Zentrale Staatsaufgaben sind unterfinanziert. Dazu gehören die Sicherheit und die Infrastruktur. Dies gilt umso mehr, weil die Notwendigkeit des Investierens in diesen Bereichen in den letzten Jahren erheblich gestiegen ist: Russlands aggressiver, imperialistischer Kriegskurs und der Rückzug der USA aus der Friedenssicherung in Europa machen deutlich, dass wir uns nicht mehr in Sicherheit wiegen können und uns auch nicht mehr auf die USA verlassen können. Bei der Infrastruktur zeigen sich immer mehr die Folgen jahrzehntelanger Vernachlässigung: Brücken sind nicht mehr uneingeschränkt nutzbar, Züge müssen auf maroden Schienenwegen langsamer fahren, in manche Schulen und Universitäten regnet es durch undichte Dächer hinein, viele Gebäude weisen zu hohe und teure Wärmebedarfe durch unzureichende Dämmung auf, in Kliniken blättert der Putz von den Wänden und bei der Digitalisierung merken die meisten von uns täglich, wie weit wir hinter den Notwendigkeiten hinterherlaufen. Der Investitionsbedarf ist so groß, dass er einzig mit Umschichtungen im Haushalt nicht ansatzweise zu bewältigen ist. Allein bei der Schiene wird von einem Investitionsbedarf in Höhe von 290 Milliarden Euro in den nächsten 10 Jahren ausgegangen. Oftmals wird übersehen, dass unterlassene Investitionen auch „Schulden“ darstellen, mit denen Verantwortung auf zukünftige Generationen übertragen werden. In der Darstellung der Staatsverschuldung werden unterlassene Investitionen allerdings nicht abgebildet, was nichts anderes als Selbstbetrug darstellt. Es geht also nicht um die Frage, ob wir Schulden machen. Die „Schulden“ in Form bröckelnder Infrastruktur bestehen bereits. Diese schränken uns fast alle regelmäßig durch begrenzte Kapazitäten und Verspätungen im Bahnverkehr, gesperrte Brücken und langsames Internet im Alltag ein und gefährden zudem die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes. Als Grüne treten wir seit Jahren für die Reform der Schuldenbremse ein. Wir wollen diese nicht abschaffen. Wir wollen aber erforderliche Investitionen in die Infrastruktur ermöglichen. Laufende Ausgaben müssen nach unserer Überzeugung weiterhin über laufende Einnahmen finanziert werden.
Sicherheit verbessern
Leider ist die Welt nicht friedlicher geworden. Dies spüren wir auch in Europa: Die Ukraine wurde und wird fortlaufend völkerrechtswidrig von Russland angegriffen. Russland möchte sein Land in imperialistischem Stil wieder größer machen und bedroht weitere Nachbarländer. Die Ukraine zu unterstützen ist in unserem europäischen und nationalen Interesse, da wir als demokratischer Rechtsstaat kein Interesse an einer Ausweitung des russischen Einflusses in Richtung Westen haben können. Russland steht für Diktatur, Unfreiheit, Krieg und Unterdrückung der Rechte von Minderheiten. Wir verteidigen gemeinsam mit den anderen europäischen Ländern unsere Werte und unseren Frieden. Wir unterstützen die Ukraine diplomatisch, humanitär und militärisch mit Waffenlieferungen.
