Ein kritischer Rückblick
Die 19. Wahlperiode des Deutschen Bundestages neigt sich dem Ende zu. Der Verkehrsbereich war in den letzten vier Jahren und ist bis heute wie kaum ein zweites Politikfeld von den bei den Großthemen unserer Gegenwart, der Klimakrise und der COVID-19-Pandemie, bestimmt.
Die gute Nachricht lautet: Die Pandemie hat unsere Mobilität zumindest teilweise verändert und offenbart, wie anpassungsfähig viele unserer Routinen sind, wenn Umstände uns dazu zwingen, und wie bequem u.a. die Videokonferenzen sein können. Vielen Branchen und Unternehmen konnte durch schwierige Zeiten geholfen werden. Die schlechte Nachricht aber ist: Die Klimakrise nimmt zu und verschärft sich weiter, der Verkehr bleibt das Schlusslicht beim nationalen Klimaschutz. Zu lange reichen die politischen Versäumnisse zurück und dauern bis heute an. Es bleibt dabei: Mobilität und Transport müssen sich verändern.
Wir GRÜNE im Bundestag blicken auf ereignisreiche und erfolgreiche Jahre der Verkehrspolitik zurück und wollen Sie und Euch gerne einladen zu einer kleinen Rückschau auf die wichtigsten Stationen unserer Arbeit an der grünen Verkehrswende – wenn auch nicht in Regierungsverantwortung, dafür aber in einer umso stärkeren und treibenden Rolle als Oppositionsfraktion. Die Herausforderungen und Modernisierungsbedarfe sind im Bereich Mobilität gewaltig – für uns steht daher fest: Es wird Zeit, dass sich in Deutschland was dreht! Zeit, dass die Verkehrswende richtig in Gang kommt!
Klar zur VerkehrsWENDE (L19-73) (gruene-bundestag.de)
Das Rückgrat einer klimafreundlichen Mobilität ist eine attraktive Bahn. Wir GRÜNE im Bundestag wollen den Schienenverkehr massiv ausbauen und setzen auf eine Verlagerungs- und Wachstumsstrategie. Zentraler Schlüssel für die Stärkung der Schiene ist eine bessere Infrastruktur. Für den Deutschlandtakt wollen wir die Rolle des Bunds stärken und damit den Auftrag der Daseinsvorsorge aktiv umsetzen. Auch den Verkehrsanteil des Schienengüterverkehrs wollen wir deutlich erhöhen und seine Wettbewerbsposition verbessern. Unser bahnpolitisches Konzept können Sie nachlesen im Fraktionsbeschluss “Einfach Bahnfahren”:
Grüne Strategie für eine starke Bahn: Grüne im Bundestag (gruene-bundestag.de)
Auch auf die Stärkung des europäischen Bahnverkehrs kommt es an, wenn wir mehr Verkehr auf die klimafreundliche und energieeffiziente Schiene verlagern wollen – hier zum Nachlesen unser Antrag zu europäischen Schienenverkehrsprojekten:
Drucksache 19/28441 (bundestag.de)
Wir GRÜNE im Bundestag wollen gemeinsam mit Ländern und Kommunen den ÖPNV stärken – er muss endlich Netzwirkung haben und ein verlässliches flächendeckendes Mobilitätsangebot machen können. Bundesseitig gilt es, die Kommunen bei Ausbau und Modernisierung der Infrastruktur stärker zu unterstützen. Dafür wollen wir die Mittel des Bundes für den Gemeindeverkehr weiter erhöhen und deutlich mehr ÖPNV-Projekte über das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) fördern: nicht nur Großprojekte in reichen oder großen Kommunen sondern auch mittelgroße oder kleinere Projekte.
Die Regierungsparteien wollten lediglich eine Erhöhung der Bundesmittel. Mit der Vorlage eines eigenen grünen Gesetzentwurfs konnten wir den nötigen Druck entfalten, dass auch das GVFG selbst geändert wird. Die Gesetzesnovelle enthält zahlreiche der grünen Vorschläge. Auch eine bislang nicht umgesetzte grüne Forderung, eine ökologische Ausrichtung der Standardisierten Bewertung (= Bewertungskriterien, nach denen die Wirtschaftlichkeit und damit die Förderfähigkeit von Projekten berechnet wird), will die Bundesregierung noch in dieser Wahlperiode erfüllen.
Hier können Sie unsere Bewertung der Gesetzesnovelle und den grünen Gesetzentwurf zum Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz nachlesen:
Drucksache 19/2695 (bundestag.de)
Ein weiterer Schwerpunkt des öffentlichen Verkehrs betraf die über viele Jahre intensiv diskutierte Novelle des Personenbeförderungsgesetzes. Wir Grüne im Bundestag haben uns konstruktiv an den Beratungen beteiligt und – nachdem wir viele grüne Forderungen durchsetzen konnten – der Gesetzesänderung zugestimmt.
