Vom 29. bis zum 31. März 2015 war ich gemeinsam mit anderen Mitgliedern des Bundestags-Verkehrsausschusses in Wien zu Gast. Wir führten zahlreiche verkehrspolitische Gespräche. Einige der Stationen werden hier vorgestellt. Die Reise führte uns dann weiter in die Schweiz.
Foto: Der neue Wiener Hauptbahnhof, fotografiert von der 23. Etage des ÖBB-Büroturms.
Teil 1: Österreich
Städtische Verkehrswende in Wien
Die Gespräche in Österreich begannen mit Vertretern der Stadt Wien. 1,7 Millionen Menschen leben in der Hauptstadt, die jährlich um durchschnittlich 34.000 EinwohnerInnen zulegt. In zehn Jahren soll die Zwei-Millionen-Schwelle erreicht sein. Würde jede und jeder ein Auto mitbringen, würde die Stadt schnell kollabieren. Daher haben sich die Verantwortlichen klare Ziele gesetzt: Der Anteil des öffentlichen Nahverkehrs soll wachsen. Derzeit werden 39 Prozent der täglichen Wege mit Bussen und Straßen- sowie U‑Bahnen zurückgelegt, Tendenz wachsend. Auch das Fahrrad kommt häufiger zum Einsatz, wenngleich noch auf geringem Niveau. Erfolge bei der Verdrängung des Autoverkehrs sind dennoch schon deutlich messbar: Lag der Anteil des PKW an allen Wegen im Jahr 1993 noch bei 40 Prozent, so sind es derzeit noch 27. Wir haben davon leider nicht viel zu spüren bekommen, denn wir standen mit unserem Bus gleich viermal im gleichen Stau.
Die Stadt hat sich im Jahr 2009 zum Ziel gesetzt, bis 2020 die Treibhausgas-Emissionen um 21 Prozent (bezogen auf 1990) zu reduzieren. Der Anteil des motorisierten Individualverkehrs soll bis 2025 auf 20 Prozent und bis 2030 auf 15 Prozent verringert werden.
Eine Säule zur Stärkung des Umweltverbundes ist der Radverkehr. Sein Verkehrsanteil liegt bei lediglich sieben Prozent. Dabei scheint die Infrastruktur nach Inaugenscheinnahme gar nicht so schlecht zu sein. Aber auch die Stadtverwaltung sieht noch Luft nach oben. Als ein wesentliches Element der Radverkehrsförderung wird die Öffnung weiterer Einbahnstraßen in Verbindung mit verkehrsberuhigenden Maßnahmen gesehen (davon verspricht man sich sehr viel!?).
Wien ist eine wachsende Stadt. Im Nordosten entsteht ein Neubaugebiet mit über 10.000 Wohnungen und 20.000 Arbeitsplätzen. Das Gebiet wird mit einer U‑Bahn angebunden. Ergänzend dazu werden Car-Sharing-Parklätze vorgesehen, ein E‑Leihradsystem aufgebaut und ein mit Lastenrädern arbeitender Zustellservice des Supermarktes angeboten. Dafür wird die Anzahl der Stellplätze deutlich geringer ausfallen als sonst üblich und diese werden in Sammelgaragen untergebracht.
Bundesministerium für Verkehr und Innovation
Straße: Das Autobahnnetz soll noch um etwa 10 Prozent verlängert werden. Dafür gibt es die ASFINAG (Autobahn- und Schnellstraßen- Finanzierungs-Aktiengesellschaft, Näheres siehe unten). Interessant ist, dass es keine innerösterreichische Autobahn-Verbindung zwischen dem Osten und dem Westen des Landes gibt. Ein Stück dieser Autobahn führt nämlich durch Deutschland. Und genau dieses Autobahnstück hat die Bayern immer wieder so geärgert, dass die CSU-Bierzeltidee einer Ausländer-Maut entstand.