Zugleich müssen wir feststellen, dass wir uns als Deutschland und als Europa lange darauf verlassen haben, dass die USA für unsere Sicherheit sorgen und dafür auch finanziell aufkommen. Darauf können wir uns nicht mehr verlassen. Wir werden erheblich mehr in unsere Sicherheit investieren müssen. Wir müssen als Deutschland und als Teil von Europa und der Nato das in unseren Frieden und unsere Freiheit investieren können, was dafür notwendig ist. Ein von vornherein auf einen bestimmten Betrag gedeckeltes Sondervermögen ist dafür nicht geeignet. Dies muss uns unser Frieden und unsere Freiheit wert sein. Wichtig war uns Grünen in den Verhandlungen mit CDU/CSU und SPD über die möglichen Grundgesetzänderungen, dass der Sicherheitsbegriff weiter gefasst wird und nicht auf die militärische Ausstattung der Bundeswehr begrenzt bleibt. Damit haben wir uns durchgesetzt: Gestärkt werden auch der Zivil- und Bevölkerungsschutz, die Nachrichtendienste und die Cybersicherheit. Leider nicht durchsetzen konnten wir uns damit, die Schuldenfinanzierung erst ab Ausgaben ab 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zuzulassen. Damit wollten wir verhindern, dass die zukünftige Koalition Haushaltsmittel zugunsten von Lieblingsprojekten wie Steuersenkungen für Reiche umschichten kann. Bei den Investitionen in die Infrastruktur ist uns dies hingegen gelungen (siehe unten).
Zum Sondierungspapier von CDU/CSU und SPD
Das, was CDU/CSU und SPD mit ihrem Sondierungspapier vorgelegt haben, ist einerseits dürftig und andererseits schlichtweg dreist. Die Chance, die Sicherheit Deutschlands und Europas zu verbessern und dringend notwendige Investitionen zu ermöglichen, könnte teilweise durch teure Wahlgeschenke und hemmungslose Klientelpolitik verspielt werden. Der Klimaschutz spielt in der sich anbahnenden Koalition im Grundsatz keine Rolle, da konkrete Maßnahmen weitgehend fehlen. Ganz offenbar sollten die 500 Milliarden für Investitionen in die Infrastruktur nicht zusätzlich, sondern zumindest teilweise als Ersatz für in der mittelfristigen Finanzplanung schon vorgesehene Haushaltsmittel dienen. Dies hätte bedeutet, dass sich die drei Parteien Handlungsspielräume für Steuersenkungen und Klientelgeschenke sowie die Ausweitung ökologisch schädliche Subventionen verschaffen wollen. Mütterrente, steuerbegünstigten Agrardiesel, reduzierten Mehrwertsteuersatz für die Gastronomie, eine höhere Pendlerpauschale usw. kann man richtig finden. Das hat dann aber nichts mit Investitionen zu tun und müsste aus dem laufenden Haushalt und nicht mit höheren Schulden finanziert werden. Das Handelsblatt kommentierte: „Statt einen Plan für die Zukunft des Landes vorzulegen, rechneten Union und SPD die Interessen ihrer Klientel zusammen und legten ein schuldenfinanziertes Volksbeglückungsprogramm auf. Reformen für eine wirtschaftliche Wende? Fehlanzeige.“ Ja, so ist es leider. Oder: So war es leider. Denn wir konnten die Spielräume, solche Dinge schuldenfinanziert umzusetzen, einschränken. Verhindern konnten wir diese Spielräume leider nicht. Es ist absurd, im Sondierungspapier eine „umfassende Aufgaben- und Kostenkritik“ anzukündigen, wenn zugleich neue und höhere Subventionen vereinbart werden. Was wir in Deutschland brauchen, sind zusätzliche Investitionen in die Schiene, in die Brücken, die Sanierung von Straßen, in sanierungsbedürftige Gebäude (energetische Sanierung senkt die Betriebskosten!), in die Digitalisierung etc. Ähnliches gilt für die bessere Ausstattung der Bundeswehr, die es zweifelsfrei dringend braucht.
Sehr schräg klingen auch einige konkrete Ankündigungen: Während die Erhöhung der Pendlerpauschale und eine Kaufprämie für E‑Autos (während man übrigens „technologieoffen“ sein möchte) im Grundsatz vereinbart wurden, soll die weitere Finanzierung des Deutschlandtickets nur „geprüft“ werden. Der angestrebte Bau eines Fusionsreaktors gleicht einem teuren Abenteuer mit ungewissem Ausgang. Wie viele Milliarden möchten die drei zukünftigen Koalitionsparteien zuvor in die angekündigte stärkere Förderung der Fusionsforschung stecken? Was völlig fehlt ist, wie die erforderliche Transformation der Industrie (inklusive dem erwähnten „grünen Stahl“) gelingen soll.
