Drei Tage zu Fuß durch meinen Wahlkreis
Meine diesjährige Drei-Tages-Wanderung begann mit der Anreise nach Oberlenningen mit drei Bussen inklusive Schienenersatzverkehr. Der erste Termin begann gleich sehr spannend und abwechselnd mit einem Besuch auf einem Kürbisfeld, gefolgt von einem Spaziergang durch eine Streuobstwiese, der Begegnung mit jungen Puten auf einer Wiese und einem Vesper vor einer Maschinenhalle am Ortsrand.
Der ökologisch bewirtschaftete Nebenerwerbsbetrieb der Familie Gökeler in Lenningen stützt sich auf drei Säulen: Den Apfelsaft von Streuobstwiesen, die Putenhaltung und Speisekürbisse. Hinzu kommen noch Kartoffeln, die im Ort vermarktet werden. Die rund 800 hochstämmigen Obstbäume liefern den Stoff für einen eigenen Saft, der in Flaschen verkauft wird. Damit wird ein Beitrag geleistet, die charakteristischen Streuobstwiesengürtel am Altrauf zu erhalten. Neues gab es für mich auf einer anderen Wiese des Ortes, auf der gerade mal fünf Wochen alte Puten gehalten wurden. Wir konnten sehen, wie der Stall geöffnet wurde und die Tiere, in einer Mischung aus Neugier und Vorsicht, sich allmählich heraus auf die Wiese wagten.
Wegen der großen Hitze waren wir ganz froh, dass wir im Anhänger des Traktors ein Stück des Weges hinauf auf die Alb mitfahren konnten. Weiter ging es zu Fuß entlang des Otto-Hofmeister-Hauses durch das Moor zum Randecker Maar mit wunderbarer Aussicht ins Albvorland mit der Limburg, durch das Gelände der Ziegelhütte hinab nach Neidlingen.
Über das 2020 gegründete Label „albnah“ werden Textilien aus der Wolle des Merino Alblandschafs vertrieben. Zur Schwäbischen Alb passen sowohl Schafe als auch die Textilindustrie. Beide haben dort, wo die Winter rau und die Ackerflächen eher karg bleiben, eine lange Tradition. Die Schafrasse wurde eigens für die Wollindustrie gezüchtet. Die Industrie ist – von wenigen Ausnahmen abgesehen – verschwunden, die Schafe kommen weit überwiegend für die Landschaftspflege zum Einsatz. Doch deren Wolle wird meist entsorgt und zugleich in großen Mengen aus fernen Ländern importiert. Das Projekt möchte dem entgegenwirken, gute Tierhaltung und kurze Wege gewährleisten. Inga Rubens erläuterte, dass die Wolle nicht von ihren sechs eigenen Schafen stammt, sondern zugekauft wird. Die Wolle wird in Österreich gewaschen, in Deutschland weiter verarbeitet und in Rottweil genäht. Im Angebot befindet sich Oberbekleidung für Frauen, Männer und Kinder. Der Vertrieb erfolgt auf Verkaufsmessen, über den eigenen Online-Shop und den Otto-Versand sowie den eigenen Laden. Was die Textilien nachhaltig macht: Das Naturprodukt an sich, kurze Wege und Langlebigkeit.
Da ich auch an meinen Wandertagen immer noch das „normale“ Geschäft als Abgeordneter zu erledigen habe, beginnen die Tage nicht allzu früh mit dem Programm. Vorher und auch abends werden Zeitungen gelesen, Mails bearbeitet und Rückrufe absolviert. Der zweite Tag begann mit der Wanderung in einer kleinen Gruppe ab dem Hotel in Weilheim an der Teck. Vom Hotelzimmer aus hatte ich übrigens einen schönen Blick auf die Kirche genießen können.
Das ist mal eine Jobbeschreibung: „Fressen und suhlen für die Artenvielfalt.“ Sechs Wasserbüffel sind seit Mai im Naturschutzgebiet Wiestal mit Rauber bei Kirchheim unter Teck für den Landes- und Orts-Nabu im Einsatz. Das Gebiet weist Lebensräume von überregionaler Bedeutung auf. Dazu gehören feuchte Lebensraumtypen mit Schilfbeständen sowie Nass- und Feuchtwiesen. Nachdem der NABU in den vergangenen Jahren eine zunehmende Verarmung an Arten feststellte und Amphibienlaichgewässer immer mehr verlandeten, entstand die Idee mit den Büffeln. Die Tiere fressen das Gras und halten die Flächen frei. Der Dung wiederum ernährt Insekten, die wiederum Vögeln als Nahrung dienen. Mit ihren breiten Füßen können die Büffel auf sumpfigen Flächen weiden. In Trittspuren bilden sich Kleinstgewässer und feuchte Schlammstellen. Die robusten Tiere nehmen zudem gerne Schlammbäder, wofür sie weitere Vertiefungen im Gelände schaffen. Dort wiederum finden dann Grasfrösche und Gelbbauchunken einen Lebensraum. Als wir die Tiere auf ihrer riesigen Weide besuchten, suhlten einige der Tiere in einem Teich, während andere daneben im Schatten der Bäume lagen. Ein Jungtier lag in der Sonne. Die Tiere gehören einem Landwirt in Salach, der diese für zwei Jahre ausgeliehen hat. Versorgt werden sie währenddessen von einem örtlichen Landwirt.
