Unterwegs im von Lastwagen geplagten Tirol

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02.09.2019, über­ar­bei­tet am 06.09.2019

Verlagerung auf die Schiene erfordert Ausbau Infrastruktur in Deutschland

Das Wipp­tal in Tirol (Öster­reich) ist durch­zo­gen von Ver­kehrs­we­gen: Die Bren­ner­bahn, die Bren­ner­stra­ße und – vor allem – die Bren­ner­au­to­bahn. Das Tal wird rund um die Uhr beschallt und mit Luft­schad­stof­fen geflu­tet. Ist die Auto­bahn dicht, wei­chen Last­wa­gen und Autos aus auf die Stra­ßen durch die Orte. Öster­reich wehrt sich mit Block­ab­fer­ti­gung (Dosie­rung von Lkw-Ver­kehr an der Gren­ze) und Aus­fahr­ver­bo­ten an der Auto­bahn für Pkw gegen den Tran­sit­ver­kehr. Aus Bay­ern kommt kei­ne Abhil­fe, son­dern Kri­tik an Öster­reichs Maß­nah­men. Die Stutt­gar­ter Zei­tung vom 24. Juni kom­men­tier­te das deut­sche Ver­hal­ten mit kla­ren und rich­ti­gen Wor­ten: „Bay­erns Poli­ti­ker soll­ten end­lich über gemein­sa­me Lösun­gen für den Alpen­ver­kehr nach­den­ken, anstatt immer auf ein schma­les Länd­chen ein­zu­dre­schen, das für sei­ne geo­gra­fi­sche Lage nichts kann. Nichts kommt aus Bay­ern bis­lang, um mehr Güter­trans­port auf die Schie­ne zu ver­la­gern, lie­ber ver­brei­tert man jetzt auch noch die Chiem­see-Auto­bahn auf sechs Spu­ren.“

Mit dem Natio­nal­rats-Kan­di­da­ten (Natio­nal­rat ent­spricht in Deutsch­land dem Bun­des­tag) Her­mann Wer­at­sch­nig und dem Tiro­ler Land­tags­ab­ge­ord­ne­ten Micha­el Min­gler war ich im Tiro­ler Wipp­tal unter­wegs. Wir besuch­ten vom Schleich­ver­kehr belas­te­te Orte und folg­ten mit dem Auto, zu Fuß und mit der Bahn dem Ver­lauf der Bren­ner­au­to­bahn. Sie stellt die am stärks­ten belas­te­te Tran­sit­stre­cke durch die Alpen dar. Die Maß­nah­men Tirols sind zu ver­ste­hen, kön­nen aber kei­ne dau­er­haf­te Lösung dar­stel­len. Es muss dar­um gehen, die mas­si­ven Belas­tun­gen von Mensch und Umwelt durch den Tran­sit­ver­kehr spür­bar ein­zu­däm­men, indem der Lkw-Tran­sit spür­bar ver­teu­ert und so viel Güter­ver­kehr wie mög­lich auf die Schie­ne ver­la­gert wird.

Für die Maß­nah­men Öster­reichs habe ich vol­les Ver­ständ­nis – die­se stel­len aber kei­ne Lösung dar. Die Orts­durch­fahr­ten im Wipp­tal sind nicht für euro­päi­sche Tran­sit­ver­keh­re gebaut wor­den. Im Gegen­satz zu Deutsch­land unter­nimmt Öster­reich viel, um Güter­ver­keh­re von der Stra­ße auf die Schie­ne zu ver­la­gern: Die Lkw-Maut ist deut­lich höher als in Deutsch­land, Lkw mit ver­al­te­ter Abgas­tech­nik und mit bahn­af­fi­nen Gütern dür­fen nicht über den Bren­ner fah­ren und gemein­sam mit Ita­li­en wird der Bren­ner­ba­sis­tun­nel gebaut. Auf deut­scher Sei­te weiß man noch nicht ein­mal, wo die zukünf­tig stei­gen­de Anzahl von Güter­zü­gen von und zum Bren­ner­tun­nel fah­ren soll.