Schiene: Das Zielnetz 2015 sieht massive Investitionen in die Realisierung eines „Integralen Österreich-Taktes“ vor. Die aufwändigsten Neubauten sind der Brenner-Basis-Tunnel und der Semmering-Basis-Tunnel. Überraschend war für uns Deutsche, dass uns keiner der Gesprächspartner etwas Nennenswertes zum Thema „Schienenlärm“ sagen konnte. Ministerium, ÖBB und Abgeordnete erklärten, man habe sich damit nicht beschäftigt. Wahrscheinliche Erklärung hierfür: Österreich hat bereits frühzeitig massiv in lange und hohe Lärmschutzwände investiert. Ob die Bemühungen der deutschen Delegation um Unterstützung für ein Verbot lauter Güterzüge ab 2020 von Erfolg gekrönt sein werden, muss daher skeptisch bewertet werden.
Interessant und erfreulich hingegen ist, dass Österreich den Ausbau seines Nachtzugangebotes plant. Dafür wird sogar neues Wagenmaterial beschafft. Die Verbindungen sollen vor allem nach Italien, aber auch nach Tschechien und Serbien angeboten werden.
ASFINAG
Die Autobahn- und Schnellstraßen- Finanzierungs-Aktiengesellschaft zeichnet sich für alle Sanierungs- und Neubaumaßnahmen im Autobahnbereich verantwortlich. Sie finanziert sich durch Mauteinnahmen und Kredite auf dem Kapitalmarkt. Ins österreichische Mautsystem sind übrigens alle Fahrzeuge vom Motorrad über den PKW und den Bus bis hin zum schweren LKW einbezogen. Fürs Befahren besonders aufwändiger Bauwerke wird eine Sondermaut erhoben. Die Systemkosten fressen nur rund sechs Prozent der Einnahmen.
Österreichische Bundesbahn (ÖBB)
Das Gespräch führten wir mit dem Vorstandsvorsitzenden Christian Kern. Bis zum Jahr 2010 ging es mit der ÖBB bergab. Fehlspekulationen, insbesondere fragwürdige Auslandsgeschäfte, machten dem Konzern, der ähnlich wie die Deutsche Bahn AG aufgebaut ist, zu schaffen. Die ÖBB hat ihre Rentabilität gesteigert und sich durch eine Vielzahl von Kleinmaßnahmen in Sachen Pünktlichkeit verbessert.
Siehe auch Kapitel „Bundesministerium“.
Besonders interessant war das Gespräch mit der Bauleiterin des neuen Wiener Hauptbahnhofes. Dieser ist zwar noch nicht vollständig fertiggestellt. Es lässt sich aber bereits absehen, dass der Kostenrahmen von etwas über einer Milliarde Euro eingehalten wird. Der Bau des Bahnhofes erfolgte weitgehend im politischen und gesellschaftlichen Konsens. „Kommunikation ist keine Aufgabe von Pressesprechern, sondern des Managements“ war eine Aussage der Bauleiterin, die mir besonders gut gefallen hat. Bei Stuttgart 21 läuft dies noch immer anders.
Teil 2: Schweiz
Gespräch mit Botschaftsvertretern
Eines der zentralen Themen war die direkte Demokratie. Erfolgreiche Volksabstimmungen führen in der Schweiz automatisch zu entsprechenden Verfassungsänderungen. Anders als in Deutschland kann die direkte Demokratie nur ausgebremst werden, wenn dadurch offensichtlich gegen Völkerrecht verstoßen würde. Daher war eine Volksabstimmung gegen den Bau von Moscheen mit Minaretten möglich, was bei uns in Deutschland u. a. wegen des Grundrechts auf Religionsfreiheit nicht möglich ist. Niederlagen, so bekamen wir zu hören, werden von den unterlegenen Minderheiten hingenommen. Dafür bekäme man in der Schweiz Klagen von BürgerInnen über „die da oben“ kaum zu hören.
