Bundesregierung ohne eigene Meinung
Im Dezember 2019 verkündete die Deutsche Bahn (DB), alle laufenden Verfahren für die Stilllegung von Bahntrassen zu stoppen. Was wurde seither konkret unternommen, um den Worten Taten folgen zu lassen? Das wollten wir mit einer Anfrage klären.
Die Ankündigungen der Deutschen Bahn gingen weiter: Es sollte im Frühjahr 2020 ein Paket reaktivierungswürdiger Strecken vorgestellt werden, um anschließend mit Bund und Ländern ein mögliche Reaktivierungen zu erörtern. Die Antworten sind ernüchternd: Bislang wurde kein Stilllegungsantrag zurückgezogen. Auf die Frage, ob das Moratorium befristet ist, wurde lapidar geantwortet, es sollte nach Auskunft der DB vorerst keine Stilllegungen geben. Die Bundesregierung selber hielt sich mit jeglicher Aussage oder Bewertung zurück.
Reaktivierungsprojekte sollen im 3. Quartal bewertet sein
Ziel der DB, so die Antwort der Bundesregierung, sei es, dass im 3. Quartal 2020 „ein bewertetes Portfolio an potentiellen Reaktivierungsmaßnahmen“ vorgelegt würde. Bei der Frage, um welche Strecken es konkret gehen könne, wurde auf die Vorschläge des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) verwiesen. Insgesamt würden 300 Strecken mit einer Gesamtlänge von 5.300 Kilometer angeschaut.
Meine Kommentierung:
Die Initiative der Deutschen Bahn für ein Stilllegungsmoratorium und zur Prüfung von Streckenreaktivierungen ist begrüßenswert. Völlig unverständlich ist jedoch die passive Haltung der Bundesregierung zu diesem Thema. Statt die Reaktivierung von Teilen des Eisenbahnnetzes proaktiv zu verfolgen, verzichtet die Regierung auf jegliche Vorgaben und eine zielgerichtete, verkehrspolitische Steuerung des jetzt angestoßenen Prozesses. Die Eisenbahninfrastruktur ist der größte Aktivposten bei der Organisation der Verkehrswende. Der Bund als Eigentümer dieser Infrastruktur ist bei der künftigen Netzentwicklung also direkt gefordert, entsprechend Einfluss zu nehmen. Unklar bleibt auch, wie lange das Stilllegungsmoratorium gelten soll, denn auch dies lässt der Bund ungeregelt. Es wäre fatal, wenn jetzt über einen kurzen Zeitraum Stilllegungen ausgesetzt werden und es später im alten Stil weiterginge. Dabei geht es nicht nur um Streckeninfrastruktur sondern auch um eher unscheinbare, aber für die Leistungsfähigkeit und den Betriebsablauf im Netz unverzichtbare Anlagen wie Abstell- und Überholgleise oder Gleisanschlüsse.
Die Bundesregierung kann die Reaktivierung von Bahnstrecken nicht allein an die Länder delegieren, die für das Nahverkehrsangebot verantwortlich sind. Es gibt auch Infrastruktur, die vorrangig dem Schienengüterverkehr zu Gute kommt. Diese droht bei der Fokussierung auf den Nahverkehr einmal mehr durch den Rost zu fallen. Gerade Güterstrecken kommt bei der Verkehrsverlagerung große Bedeutung zu und auch für diese trägt der Bund Verantwortung.
Die Reaktivierung von Strecken ist für uns ein zentrales Instrument der Mobilitätswende, denn damit kommt die Bahn wieder stärker in die Fläche. Ganze Regionen wurden durch die verfehlte Stilllegungspolitik vergangener Dekaden ihres Bahnanschlusses beraubt. Dieser Trend muss umgekehrt werden. Mit der Reaktivierung stillgelegter Eisenbahnstrecken können auch in ländlichen Regionen und im Umland von Ballungsgebieten sowie Städten attraktive Alternativen zum Autoverkehr angeboten werden.