Über die Bren­ner­au­to­bahn sind im ver­gan­ge­nen Jahr erst­mals mehr Last­wa­gen gefah­ren als über alle ande­ren dafür geeig­ne­ten Alpen­päs­se der Schweiz und Frank­reichs zusam­men. Es muss gehan­delt wer­den. Deutsch­land steht in der Ver­ant­wor­tung!

Exkur­si­on Schweiz:

In der Schweiz erhielt die Poli­tik per Volks­ab­stim­mung einen kla­ren Auf­trag, den alpen­que­ren­den Last­wa­gen­ver­kehr deut­lich zu ver­rin­gern. Seit­her wur­den die Schie­nen­we­ge aus­ge­baut, die Maut deut­lich erhöht und es gibt Sonn­tags- und Nacht­fahr­ver­bo­te sowie ver­stärk­te Schwer­ver­kehrs­kon­trol­len. Seit dem Jahr 2000 sank die Anzahl der alpen­que­ren­den Lkw von 1,4 Mil­lio­nen auf zuletzt 940.000 pro Jahr. Die gesetz­li­che Vor­ga­be, deren Anzahl auf maxi­mal 650.000 zu drü­cken, wur­de jedoch nicht erreicht. Den­noch gibt es den genann­ten Erfolg, der Mut macht, die ein­ge­schla­ge­nen Wege wei­ter­zu­ge­hen und auf den gesam­ten Alpen­raum aus­zu­wei­ten. Denn ein Teil des Schwei­zer Erfol­ges hängt damit zusam­men, dass Ver­keh­re nach Öster­reich ver­la­gert wur­den. Für einen wirk­sa­men Schutz der Alpen vor dem Ver­kehr ist ein län­der­über­grei­fen­des Vor­ge­hen, an dem sich dann auch Deutsch­land end­lich betei­li­gen muss, drin­gend erfor­der­lich.

Im alpen­que­ren­den Ver­kehr domi­niert unver­än­dert der Lkw. Ein­zig im Tran­sit­ver­kehr durch die Schweiz ist der Schie­nen­gü­ter­ver­kehr auf Platz 1 (mitt­ler­wei­le Anteil von zwei Drit­teln). Als Koope­ra­ti­ons­pro­jekt zwi­schen Öster­reich und der Schweiz ist der “Bren­ner­ba­sis­tun­nel” im Bau. In zwei Röh­ren sol­len Tirol und Süd­ti­rol für den Güter- wie für den Per­so­nen­ver­kehr auf dem schnel­len Weg ver­bun­den wer­den. Im Rah­men mei­ner Tirol-Tour konn­te ich mir die Bau­stel­le, die schon sehr weit gedie­hen ist, aus­führ­lich in Theo­rie und Pra­xis anschau­en und mit dem Bau­lei­ter spre­chen. Wenn der Aus­bau des Bren­ner­ba­sis­tun­nels wirt­schaft­lich Sinn machen soll, muss nach sei­ner geplan­ten Eröff­nung im Jahr 2028 für eine maxi­ma­le Ver­la­ge­rung von Güter­ver­kehr auf die Schie­ne gesorgt wer­den. Ohne eine spür­ba­re Anhe­bung der Lkw-Maut (Stich­wort „Kor­ri­dor­maut“, also eine ein­heit­lich hohe Maut auf Sei­ten Deutsch­lands, Öster­reichs und Ita­li­ens) wird eine Ver­kehrs­ver­la­ge­rung auf die Schie­ne nicht gelin­gen, das zeigt auch ein­drucks­voll der beschrie­be­ne Ver­gleich zwi­schen Schweiz und Öster­reich (Lkw-Maut in der Schweiz mehr als dop­pelt so hoch). Ins­ge­samt besteht im alpen­que­ren­den Ver­kehr zwi­schen Nord- /Mitteleuropa und Ita­li­en erheb­li­ches Poten­ti­al für Ver­kehrs­ver­la­ge­rung auf die Schie­ne. Bei den lang­fris­tig ange­leg­ten Aus- und Neu­bau­pla­nun­gen auf der Bren­ner­bahn ist die­ses Poten­zi­al bei der Kapa­zi­täts­be­mes­sung der Schie­nen­we­ge in Deutsch­land ent­spre­chend zu berück­sich­ti­gen.