Hier finden Sie unsere Bewertung der PBefG-Novelle 2021:
Die Akzeptanz des öffentlichen Verkehrs steht und fällt mit der Frage, ob die Anbindung an ländliche Räume künftig besser gelingt und die Zeiten immer weiterer Angebotskürzungen vorbei sind. Vielerorts wurde der ÖPNV zusammengespart, Alternativen zum eigenen PKW sind Mangelware. Wir GRÜNE im Bundestag sagen klar: Wir brauchen in ganz Deutschland eine Mobilitätsgarantie, damit alle Ortschaften regelmäßig an den ÖPNV angebunden sind. Bund, Länder und Kommunen müssen dafür eine gemeinsame ÖPNV-Strategie entwickeln und Mindeststandards festlegen, der Bund muss sich dann an der Umsetzung finanziell beteiligen. Zudem wollen wir Sharing-Angebote, die insbesondere dort fahren, wo Linienverkehre nicht rentabel sind, unterstützen.
Hier können Sie unseren Antrag Mobilität im ländlichen Raum verbessern nachlesen:
Mobilität in ländlichen Räumen verbessern: Grüne im Bundestag (gruene-bundestag.de)
Neben Bahn, ÖPNV und Sharing ist der Radverkehr das vierte Standbein eines starken Umweltverbundes – wohlgemerkt der Zukunft, denn Potenziale des Fahrrads für die Verkehrswende sind bei weitem nicht ausgeschöpft. Gerade auf kürzeren Wegen könnte das Rad eine Vielzahl von Autofahrten ersetzen, wenn die Verkehrsbedingungen für den Radverkehr besser wären. Dass und wie es geht, zeigen uns seit Jahren Städte wie Kopenhagen oder im europäischen Vergleich unser Nachbar die Niederlande. Deutschland selbst hat sogar längst eine ambitionierte Radverkehrsstrategie – es gilt nun, den Nationalen Radverkehrsplan tatsächlich auch einmal konsequent umzusetzen und mehr Mittel für den Radwegeausbau bereitzustellen: Radverkehrsplan zügig auf die Straße bringen: Grüne im Bundestag (gruene-bundestag.de)
Wir GRÜNE im Bundestag sprechen uns seit vielen Jahren dafür aus, die Gesetzte und Regelungen des Straßenverkehrs rad- und fußverkehrsfreundlich zu machen. Tatsächlich hat die Bundesregierung einige grüne Forderung bei der Novelle der Straßenverkehrsordnung (StVO) umgesetzt, einige wichtige wie Tempo 30 innerorts als Regelgeschwindigkeit (alternativ mehr kommunale Ermessensspielräume) oder eine leichtere Einrichtung von Fahrradstraßen jedoch gerade nicht – vom peinlichen Hin und Her des Verkehrsministers bei der Anpassung des Bußgeldkatalogs ganz zu schweigen.
Wie wir uns eine moderne StVO vorstellen und was dem Radverkehr Rückenwind verleihen würde, können Sie in unserem Antrag nachlesen:
Drucksache 19/8980 (bundestag.de)
Die Klimakrise ist so weit fortgeschritten, dass wir im Verkehr alle nachhaltigen Technologien brauchen. Mit Blick auf Strombedarf, Entwicklungsstand und Kosten müssen sie aber jeweils dort eingesetzt werden, wo sie besonders sinnvoll sind. Beim Auto ist die E‑Mobilität der effizienteste, sauberste und aussichtsreichste Antrieb. Beim Lkw kommt auch Wasserstoff infrage. Und für den Luft- und Schiffsverkehr müssen wir die knappen synthetischen Kraftstoffe reservieren. Die Bundesregierung verzettelt sich hingegen mit ihrer „Technologieoffenheit“ und verunsichert damit Unternehmen und Verbraucher*innen. Noch schlimmer: Auch umweltschädlicher Agrosprit hat bei ihr weiter einen festen Platz: Ein kluger Antriebsmix für die Verkehrswende: Grüne im Bundestag (gruene-bundestag.de)
Hier haben wir GRÜNE im Bundestag unsere Positionen für einen klugen Antriebsmix für die Verkehrswende zusammengestellt: Microsoft Word – 29904.docx (bundestag.de)
Die wichtigsten Fakten und Forderungen zur Elektromobilität lassen sich in dieser Broschüre nachlesen: Publikationen-Detailseite: Grüne im Bundestag (gruene-bundestag.de)
Wir wollen umweltverträgliche Mobilität fördern und umweltschädliche Subventionen für den Luftverkehr abbauen. Denn Reisende entscheiden sich für die Bahnfahrt, wenn die Reisezeit konkurrenzfähig ist und wenn der Preis stimmt. Deshalb haben wir in einem Autor*innenpapier zur Verlagerung von Kurzstreckenflügen auf die Bahn gezeigt, wie es gehen kann. Wir fordern, dass die Mehrwertsteuer für Bahnfahrten gesenkt und unter anderem die Luftverkehrsteuer, die auf Flugtickets erhoben wird, angehoben wird. Wir sehen die Luftverkehrsteuer als Übergangslösung, um Steuergeschenke, die an anderer Stelle gemacht werden, wenigstens teilweise auszugleichen. Letztendlich wollen wir aber, dass endlich auch der Luftverkehr, wie alle anderen, Verbrauchssteuern zahlt. Die Kerosinsteuer und die Mehrwertsteuer auf internationale Flüge müssen kommen.
