Gespräch mit Beratungsstelle und Tafelladen
Immer wieder wird, sicherlich nicht zu Unrecht, bemängelt, dass in der Pandemiebekämpfung soziale Aspekte hinter den gesundheitlichen Notwendigkeiten zu kurz kommen. Daher habe ich Vertreter*innen sozialer Institutionen zum öffentlichen Gespräch eingeladen.
Tafelläden und Beratungsstellen gehören zu Institutionen der sozialen Arbeit, mit denen ich bereits vor der Coronakrise immer wieder im Rahmen meiner Wahlkreisarbeit als Abgeordneter im Kontakt stand. Dies habe ich in der Krise fortgesetzt und nun zum öffentlichen Gespräch eingeladen. Frau Dr. Christiana Berner ist die Leiterin der Psychologischen Beratungsstelle Filder. Getragen wird die Beratungsstelle mit Anlaufstellen unter anderem in Echterdingen und Filderstadt-Bernhausen von der Diakonie. Mein zweiter Gesprächspartner war Sven Jaissle, Leiter Wirtschaft und Finanzen der Caritas Fils-Neckar-Alb, Träger von Tafelläden auch in Esslingen und Nürtingen.
Organisation der sozialen Arbeit in der Pandemie
Abstandsregelungen und andere Vorgaben und Maßnahmen, die dem Infektionsschutz eigener Beschäftigter sowie der Klient*innen dienen, haben auch die soziale Arbeit stark verändert. Sie musste sich in Teilen neu erfinden. Die Beratungsstellen bieten vermehrt Beratungen per Telefon und in Videoformaten an. Etwa 40 bis 50 Prozent der Beratungen finden jedoch nach wie vor „Face to Face“ statt – mit Abstand und Plexiglaswänden in den Räumen. So konnten die Beratungsangebote durchgehend aufrechterhalten werden. Videoformate sollen aber auch nach der Pandemie eine Option bleiben. Die Tafelläden hatten teilweise ganz andere Probleme: Sie sind stark vom Ehrenamt abhängig. Viele der Ehrenamtlichen gehören selber zur Risikogruppe und konnten/können vielfach nicht eingesetzt werden. Auch die Mitarbeit durch Menschen in Arbeitsgelegenheiten musste, teils auf Order des Jobcenters, verringert werden. Die Ausfälle wurden teilweise durch bezahlte Kräfte kompensiert und auch Studierende sind eingesprungen. Dennoch mussten die Öffnungszeiten um einen Tag reduziert werden. In den Läden gelten Einlassbeschränkungen. Meist dürfen nur drei bis vier Kund*innen gleichzeitig den Laden betreten.
Wie die Pandemie Problemlagen verändert
Frau Dr. Berner von der Psychologischen Beratungsstelle berichtete, dass bei einigen Menschen durch den Lockdown die Tagesstruktur weggebrochen ist. Besondere Sorgen macht sie sich über junge Menschen, die starken Veränderungen beispielsweise durch Homeschooling bedingte Kontaktreduzierungen oder auch Schwierigkeiten bei der Suche nach einem Ausbildungsberuf ausgesetzt sind. Auch familiäre Situationen seien häufig belastend. Die Einsamkeit, die einige Menschen stark empfinden, kann sich auf die Stimmung auswirken und bis hin zu Depressionen führen. Wichtig sind verlässliche Kontakte zu anderen Menschen. In begrenztem Maße lassen sich diese notwendigen Halt gebenden Kontakte auch telefonisch und über Videoformate pflegen, wenn diese die erforderliche Tiefe bieten und auch mal Humor zur Kontaktqualität beiträgt. Gibt es Personenkreise, auf die Kontaktreduzierungen entlastend wirken? Ja, so Frau Dr. Berner. Wer mit anderen Menschen häufiger Probleme hat oder beispielsweise nicht gerne in Gruppen arbeitet kann sich gegenwärtig entlastet fühlen. Aber: Diese Entlastung kann nur kurzfristig positiv wirken. Probleme wie Ängste erfordern Auseinandersetzung damit und nicht eine Umgehung.
In den Tafelläden zeigen sich „widersprüchliche“ Entwicklungen. Einerseits weiß man, dass die steigende Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit bei Menschen zur Verknappung finanzieller Ressourcen führt. Entsprechend steigt die Anzahl der Anfragen nach Zugangskarten aus dem Personenkreis der ALG II-Empfangenden. Darunter sind auch solche Personen, die erst den Weg in den ersten Arbeitsmarkt bewältigt hatten, nun aber von Kurzarbeit oder (wieder) von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Zugleich gehören aber auch viele Kundinnen und Kunden zur Risikogruppe. Außerdem entstehen durch die bereits erwähnten Einlassbeschränkungen manchmal längere Wartezeiten vor den Läden. Im Ergebnis werden die Tafelläden von 20 bis 30 Prozent weniger Menschen aufgesucht. Soziale Kontakte, die bislang oftmals mit dem Einkauf im Tafelladen verbunden waren, sind weniger und kürzer geworden, was auch damit zu tun hat, dass die Einkäufe wegen der Wartenden vor dem Laden schneller gehen müssen. Die Nachfrage nach bestimmten Produkten hat sich nicht verändert. Die Bereitschaft für Sach- und Geldspenden ist groß, wie Herr Jaissle ausführte.
Ausblick
Es wurde der Wunsch geäußert, Beraterstäbe in der Pandemie vermehrt mit Fachleuten aus der Soziologie und der Psychologie zu besetzen, um soziale Aspekte besser zu berücksichtigen. Frau Dr. Berner vertrat die Einschätzung, dass Beratungsstellen auch nach Ende der Pandemie einen erhöhten Beratungsbedarf haben werden („Corona-Nachsorge“).