11.10.2020
Grünen-Anfrage legt weitere Mängel offen
In einer weiteren umfangreichen Anfrage an die Bundesregierung haben wir nach der konkreten Umsetzbarkeit des Deutschlandtaktes im zukünftigen Bahnknoten Stuttgart gefragt. Die Antworten offenbaren die Schwächen der Planungen und legen Engpässe und teils erhebliche Defizite offen.
Kein Taktknoten erkennbar
Ein für einen integralen Taktfahrplan typischer Taktknoten ist in Stuttgart nicht erkennbar. Die Aussage der Bundesregierung, dass es aufgrund der Vielzahl verkehrender Linien immer Anschlüsse geben würde, ist leider nicht zutreffend. So müssen Fahrgäste, die aus Würzburg kommen, 53 Minuten auf ihren Anschluss in Richtung Zürich warten. Wer aus Friedrichshafen kommt und weiter nach Karlsruhe reisen möchte, muss 27 Minuten warten. Siehe Grafik.
Engpass am Flughafen
Der Bund lässt gerade einen „Gäubahntunnel“ untersuchen. Damit würden die Züge der Gäubahn am Flughafen nicht mehr in der bisher geplanten Station „3. Gleis“ halten, sondern im bereits im Bau befindlichen „Fernbahnhof“, der für die zusätzlichen Züge nicht verändert werden soll. Wir hatten ausdrücklich gefragt, ob es durch den wahrscheinlichen Entfall der Station „3. Gleis“ am Flughafen-Fernbahnhof zu Engpässen kommen wird. Immerhin reduziert sich die Anzahl der Bahnsteiggleise für den Regional- und Fernverkehr am Flughafen von in Summe bisher geplant drei auf zwei. Die Bundesregierung geht jedoch auf die Kapazität der Strecke ein und vermeidet eine Antwort auf die gestellte Frage nach der Bahnhofs-Kapazität.
Unterbrechung der Erreichbarkeit des Hauptbahnhofes
Dass die Bundesregierung die Folgen einer jahrelangen Unterbrechung der Erreichbarkeit des Hauptbahnhofs durch die Züge der Gäubahn nicht bewerten kann und will, überrascht doch. Die Behauptung, S‑Vaihingen sei als zeitweiser Endpunkt des Fern- und Regionalverkehrs geeignet, ist falsch. Die erwähnte Studie des Verkehrswissenschaftlichen Instituts aus Stuttgart kam zumindest für die Spitzenstunden genau zum gegenteiligen Ergebnis. Hier wird bewusst ein Defizit der aktuellen Planung ignoriert. Der zusätzliche Umstieg bedeutet nicht nur einen Komfort‑, sondern häufig auch einen Anschlussverlust für die Reisenden. Die Unterbrechung muss daher unbedingt vermieden oder zumindest auf einen kurzen Zeitraum beschränkt werden.
Kapazitäten im neuen Tiefbahnhof
Standzeiten von teilweise nur zwei Minuten, wie sie dem Fahrplan für den Deutschlandtakt zugrunde gelegt wurden, sind völlig unrealistisch. Vielmehr ist in Stuttgart mit einem starken Fahrgastwechsel zu rechnen und auf den engen Bahnsteigen werden sich aus- und einsteigende Fahrgäste gegenseitig behindern.
150 bis 180 Doppelbelegungen auf den acht Bahnsteiggleisen pro Tag belegen überdies, dass die Kapazität des Tiefbahnhofs zu gering bemessen ist und der Bahnhof extrem anfällig sein wird für Verspätungen. Die notwendige betriebliche Flexibilität ist somit nicht gegeben und Doppelbelegungen führen zumeist zur massiven Übertragung von Verspätungen.
Fehlende Abstellmöglichkeiten
Die Kapazitäten der Abstellanlagen in Untertürkheim für den neuen Tiefbahnhof sind offenbar so gering, dass einige Fernverkehrszüge als Leerfahrt bis Nürtingen fahren müssen. Eine Fahrt mit Passagieren ist wiederum aufgrund des engen Zeitplans nicht möglich, daher entsteht auch kein zusätzlicher Nutzen aus der Fahrt in die Abstellung. Die geplante Abstellung bei Nürtingen zeigt nochmals deutlich, wie wenig flexibel die neuen Bahnanlagen in Stuttgart sind.
Fehlendes bzw. unmögliches Notfallkonzept für die S‑Bahn
Wir hatten nach den Möglichkeiten für ein Notfallkonzept für den Fall von Störungen auf der S‑Bahn Stammstrecke gefragt. Die Bundesregierung weicht aus mit der Aussage, es gebe noch kein Konzept. Nach einem Konzept hatten wir aber gar nicht gefragt. Ganz offenbar gibt es keine Möglichkeiten für ein solches, da hierfür keine Infrastruktur bereitgestellt werden soll. Im Jahr 2019 mussten 1.500 S‑Bahnen in den Stuttgarter Hauptbahnhof (oben) fahren. Dies wird in Zukunft nicht mehr möglich sein. Im Störungsfall werden viele dieser Züge bereits in der Station „Mittnachtstraße“ enden müssen, da der Tiefbahnhof sie aus Gründen der unzureichenden Kapazität nicht aufnehmen kann. Dass es keine Rückfallebene für die Strecke über die „Panoramabahn“ und damit zwischen Süd- und Nordnetz geben soll, ist für die S‑Bahn fatal. Die vielen Kunden der S‑Bahnen in Stuttgart haben somit bei den immer wieder auftretenden Störungen keine Chance, ohne größere und zeitraubende Umwege an ihr Ziel zu kommen. Für Nahverkehrssysteme wie die S‑Bahn Stuttgart braucht es stabile Konzepte für häufiger auftretende Störungen. Wenn die S‑Bahn als das Rückgrat der Mobilität in der Region bezeichnet wird, dann sind die derzeitigen Pläne der Genickbruch für die S‑Bahn.
Fazit
Es wird immer deutlicher, dass der Bahnknoten nicht zukunftsfähig ist. Die Kapazität des Tiefbahnhofs wird womöglich schon bei Betriebsaufnahme, spätestens aber nach einer bundesweiten Ausweitung der Angebote im Rahmen des Deutschlandtaktes nicht ausreichen. Stuttgart benötigt dringend weitere Bahnsteiggleise, die sich in einer Ergänzungsstation realisieren lassen. Eine solche Station lässt sich in Form von tiefergelegten und damit überbaubaren Kopfbahngleisen errichten, die den Tiefbahnhof ergänzen. Die Landeshauptstadt, der Verband Region Stuttgart, Deutsche Bahn und Bundesregierung müssen ihrer Verantwortung hierfür endlich nachkommen.