17.04.2018
An der Entwicklung der Infrastruktur zeigt sich Scheitern der Verkehrspolitik!
Eine gekürzte Version dieses Textes erschien als Gastbeitrag in „DIE WELT“
In der Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur spiegelt sich das Scheitern der Verkehrspolitik vieler Jahre. Die Betrachtung der Zahlen ergibt ein glasklares Bild: Straßen wurden ausgebaut, Schienenwege zurückgebaut. Seit 1992 ist das gesamte Straßennetz in Deutschland von 640.000 Kilometer um knapp 40 Prozent auf 890.000 Kilometer angewachsen. Im selben Zeitraum wurde das Schienennetz um knapp 20 Prozent zurückgebaut. Umfasste es kurz nach der Wiedervereinigung noch 40.800 Kilometer, sind es heute nur noch 33.400 Kilometer (Quelle: Verkehr in Zahlen[1], Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, teilweise unveröffentlichte Daten).
Für die Bahn kam es aber noch schlimmer: Auf dem geschrumpften Netz wurden zudem die Fernverkehrsangebote massiv ausgedünnt. Die Strecken, die von ICE & Co bedient werden, wurden seit Mitte der 1990er Jahre um 3.700 Kilometer verkürzt. Zahlreiche Städte wurden vom Fernverkehr abgehängt, darunter Chemnitz, Heilbronn und Trier. Hinzu kommt, dass das Durchschnittsalter der Bahnbrücken auf 65 Jahre angestiegen ist und sich ein gigantischer Sanierungsstau aufgebaut hat. Über 1.000 Bahnbrücken befinden sich in einem so miesen Zustand, dass sie abgebrochen werden müssen. Das deutsche Schienennetz präsentiert sich heute in seiner Kapazität als knapp bemessen und in oftmals marodem Zustand (Quelle: https://www.gruene-bundestag.de/mobilitaet/so-kaputt-ist-das-deutsche-bahnnetz-28–06-2017.html).
Die Zahlen belegen eine der größten Fehlentwicklungen der letzten Jahrzehnte – mit eklatanten Folgen für die Sicherung einer verlässlichen Mobilität und überbordenden Auto- und Lastwagenverkehren zu Lasten der Gesundheit der Menschen und der Umwelt. Anhand des Vergleichs von Straße und Schiene wird deutlich, wie sehr die völlig verfehlte, zukunftsvergessene Infrastrukturpolitik Probleme verschärft hat statt sie zu lösen. Während die Infrastruktur für den motorisierten Individualverkehr und den Güterverkehr auf der Straße ausgebaut wurde, wurden die Kapazitäten der Schiene verkleinert. Anstatt den umweltfreundlichen Schienenverkehr zu fördern, wurden seine Möglichkeiten beschnitten.
Im Ergebnis sind heute unzählige Städte, Gemeinden und Unternehmen von der Bahn abgehängt. Zeugnis der stillgelegten Strecken sind vielerorts funktionslose Bahnhöfe und verfallene Bahnbrücken. Besonders betroffen sind die Menschen auf dem Land. Mit jeder Strecke, die eingestampft wurde, entfernten sich für viele Menschen die nächstgelegenen größeren Städte weiter und wuchs die Abhängigkeit vom Auto.
Dabei ist nicht erst seit kurzem klar, dass der Verkehrssektor endlich seinen Beitrag im Kampf gegen die Klimakatastrophe leisten muss und mit Infrastrukturentscheidungen auch über die Aufteilung der Verkehrsanteile zwischen Straße und Schiene mitentschieden wird. Die großen Potentiale des Verkehrssektors für die Reduzierung von klimaschädlichen Emissionen sind hinlänglich bekannt. Dass in den letzten 25 Jahren dennoch stets der Straßenverkehr priorisiert und die Bahn mehr und mehr aufs Abstellgleis gesetzt wurde ist nichts anderes als ein verkehrspolitisches Scheitern auf der ganzen Linie.
Andere Länder haben bereits vorgelegt und die Wege für eine starke Bahn, Fahrrad, Elektromobilität und öffentliche Verkehre bereitet. Deutschland muss endlich nachziehen. Einige Unternehmen stellen sich um und gehen mit neuen Ideen voran. Unzählige Start-ups beschäftigen sich mit sauberen Mobilitätskonzepten. Aber es braucht Rahmenbedingungen, um Entwicklungen zu steuern und zu fördern. Die letzten Bundesregierungen sind den Erkenntnissen über die Notwendigkeiten eines Umsteuerns hinterhergeschlichen. Nun muss das Umsteuern in der Infrastrukturpolitik umso schneller und konsequenter erfolgen.
Es ist Zeit für eine zukunftsgewandte Verkehrspolitik. Die neue Bundesregierung ist vereidigt und kann endlich ihre Arbeit aufnehmen. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer ist dabei in einer zentralen Position, die nötigen Impulse für ein modernes Deutschland zu geben. Es bleibt zu hoffen, dass er diese Aufgabe anpackt. Was es nicht braucht, ist eine Verlängerung dessen, was längst gescheitert ist. Fossil betriebene Verbrennungsmotoren und neue Straßen durch die Landschaften zu ziehen war gestern. Das Morgen gehört einer vernetzten Mobilität mit einer leistungsfähigen, verlässlichen Bahn, mit Bus und Fahrrad und ergänzend dazu sauberen Autos.
[1] Anmerkung zur Schiene: Die genannten Werte beziehen sich alleine auf das Netz der Deutschen Bahn. Ein Teil dieses Netzes befindet sich nicht mehr im Eigentum des Staatsunternehmens. Anmerkung zur Straße: Beinhaltet nicht den Ausbau von Bundesautobahnen/Bundesstraßen in Form zusätzlicher Fahrpuren.