In Deutsch­land ging es in Sachen „Bren­ner­nord­zu­lauf“ aber lan­ge Zeit nicht vor­an. Es wur­de sogar viel Por­zel­lan zer­schla­gen. So wur­de die Aus­bau-/Neu­bau­stre­cke Bren­ner­nord­zu­lauf in den Vor­dring­li­chen Bedarf des Bun­des­ver­kehrs­we­ge­plans auf­ge­nom­men, ohne den Nach­weis der Wirt­schaft­lich­keit (gab es bei allen ande­ren Pro­jek­ten!), Ist- und Pro­gno­se­wer­te zu lie­fern. So ließ sich kaum eine Mei­nung bil­den und vor Ort gegen­über Bürger*innen, Gemein­den und Initia­ti­ven schlecht argu­men­tie­ren und über­zeu­gen. Im baye­ri­schen Land­tags­wahl­kampf ruder­te dann selbst die CSU in Erman­ge­lung an zumin­dest halb­wegs taug­li­chen Zah­len, Daten und Fak­ten vom Aus- und Neu­bau zurück. Mit zahl­rei­chen par­la­men­ta­ri­schen Anfra­gen haben die Grü­nen im Bun­des­tag Druck gemacht, dass end­lich „gelie­fert“ wird, um den Aus- und Neu­bau­be­darf abschät­zen und eine Ent­schei­dung tref­fen zu kön­nen. Inzwi­schen wur­de nach­ge­lie­fert und der Pro­zess hin zur Ent­schei­dungs­fin­dung ist klar. Was wir inzwi­schen über die Not­wen­dig­keit einer Neu- und Aus­bau­stre­cke im nörd­li­chen Zulauf des Bren­ners wis­sen: Im Jahr 2018 waren 204 Züge pro Tag auf der Bestands­stre­cke unter­wegs. Deren Kapa­zi­tät liegt bei 260 Zügen pro Tag. Die­se lässt sich mit­tels ETCS (ETCS-Aus­rüs­tung bis 2027 geplant) auf 320 erhö­hen (was ich für sehr opti­mis­tisch hal­te). Es gibt vier Ent­wick­lungs­sze­na­ri­en für den Güter­ver­kehr. Dem­nach wird im Jahr 2050 von täg­lich 258 bis 352 Zügen (mehr­heit­lich Güter­zü­gen) aus­ge­gan­gen. Bei zwei der vier Sze­na­ri­en reicht die Stre­cken­ka­pa­zi­tät auch bei der Unter­stel­lung von ETCS nicht aus. Nicht ein­kal­ku­liert wur­den Angebotsausweitungen/Taktverdichtungen beim Per­so­nen­ver­kehr. Beim Güter­ver­kehr wur­de ein deut­li­ches Wachs­tum unter­stellt, jedoch wur­de von nur gerin­gen Ver­la­ge­rungs­ef­fek­ten auf die Schie­ne aus­ge­gan­gen.

