Gespräch mit dem Religionswissenschaftler Dr. Michael Blume
Michael Blume, promovierter Religionswissenschaftler und beim Land als Antisemitismusbeauftragter tätig, beschäftigt sich seit längerem mit Verschwörungsmythen. Blume verantwortet darüber hinaus seit kurzem einen Podcast, in dem er sich mit Verschwörungsglauben auseinander setzt.
Mit ihm unterhielt ich mich in einer öffentlichen Videokonferenz.
Der Einladungstext umriss bereits das Thema und den Anlass:
„Die Beschränkungen in der Coronakrise erfahren angesichts rückläufiger Infektionszahlen längst Lockerungen. Einem Teil der Bevölkerung gehen die Schritte zur Normalisierung nicht schnell genug oder sie befürchten einen Impfzwang. Darunter mischen sich mehr und mehr Anhänger des Verschwörungsglaubens. Sie sehen alles durch die Pharmaindustrie und Bill Gates gesteuert oder sehen die Juden am Werke. Politiker seien Marionetten der Weltmächte oder der Geheimdienste und die Medien würden die Wahrheit verschweigen. Verschwörungsgläubige verbreiten ihre Thesen im Internet, radikalisieren sich dort und erhalten derzeit großen Zulauf. Wie kommt es zu solchen Phänomenen? Wie gefährlich ist der Verschwörungsglaube und was lässt sich tun, um die Demokratie mitsamt ihrer Institutionen vor Angriffen zu schützen?“
Vielleicht ist der Leserin oder dem Leser dieser Zeilen bereits aufgefallen, dass der in Deutschland übliche Begriff der „Verschwörungstheorie“ vermieden wurde. Das hat einen Grund, den Michael Blume näher ausführte: Der Begriff der „Theorie“ suggeriert Wissenschaftlichkeit. Eine Theorie stellt in der Wissenschaft ein durch Nachdenken und Experimentieren gewonnenes Wissen dar, das immer wieder hinterfragt wird. Hier geht es aber um Aberglaube und um Mythen.
Verschwörungen geben vermeintliche Antworten und nehmen denjenigen, die daran glauben, Unsicherheiten. Widerspruch wird nicht geduldet. Geprägt sind die Verschwörungen von Expertenmisstrauen und den Blick auf den Staat als Feind.
Verschwörungsglaube geht oft einher mit Antisemitismus, was wiederum nichts anderes als den Glaube an eine jüdische Weltverschwörung darstellt.
Es geht nicht darum, eine konstruktive Lösung zu finden, sondern ein Feindbild zu pflegen.
Lässt sich sagen, wer für Verschwörungsglaube besonders anfällig ist? Auszug aus der Antwort von Michael Blume: Bildung bietet nur einen gewissen Schutz. Es lässt sich aber durchaus feststellen, dass häufiger Menschen anfällig sind, die eine Schwäche im Umgang mit Unsicherheiten haben, von negativen Kindheitserfahrungen geprägt, misstrauisch und ängstlich sind. Männer sind stärker gefährdet als Frauen. Etwa fünf Prozent der Bevölkerung zählt zum Kreise jener, die besonders für Verschwörungsmythen anfällig ist.
Vermutlich ist Verschwörungsglaube nicht auf dem Vormarsch, tritt derzeit aber lauter auf, weil er auf den Demos gegen die Corona-Beschränkungen eine Bühne erhält. Er ist gefährlicher geworden, weil Hetze betrieben und Hass geschürt wird.
Um es auch hier noch einmal zu sagen ein Hinweis von Matthias Gastel: Nicht jeder, der auf eine der Demos geht und gegen die Einschränkungen wegen der Coronapandemie argumentiert ist ein Verschwörungsgläubiger. Man sollte sich aber sehr gut überlegen, auf wessen Einladung man dies macht, mit wem man in der Öffentlichkeit gemeinsam auftritt und wem man letztlich zu einer Bühne verhilft. Dass die Demo in Stuttgart zuletzt von einem Wirrkopf, der für die AfD in den Landtag gewählt worden war und dort mit seiner Verachtung parlamentarischer Spielregeln auffällt, organisiert wurde, spricht Bände.
Hinweis auf eine weitere Veranstaltung, diesmal mit dem Soziologen Dr. Matthias Quent, Direktor am Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena: Diese öffentliche Videokonferenz findet vermutlich am 14. Juli statt. Es geht um Rechtsextremismus, Antisemitismus und Verschwörungsmythen. Näheres in den sozialen Medien und der Tagespresse.