Störer behindern Parlamentsbetrieb
Der deutsche Parlamentarismus musste in den letzten Tagen einige Tiefpunkte durchleben. Interessierte Kreise aus Rechtspopulisten, Rechtsextremisten inklusive der AfD-Bundestagsfraktion und Verschwörungserzählern versuchten, die Gesellschaft in der Coronakrise zu spalten und Hass zu säen. Der gestrige Parlamentstag wirkt nach.
Zur Erinnerung: Im Bundestag stand die Debatte und Abstimmung über eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes an. In den Tagen zuvor waren die Abgeordnetenbüros mit tausenden von Mails, vielfach mit falschen Behauptungen und üble Unterstellungen aus der Welt der Verschwörungsmythen, geflutet worden. Oftmals war von einer angeblichen „Coronadiktatur“ die Rede und von Abgeordneten, die ihren Verpflichtungen nicht nachkämen, wenn sie „falsch“ abstimmen würden. Es war schwierig, aus dieser Masse die Mails von Bürgerinnen und Bürgern herauszufischen, die sachlich ihre Bedenken vorgebracht hatten und an Informationen und Erklärungen interessiert waren. Ich war sehr bemüht, möglichst viele dieser Mails weitgehend individuell zu beantworten, indem ich meine Sichtweise darlegte und darauf hinwies, dass man, wenn man seinen Pflichten nachkommt und seinem Gewissen folgt, durchaus zu unterschiedlichen Abstimmungsverhalten kommen kann. Ich danke allen, die ernsthaft an Antworten interessiert waren und sind und sich auf eine sachliche Auseinandersetzung mit Argumenten eingelassen haben – unabhängig von der konkreten Meinung.
Schließlich der gestrige Sitzungstag, der nachwirkt: Bereits am Morgen und damit Stunden vor der Debatte und Abstimmung über das strittige „Dritte Infektionsschutzgesetz“ war das riesige Polizeiaufgebot wegen zahlreicher Demonstrationen rund um die Bundestagsgebäude nicht zu übersehen. Ich musste einen größeren Umweg in Kauf nehmen, um zur Sitzung des Verkehrsausschusses zu gelangen – und kam trotz eines größeren Zeitpuffers verspätet an. Im Laufe des Tages zeigte sich mehr und mehr, wer da vielfach ohne Einhaltung von Abstands- und Maskenregeln protestierte. Leute, die vorgaben, sich um die Demokratie und den Rechtsstaat zu sorgen, erschwerten den demokratisch gewählten Abgeordneten den Zugang zu den Parlamentsgebäuden und hielten sich nicht an die Hygienevorgaben.
Man kann und muss immer kritisch über Gesetzesvorhaben diskutieren. Dies gilt auch und ganz besonders für das coronabedingte Bevölkerungsschutzgesetz, das gestern in die zweite und dritte Lesung ging. Ob innerhalb oder außerhalb der Parlamentsgebäudes: Die Regeln müssen eingehalten werden. Da dies Demonstrierende zwischen Reichstagsgebäude und dem Brandenburger Tor nicht taten und die trotz der infolgedessen durch die Polizei aufgelöste Demonstration nicht verließen, sondern sich aggressiv verhielten (in den Medien war von Flaschen- und Steinwürfen die Rede), setze die Polizei erstmals seit Jahren in Berlin Wasserwerfer ein. Die Polizei meldete 365 Festnahmen und zehn verletzte Polizist*innen.
Auch in den Bundestagsgebäuden herrsche alles andere als Normalität: Aus Sicherheitsgründen wurden die meisten Türen geschlossen. Abgeordnete und Mitarbeiter*innen konnten nur noch wenige Türen nutzen. Termine außerhalb der Gebäude, die durch Tunnel miteinander verbunden sind, waren wegen der teilweise erheblich längeren Wege kaum mehr zu erreichen. Selbst in den Gebäuden wurden wir behelligt durch Personen, die, offenbar von Abgeordneten der AfD eingeschleust, Abgeordnete auf den Wegen zur Debatte und den Abstimmungen ansprachen, fotografierten, filmten, sich mit Transparenten in den Weg stellten oder Flyer verteilten. Dem Bericht der Bundestagspolizei ist darüber hinaus zu entnehmen, dass eine Gruppe von Personen in Abgeordneten-Büroräume eingedrungen ist und diese auch nach Aufforderung der dort anwesenden Beschäftigten nicht verlassen haben. Des Weiteren wurde versucht, in Büros von Fraktionsvorsitzenden zu gelangen und Mitarbeiterinnen zu filmen. Ein Mitglied der AfD-Bundestagsfraktion veröffentlichte das dabei entstandene Filmmaterial.
Eine derartige Störung der freien Mandatsausübung hatte es zuvor noch nicht gegeben. Mitarbeiter*innen und Abgeordneten, die sich in ihren Büros aufhielten, wurde aus Sicherheitsgründen geraten, die Türen hinter sich abzuschließen, da unklar war, wer alles in den Parlamentsgebäuden unterwegs war. Der gestrige Tag machte einmal mehr deutlich, von wem die Gefahren für unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat ausgehen: Nämlich von denen, die das gewählte Parlament verachten und von denen, für die es nur eine Meinung geben darf. Diese Leute gibt es außerhalb (siehe im Bild einige Reaktionen auf die Beschlussfassung von gestern) und leider auch innerhalb des Parlaments. Ein Teil dieser Gefahr geht von der AfD aus. Die Partei wurde zwar demokratisch gewählt, es fehlt ihr aber sehr offenbar die demokratische Gesinnung. Auch die Bereitschaft, die Würde des frei gewählten Parlaments zu wahren und sich an parlamentarische Spielregeln zu halten, ist bei deren Abgeordneten nicht vorhanden.