Bundesamt für Verkehr
Hier wurden wir gleich mit vier Referaten „gebildet“. Überwiegend ging es dabei um den Infrastrukturerhalt und deren Finanzierung mittels einer Maut sowie um Beteiligungsprozessen bei Großprojekten. Hier kurz vorstellen möchte ich nur einen Bereich, nämlich den Lärmschutz auf der Schiene. Die Schweiz ist hier Vorbild in Europa. Ab dem Jahr 2020 dürften keine lauten Güterzüge mehr durch den Alpenstaat rollen. Die Schweiz darf hier sehr rigoros sein, da sie nicht Mitglied der EU ist. Die Schweiz hat aber auch bereits sehr früh angefangen, wirksame Maßnahmen zu ergreifen. So sind die lärmabhängigen Trassenpreise für die Güterzüge deutlich höher als die in Deutschland. Interessant ist auch, dass die Schweiz – anders als es uns in Deutschland immer wieder erzählt wird, nicht davon ausgeht, dass auf leisere Bremsen umgerüstete Züge höhere Betriebskosten haben. Da werde ich nochmal aktiv werden!
Zu Besuch im Nationalrat
Der Schweizer Nationalrat entspricht unserem Bundestag. Wir trafen uns dort mit für den Verkehr zuständigen Abgeordneten verschiedener Fraktionen. Von den schweizer Grünen war leider niemand dabei. Aber bei den beiden Themen, die diskutiert wurden, bestand ohnehin große Einigkeit: Deutschland müsse die Rheintalbahn endlich ausbauen und solle das mit der PKW-Maut besser bleiben lassen. Beidem konnte zumindest ich sofort zustimmen. In Sachen Bahnpolitik verwiesen die KollegInnen aus der Schweiz darauf, dass der Verkehr aus dem St. Gotthard-Tunnel, der sich im Bau befindet, über eine leistungsfähige Trasse Richtung Nordseehäfen abfließen müsse.
Flughafen Zürich
Worum es hier ging, können sich vor allem die Leserinnen und Leser dieser Zeilen, die aus Baden-Württemberg kommen, leicht ausmalen: Um den Fluglärm in Südbaden. Der Flughafen mit jährlich 25 Millionen Fluggästen (zum Vergleich: Stuttgart zählt 10 Millionen Flugreisende) liegt etwa zehn Kilometer von der deutschen Grenze entfernt.
Der Verkehrsminister des Kantons Zürich und die Verantwortlichen des Flughafens mit seinen drei Pisten betonten vor allem die wirtschaftliche Bedeutung des Airports auch für Deutschland. Den Flugbetrieb pauschal mit „Allgemeinwohl“ gleichzusetzen ging mir dann aber doch etwas zu weit.
Das Staatsabkommen, in dem der Überflug über Deutschland geregelt wird, wurde zwar von beiden Staaten unterschrieben (für Deutschland vom damaligen Bundesverkehrsminister Ramsauer), von Deutschland aber bisher nicht ratifiziert. Das Abkommen stößt in den betroffenen Kommunen auf massiven Widerstand. Dabei bringt es neben Verbesserungen zweifelsfrei auch Verschlechterungen. Die Zeiten, in denen von Deutschland aus an- bzw. über Deutschland abgeflogen werden sollen zeigen dies. So soll der Flughafen bereits ab 6.30 Uhr – und nicht wie bisher – erst ab 7 Uhr über deutschem Gebiet angeflogen werden dürfen. Dafür wird der Überflug abends früher beendet. Auf meine Frage, wie es denn um lärmabhängige Start- und Landegebühren steht, wurde mir folgendes mitgeteilt: Es gibt fünf Kategorien lärmabhängiger Gebühren. Diese Gebühren sind gestaffelt von 0 CHF für „ganz leise“ bis hin zu 2.000 CHF für extrem laute Flugzeuge. Nachts werden zusätzliche Lärmgebühren erhoben. Das ist auf jeden Fall positiv und beschleunigt den Trend zu lärmärmeren Flugzeugen. Mein Gefühl: Wenn beide Seiten einer Neuverhandlung eine Chance geben, kann doch noch ein Staatsvertrag ausgehandelt werden, der beiden Seiten nutzt: Weniger Lärm über Süddeutschland und verlässliche Planungsvoraussetzungen für die Schweizer.