Kund*innen gleich­zei­tig den Laden betre­ten.

Wie die Pan­de­mie Pro­blem­la­gen ver­än­dert

Frau Dr. Ber­ner von der Psy­cho­lo­gi­schen Bera­tungs­stel­le berich­te­te, dass bei eini­gen Men­schen durch den Lock­down die Tages­struk­tur weg­ge­bro­chen ist. Beson­de­re Sor­gen macht sie sich über jun­ge Men­schen, die star­ken Ver­än­de­run­gen bei­spiels­wei­se durch Home­schoo­ling beding­te Kon­takt­re­du­zie­run­gen oder auch Schwie­rig­kei­ten bei der Suche nach einem Aus­bil­dungs­be­ruf aus­ge­setzt sind. Auch fami­liä­re Situa­tio­nen sei­en häu­fig belas­tend. Die Ein­sam­keit, die eini­ge Men­schen stark emp­fin­den, kann sich auf die Stim­mung aus­wir­ken und bis hin zu Depres­sio­nen füh­ren. Wich­tig sind ver­läss­li­che Kon­tak­te zu ande­ren Men­schen. In begrenz­tem Maße las­sen sich die­se not­wen­di­gen Halt geben­den Kon­tak­te auch tele­fo­nisch und über Video­for­ma­te pfle­gen, wenn die­se die erfor­der­li­che Tie­fe bie­ten und auch mal Humor zur Kon­takt­qua­li­tät bei­trägt. Gibt es Per­so­nen­krei­se, auf die Kon­takt­re­du­zie­run­gen ent­las­tend wir­ken? Ja, so Frau Dr. Ber­ner. Wer mit ande­ren Men­schen häu­fi­ger Pro­ble­me hat oder bei­spiels­wei­se nicht ger­ne in Grup­pen arbei­tet kann sich gegen­wär­tig ent­las­tet füh­len. Aber: Die­se Ent­las­tung kann nur kurz­fris­tig posi­tiv wir­ken. Pro­ble­me wie Ängs­te erfor­dern Aus­ein­an­der­set­zung damit und nicht eine Umge­hung.

In den Tafel­lä­den zei­gen sich „wider­sprüch­li­che“ Ent­wick­lun­gen. Einer­seits weiß man, dass die stei­gen­de Arbeits­lo­sig­keit und Kurz­ar­beit bei Men­schen zur Ver­knap­pung finan­zi­el­ler Res­sour­cen führt. Ent­spre­chend steigt die Anzahl der Anfra­gen nach Zugangs­kar­ten aus dem Per­so­nen­kreis der ALG II-Emp­fan­gen­den. Dar­un­ter sind auch sol­che Per­so­nen, die erst den Weg in den ers­ten Arbeits­markt bewäl­tigt hat­ten, nun aber von Kurz­ar­beit oder (wie­der) von Arbeits­lo­sig­keit betrof­fen sind. Zugleich gehö­ren aber auch vie­le Kun­din­nen und Kun­den zur Risi­ko­grup­pe. Außer­dem ent­ste­hen durch die bereits erwähn­ten Ein­lass­be­schrän­kun­gen manch­mal län­ge­re War­te­zei­ten vor den Läden. Im Ergeb­nis wer­den die Tafel­lä­den von 20 bis 30 Pro­zent weni­ger Men­schen auf­ge­sucht. Sozia­le Kon­tak­te, die bis­lang oft­mals mit dem Ein­kauf im Tafel­la­den ver­bun­den waren, sind weni­ger und kür­zer gewor­den, was auch damit zu tun hat, dass die Ein­käu­fe wegen der War­ten­den vor dem Laden schnel­ler gehen müs­sen. Die Nach­fra­ge nach bestimm­ten Pro­duk­ten hat sich nicht ver­än­dert. Die Bereit­schaft für Sach- und Geld­spen­den ist groß, wie Herr Jaiss­le aus­führ­te.

Aus­blick

Es wur­de der Wunsch geäu­ßert, Bera­ter­stä­be in der Pan­de­mie ver­mehrt mit Fach­leu­ten aus der Sozio­lo­gie und der Psy­cho­lo­gie zu beset­zen, um sozia­le Aspek­te bes­ser zu berück­sich­ti­gen. Frau Dr. Ber­ner ver­trat die Ein­schät­zung, dass Bera­tungs­stel­len auch nach Ende der Pan­de­mie einen erhöh­ten Bera­tungs­be­darf haben wer­den („Coro­na-Nach­sor­ge“).