Es sind aktu­ell fünf Vari­an­ten für den Aus- und Neu­bau im Spiel. Betei­li­gungs­pro­zes­se haben statt­ge­fun­den und wer­den noch statt­fin­den. In vier der fünf Tras­sen­ent­wür­fe sind Vor­schlä­ge aus der Bür­ger­schaft ein­ge­flos­sen (sie­he 19/12803). Die Tras­sen­aus­wahl soll bis zum Ende des ers­ten Quar­tals 2021 abge­schlos­sen sein. In die­sem Zeit­raum wer­den Grob­tras­sen defi­niert, Raum­ord­nungs­ver­fah­ren durch­ge­führt, ver­tie­fen­de Pla­nun­gen der Tras­sen­va­ri­an­ten vor­ge­nom­men und schließ­lich die Vor­pla­nung vor­be­rei­tet. Wenn man sich auf die Vor­schlag­stras­se ver­stän­digt hat, beginnt die Vor­pla­nung (Leis­tungs­pha­se 1 und 2), die zwi­schen dem zwei­ten Quar­tal 2021 und dem vier­ten Quar­tal 2021 erfol­gen soll. Der Bau­be­ginn könn­te in Tei­len 2023 erfol­gen. Die Fer­tig­stel­lung ist zwi­schen 2035 und 2040 denk­bar.

Lärm­schutz an der Bestands­stre­cke ab sofort

An der Bestands­stre­cke for­dern wir einen opti­ma­len Lärm­schutz für die Anwoh­ne­rin­nen und Anwoh­ner. Wir for­dern effek­ti­ve Lärm­schutz­maß­nah­men nach Neu­bau­stan­dard ab sofort, spä­tes­tens mit Ein­füh­rung des ETCS auf die­ser Stre­cke als wesent­li­che Ände­rung i.S.d. 16. BimschV und des TEN-T-Beschlus­ses des Bun­des­tags mit dem dar­in vor­ge­se­he­nen über­ge­setz­li­chen Lärm­schutz. Der Frei­staat Bay­ern muss ggf. frei­wil­li­ge Vor­fi­nan­zie­rung leis­ten.

Lärm­schutz und höchs­te Bau­stan­dards im Fal­le einer Neu­bau­stre­cke

Im Fal­le einer Neu­bau­stre­cke for­dern wir eben­falls über­ge­setz­li­chen Lärm­schutz für die Anwoh­ne­rin­nen und Anwoh­ner sowie eine mög­lichst natur- und land­schafts­scho­nen­de Tras­sie­rung.

Attrak­ti­ver Nah­ver­kehr mit Bus & Bahn für Rosen­heim und Umge­bung

Ein Aus­bau der Schie­nen­in­fra­struk­tur im Raum Rosen­heim muss zugleich Vor­tei­le für die Bevöl­ke­rung in und um Rosen­heim auf­wei­sen. Dafür wol­len wir einen deut­li­chen Aus­bau des Ange­bo­tes an Zügen auf den Stre­cken des Lini­en­sterns Rosen­heim, ver­tak­tet mit einem deut­lich attrak­ti­ve­ren Bus­ver­kehr. Sinn­voll ist ein moder­ner Ver­kehrs­ver­bund mit attrak­ti­ven Tari­fen und Bus- und Bahn­an­ge­bo­ten. Hier­für ist jedoch – anders als für den Aus- und Neu­bau der Bahn­stre­cke – nicht der Bund zustän­dig.

A 8: Ja zu Ver­kehrs­si­cher­heit, Tem­po­li­mit und Lärm­schutz

Einen Aus­bau der A 8, wie im Bun­des­ver­kehrs­we­ge­plan bzw. im Fern­stra­ßen­aus­bau­ge­setz vor­ge­se­hen, mit 8+2 Strei­fen von Mün­chen zum Inn­tal­drei­eck und 6+2 Strei­fen vom Inn­tal­drei­eck bis zur Bun­des­gren­ze bei Piding leh­nen wir ab. Wir wol­len ein Tem­po­li­mit auf Auto­bah­nen und für die alte A 8 mehr Ver­kehrs­si­cher­heit durch Stand­strei­fen sowie Lärm­schutz. Außer­dem ver­wah­ren wir uns gegen einen zukünf­tig mög­li­chen Aus­bau der A 93 mit zusätz­li­chen Fahr­strei­fen.