Das Papier Kurzstreckenflüge Zug um Zug auf die Schiene verlagern – Luftverkehr gerecht besteuern können Sie hier finden: Microsoft Word – 2019–07_Autorenpapier_Zug_umZug mLogo.docx (gruene-bundestag.de)
Nicht nur hohe CO2-Emissionen, auch Lärmemissionen sind eine Folge des in den letzten beiden Jahrzehnten stark angewachsenen Luftverkehrs. Wie wir das Thema Fluglärm angehen, zeigen wir in unserem Antrag Fluglärm mindern, die Menschen in den Flughafenregionen besser schützen: Drucksache 19/27211 (bundestag.de)
Viele Themen, viele Baustellen. Die 19. Wahlperiode war für die Verkehrspolitik keine verlorene Zeit, aber viele Herausforderungen hat die Bundesregierung nur halbherzig angepackt und vielfach nicht gelöst. Insbesondere für den unverändert hohen CO2-Ausstoß hat das Bundesverkehrsministerium kein Handlungskonzept entwickelt und
schon gar nicht zielführende Maßnahmen umgesetzt. Zeitweise hat Bundesverkehrsminister Scheuer seine eigene Nationale Plattform Zukunft der Mobilität eher bekämpft als unterstützt.
Von der 19. Wahlperiode bleiben aber vor allem auch zwei Skandale in Erinnerung, die Bürgerinnen und Bürger stark beschäftigt und das Vertrauen in den Staat beeinträchtigt haben.
Wir GRÜNE im Bundestag haben über viele Jahre den Bau des Flughafen BER kritisch begleitet und mit zahlreichen Kleinen Anfragen immer wieder Entscheidungen hinterfragt. Nach vielen Jahren Verzögerung ging der neue Hauptstadtflughafen an den Start und bleibt dennoch vor allem in finanzieller Hinsicht eine Dauerbaustelle:
Ja wo fliegen sie denn? Grüne im Bundestag (gruene-bundestag.de)
Anders als beim BER wollte das CSU-geführte Bundesverkehrsministerium bei seinem Prestigeprojekt Pkw-Maut (für Ausländerinnen und Ausländer) immer besonders schnell sein. Eigentlich wollte sie schon Alexander Dobrindt, Scheuers Amtsvorgänger im Verkehrsressort 2016 scharfgestellt haben. Mit Andreas übernahm dann ein Mann im Interesse Bayerns den Job, der sich schließlich über Haushalts- und Vergaberecht hinwegsetzte und dann am Ende wie von vielen Expertinnen und Experten zuvor prognostiziert am europäischen Vertragsrecht scheiterte.
Dass die Opposition einen Untersuchungsausschuss zur Aufklärung des Maut-Skandals einrichtete, war logische Folge – dass Scheuer im Amt blieb, eher nicht. Lesen Sie hier die Geschichte des Maut-Debakels und seiner Aufarbeitung nach:
Maut-Desaster macht Scheuer untragbar: Grüne im Bundestag (gruene-bundestag.de)
Was bleibt verkehrspolitisch hängen von der 19. Wahlperiode, welche Entwicklung war gut, welche Aufgabe bleibt weiter ungelöst? Für uns GRÜNE im Bundestag waren die vergangenen vier Jahre keine verlorenen Jahre. Wichtige Weichenstellungen unter anderem für die ÖPNV-Infrastruktur, den Bahnverkehr und die Personenbeförderung wurden getroffen. Zu konstruktiver Oppositionsarbeit gehört, Fortschritte, die die große Koalition verantwortet, anzuerkennen und auch Gemeinsamkeiten zu suchen.
Auf unseren Druck hin war etwa die Bundesregierung bereit, die Mehrwertsteuer für Bahntickets im Fernverkehr abzusenken – dazu hatten wir GRÜNE im Bundestag einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht:
Bahn-Mehrwertsteuer senken: Grüne im Bundestag (gruene-bundestag.de)
Die Herausforderung einer ökologisch und sozial gerechten Verkehrswende bleibt gewaltig. Sicher ist: Ohne sie, ohne einen zügigen Ausstieg aus fossilen Kraftstoffen und einer Änderung des Modal Splits, werden wir die Klimaschutzziele nicht erreichen. Das größte Versäumnis der letzten vier Jahre liegt mit Sicherheit darin, dass Verkehrsminister Scheuer nicht bereit war, einen ehrlichen langfristigen Klimaschutzplan für den Verkehr zu entwickeln und den Abbau ökologisch schädlicher Subventionen einzuleiten.
Dieser Text entstand in Zusammenarbeit der verschiedenen Fachbüros und wurde in dieser Version minimal angepasst.