Der Vorzeigebahnhof
Ein Bündnis rund um die „Allianz Pro Schiene“ zeichnet jährlich den „Bahnhof des Jahres aus. Im Jahr 2016 wurden die Bahnhöfe Stralsund und Steinheim (Westfalen) ausgezeichnet. Den Bahnhof in Stralsund habe ich mir näher angeschaut.
Es ist ein trüber Tag Ende Dezember, an dem ich nach Stralsund fahre. Knapp über drei Stunden ist man von Berlin aus unterwegs. Der ICE bringt auf dieser Strecke gegenüber dem Regionalexpress kaum Zeitvorteile.
Durch die Beschreibung des Bahnhofes durch die Allianz bin ich aber schon gut vorbereitet. Das Empfangsgebäude, erbaut zwischen 1903 und 1905 gebe die typisch norddeutsche Lebensart wider, bei der das Solide mehr zähle als Protz und Prunk. Ein wenig zurückgenommen und doch selbstbewusst im allerbesten Sinne erfülle der Bahnhof eine ganz bestimmte Gelassenheit, die Ortsfremde als Vorbote der nahen Ostsee wahrnehmen. Wie ich als eben einer dieser Ortsfremde den Bahnhof und sein Umfeld wohl wahrnehme, überlege ich mir während der Anreise. Dass neben der Architektur des Gebäudes der gastronomische Bereich und die Qualität und die Freundlichkeit des Sicherheitspersonals besonders hervorgehoben werden weiß ich bereits. Ebenso ist mir die verkehrliche Bedeutung des nördlichsten Knotenpunktes in Deutschland an der Verbindungsstrecke zwischen Berlin und Stockholm und mit Direktanbindungen nach Hamburg, Frankfurt, Stuttgart, Karlsruhe, München bekannt – und natürlich nach Rügen. Und dass täglich 6.300 Reisende die 130 ankommenden und abfahrenden Züge nutzen ließ sich auch im Vorfeld meines Besuches ablesen.
Ich nähere mich dem Bahnhof, vorbei an einem Gewerbegebiet, das schon bessere Zeiten gesehen haben muss und vorbei an zerfallenen Lokschuppen. Der Zug bremst schon früh ab, um Minuten später in den Bahnhof einzufahren. Die Bahnhofsbesichtigung wollte ich zusammen mit einem Bahnvertreter vornehmen. Doch von dort kam trotz frühzeitiger und mehrmaliger Anfrage leider keine Antwort. Auf dem Bahnsteig kommt uns ausgestiegenen Fahrgästen einer der Sicherheitsleute entgegen, über die ich schon gelesen hatte, dass sie sich immer dort blicken lassen, wo gerade ein Zug einfährt. Zwischen den überdachten Bahnsteigen und der Empfangshalle ist ein großzügiges Glasdach gespannt. Die Halle wirkt auf mich zunächst etwas düster. Ein wenig erinnert sie an den Bahnhof in Lindau, nur größer. Meine Blicke schweifen über die großen Wandbilder und hinauf an das hölzerne Deckengebälk. Links und rechts sind – wie auch draußen nahe der Bahnsteige – Geschäfte untergebracht. Außerdem gibt es einen Schalterraum der DB mit einer schön verzierten hohen Decke und einem markanten Bahnsignal als Schmuckstück. Ich verlasse auf der gegenüberliegenden Seite die Halle ins Freie. Das Bahnhofsgebäude mitsamt seiner Nebengebäude wurde aus roten Ziegelsteinen erbaut. Vor dem Hauptgebäude warten Taxis auf Kundschaft. Linkerhand erblicke ich die „Bio-Insel“, ein Bioladen mit Restaurant. Auch davon hatte ich schon gelesen. Mit Käse überbackener Gemüseauflauf mit Salat und Dessert für 7,90 Euro. Da schlage ich zu. Nach dem Mittagessen unternehme ich eine zweite Bahnhofsinspektion. Der Bahnhof hat sechs Bahnsteiggleise, vier davon enden hier. Der Bahnsteig zwischen beiden Durchgangsgleisen ist über Treppen und Aufzüge, die auffallend klein und für Fahrräder ungeeignet sind, zu erreichen. Bei meiner Ankunft völlig übersehen habe ich einen beheizten Warteraum, der zwischen Bahnsteig 1 und dem Empfangsgebäude aufgestellt wurde. Und wie sieht es mit Toiletten aus? Über eine steile Treppe ist eine große (kostenpflichtige) WC-Anlage zu erreichen. Ein WC für Menschen mit Behinderung befindet sich ebenerdig in der Bahnhofshalle. Ich laufe in Straßenrichtung aus dem Bahnhofsgebäude heraus und stoße auf die gut einsehbare Fahrradabstellanlage. Etwa die Hälfte der Fläche ist überdacht. Die Stellplätze reichen offenkundig nicht aus. Das hatte auch schon der ADFC festgestellt. Irgendetwas muss es ja zu bemängeln geben, denke ich mir, als ich meine Rückfahrt antrete.
Mein Fazit: Stralsund verfügt über einen ansprechenden, gut gepflegten Bahnhof mit hoher Aufenthaltsqualität. Er stellt einen attraktiven Zugang zur Bahn dar.