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass Union und SPD nicht erwarten konnten, dass wir als Grüne teure, teils unsinnige und in jedem Fall nicht über Schulden zu finanzierende Wahlgeschenke mit der Zustimmung zu einer Verfassungsänderung unterstützen können. Wir erwarten, dass die Verfassungsänderungen strikt der Sicherheit in Europa und den Investitionen in die Infrastruktur – auch zum Erreichen der Klimaziele – dienen. Gelder, die kreditfinanziert werden, müssen ZUSÄTZLICH fließen, statt bereits vorgesehene Investitionen zu ersetzen. Alles, was darüber hinaus geht und von der Koalition gewollt wird, muss aus den laufenden Einnahmen finanziert werden. Ich war mir mit meiner Fraktions- und Parteiführung völlig einig, dass wir dem, was ursprünglich vorgelegt wurde, nicht zustimmen konnten. Wir waren aber jederzeit gesprächsbereit und haben in harten Verhandlungen grundlegende Verbesserungen gegenüber dem bisherigen Vorhaben von Union und SPD erwirkt.
Was wir erreicht haben – Weshalb wir zustimmen
Für die Sicherheit haben wir die Ausweitung des Sicherheitsbegriffes erreicht. Damit wird nicht allein die militärische Ausrüstung der Bundeswehr verbessert, sondern auch der Zivil- und Bevölkerungsschutz, die Nachrichtendienste und die Cybersicherheit. Gerne hätten wir die Kreditaufnahme erst dann ermöglicht, wenn damit das Niveau an Investitionen 1,5 Prozent des BIP übersteigt. Damit konnten wir uns leider nicht durchsetzen. Durchsetzen konnten wir ein schnelles Hilfspaket für die Ukraine in Höhe von drei Milliarden Euro, gegen das sich die SPD seit Wochen gestellt hatte.
Im Bereich der Infrastruktur haben wir – anders als bei der Sicherheit – die Zusätzlichkeit der Investitionen erreicht. Dies bedeutet, dass die bisherige Investitionslinie, wie sie in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen ist, beibehalten werden muss. Haushaltsmittel können demnach nicht durch Kredite ersetzt und für andere Zwecke eingesetzt werden. Von den 500 Milliarden Euro werden 100 Milliarden dem Klima- und Transformationsfonds zugeführt. Dieses Geld steht ausschließlich für Maßnahmen des Klimaschutzes und damit eine zentrale Zukunftsaufgabe zur Verfügung. Neu ist, dass die Begrifflichkeit der „Klimaneutralität“ ins Grundgesetz aufgenommen wird. Damit wird der Klimaschutz weiter gestärkt, wenngleich er nicht zum Staatsziel erhoben wurde.
Alles in allem ist die Vereinbarung kein grünes Konzept, wohl aber ein guter politischer Kompromiss, mit dem die Handlungsfähigkeit in den zentralen Staatsaufgaben, der Sicherheit und der Infrastruktur, gewährleistet wird.
Meine Verkehrssicht
In einer Sondersitzung des Verkehrsausschusses zur Vorberatung der Verfassungsänderung habe ich sinngemäß vorgebracht: Die Wandlung der Unionspartei und ‑fraktion in Sachen Schuldenbremse ist erstaunlich. Hätte es diese bereits vor Monaten schon gegeben, als der Bedarf längst erkennbar war, dann hätten wir eine umfassendere Vorberatung mit Fachanhörungen durchführen können. Da es uns um die Sache, nämlich die Handlungsfähigkeit des Staates in zentralen Aufgaben, geht, haben wir uns aber sehr konstruktiv und mit eigenen Punkten auf die Verhandlungen eingelassen. Für den großen Nachholbedarf bei der Sicherheit und der Infrastruktur wurde eine Einigung erzielt, die einen klassischen Kompromiss darstellt und für uns zustimmungsfähig ist. Aus Verkehrssicht ergeben sich mit den Verfassungsänderungen – ebenso wie mit dem Sondierungspapier – einige Fragezeichen. So wissen wir nicht, welche Beträge in welche Verkehrsträger fließen werden. Wir wissen aber sehr wohl, dass der Bedarf für die Schiene am höchsten ist und hier am dringendsten investiert werden muss. Hierfür werbe ich auch an dieser Stelle. Ebenso werbe ich für einen Schienenfonds, um eine langfristige Finanzierung sicherzustellen und niedrigere Baukosten zu ermöglichen. Als Koalition/Ampel haben wir vorgelegt: Wir haben die Investitionsmittel für die Schiene erheblich (+85 Prozent) erhöht. Darauf sollte die zukünftige Koalition aufbauen. Zudem sollte sie weitere Maßnahmen zur Beschleunigung von Planung, Genehmigung und baulicher Umsetzung anpacken. Darin werden wir sie gerne unterstützen!
Wie ist eine weitreichende Verfassungsänderung am Ende der Legislatur zu bewerten?
Immer wieder wurde Kritik daran geübt, dass der „alte“ und nicht der neu gewählte Bundestag die zweifelsfrei sehr weit reichenden Entscheidungen treffen soll. Dazu zwei Anmerkungen meinerseits: Aus grüner Sicht waren die Handlungsbedarfe schon seit Monaten oder gar Jahren erkennbar und die Schuldenbremse hätte längst angepasst werden können und müssen. Wir hatten als Regierungsfraktion mehrfach Anläufe unternommen. Doch weder die mitregierende FDP noch die Union waren dazu bereit. Zweitens: Der Bundestag der 20. Wahlperiode ist noch voll arbeitsfähig. Die Abgeordneten werden bezahlt und sind mit Personal, Räumen und Erfahrungen ausgestattet. Das Bundesverfassungsgericht hat die Rechtmäßigkeit weitreichender Entscheidungen bis zum letzten Moment der Legislaturperiode bestätigt. Wir hätten uns ein anderes, frühzeitigeres Vorgehen gewünscht. Wegen der Dringlichkeit des Handelns und der gefundenen Einigung unterstützen wir die entsprechende Beschlussfassung.
Was sagt die Mehrheit der Menschen?
In einigen Mails wird uns von Bürgerinnen und Bürgern vorgehalten, die geplanten Verfassungsänderungen wären „undemokratisch“ und würden dem Willen der meisten Bürger*innen widersprechen. Doch dafür gibt es keine Hinweise. Ganz im Gegenteil: Auf die Frage „Finden Sie die Schuldenaufnahme richtig oder falsch?“ gaben im ARD-Deutschlandtrend vom 06.03.2025 59 Prozent der Befragten an, das Vorhaben zu unterstützen. Im ZDF-Politbarometer sagten 76 Prozent, sie seien für höhere Ausgaben für die Bundeswehr, auch wenn diese über Schulden finanziert würden. Um möglichen Missverständnissen vorzubeugen: Wir machen keine Politik nach Umfragen, sondern nach Überzeugung. Entsprechend haben wir verhandelt und ein aus grüner Sicht zustimmungsfähiges Ergebnis erzielt.
Fazit
Wir haben hart mit CDU/CSU und SPD verhandelt. Dabei konnten wir einige wichtige Verbesserungen durchsetzen. Vollständig zufrieden sein können wir sicherlich nicht. So ist das eben bei politischen Kompromissen und erst recht dann, wenn für eine Zweidrittelmehrheit die Verständigung zwischen mehr Parteien als für die Bildung einer Regierungsmehrheit erforderlich ist. Wir stehen als Grüne zu unserer staatspolitischen Verantwortung für die zentralen Staatsaufgaben, die Sicherheit für unser Land und die notwendigen Investitionen in die Infrastruktur und den Klimaschutz. Daher stimme auch ich den Verfassungsänderungen zu.