Es war sehr heiß, doch wir setzten unsere Tour fort. Entlang der stillgelegten Bahntrasse liefen wir nach Kirchheim, wo wir uns erst ein Mittagessen gönnten, um dann zur nächsten Station aufbrachen.
„Rübezahl“ ist in meinem Wahlkreis kein Berggeist, sondern der Name einer mittelständischen Schokoladenfabrik in Dettingen unter Teck. Das Unternehmen besteht bereits seit 1949. Einige Marken wie Sun Rice (Eigenmarke), Gubor und Friedel dürften vielen Menschen ein Begriff sein. Für „Merci“ werden Weihnachtsmänner produziert, wie wir sehen konnten. Bald wird die Produktion auf Osterartikel umgestellt … Neben Schokolade befinden sich auch Brause und Geleezuckerprodukte im Angebot. Die Exportquote beträgt 40 Prozent, geliefert wird in 50 Länder. Das Unternehmen bietet an seinen verschiedenen Standorten rund 1.500 Arbeitsplätze (davon 300 in Dettingen) und erwirtschaftet einen Umsatz von 280 Millionen Euro pro Jahr. Für einen Teil der Produkte wird Fairtrade-Kakao bezogen. Darüber haben wir mit dem Inhaber ebenso diskutiert wie über den Fach- und Arbeitskräftemangel und die zunehmende Bürokratie.
Um ein süßes Thema ging es auch wenige Kilometer weiter, am Lehrbienenstand des Bezirksbienenzüchterverein Kirchheim unter Teck e. V. Der Verein mit seinen 260 Mitgliedern (Tendenz steigend) aus den umliegenden Kommunen bietet Einführungskurse und Schulungen an. Auf dem Gelände finden sich Historie und Gegenwart der Imkerei. So ist in einem Bienenhaus zu sehen, wie früher die Bienenstöcke aussahen und bedient wurden. Dort wurden früher zudem die Imkereigeräte aufbewahrt. In einem größeren Gebäude befindet sich eine Ausstellung über das Leben der Biene, die Imkerei heute, Krankheiten und Maßnahmen zur Gesunderhaltung der Bienenvölker. Auf der Wiese durften wir einen Blick ins Gewusel eines Bienenstocks werfen. 2023 dürfte übrigens kein Superjahr der Honigernte werden. Die Menge wird wohl geringer ausfallen als im Vorjahr, aber im Normbereich bleiben.
Der sehr heiße Tag wäre damit fast geschafft gewesen. Mit sich vom Wanderstiefel lösender Sohle schaffte ich es gerade noch ins Hotel. Ein starker Schauer am späten Abend führte zu etwas Abkühlung.
Die erste Station des dritten Tages war nur wenige hundert Meter vom Hotel entfernt. Der „Bauladen“ vertreibt natürliche, umweltverträgliche Baustoffe wie Farben, Lacke, Lehm, Kalk, Putze, Bodenbeläge, Dämmstoffe, Zäune aus unbehandeltem Holz, Bettwaren und Putzmittel. Kunden seien meist Privatpersonen, die bauen oder sanieren, so die Landeninhaber. Häufig sei die eigene Gesundheit oder die der Kinder die treibende Kraft, natürliche Farben und Baustoffe einsetzen zu wollen. Vielfach zeige sich, dass diese zudem langlebiger sind als solche aus Baumärkten. Beispielhaft wurden uns die Parkettböden vorgeführt, die aufgrund ihrer Dicken häufiger abgeschliffen werden können. Im Gespräch wurde uns berichtet, dass bei weitem nicht alle Handwerksbetriebe für diese Gedanken zu gewinnen seien.
Der nachfolgende kurze Schauer war nicht weiter tragisch, da es wieder nur eine kurze Strecke bis zu unserem nächsten Halt war.
Das „Café Mittendrin“ ist ein Projekt der Werkstätten Esslingen-Kirchheim und bietet Kaffee- und Teespezialitäten, kalte Getränke, Kuchen und Torten, Mittagstisch mit Salat und Suppen sowie Snacks für Zwischendurch. Zudem werden selbst gefertigte Maultaschen verkauft. Als wir am späten Vormittag ankamen, war mindestens die Hälfte der Plätze belegt. Das Angebot, das mitten in der schwierigen Coronazeit eröffnet wurde, werde zunehmend besser angenommen, so wurde uns berichtet. Hier arbeiten Menschen mit geistiger und körperlicher Behinderung sowie psychisch Erkrankte gemeinsam mit nichtbehinderten Menschen. „Mittendrin“ könne als Zwischenstufe zum ersten Arbeitsmarkt betrachtet werden. Wir sprachen ausführlich mit zwei Führungskräften der Werkstatt über die Chancen, aber auch die Grenzen der Inklusion, die über die Jahre weit verschoben worden seien. Heute seien inklusive Arbeitsformen möglich, die vor Jahren noch für unmöglich gehalten worden waren.
Die Wolken hatten sich etwas verzogen und weiter ging es, nun wieder über eine längere Distanz, nach Oberboihingen.
Auf dem Hofgut Tachenhausen forscht die Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU) im Lehr- und Versuchsgarten. Mit dem Projekt „Weltgarten“ wird der Zusammenhang zwischen Konsumverhalten und Flächenverbrauch aufgezeigt. Auf einem abgesteckten Stück Acker wird genau die Fläche aufgezeigt, die den durchschnittlichen globalen Flächenverbrauch für die Ernährung darstellt. In Deutschland liegt der Flächenverbrauch pro Kopf etwa doppelt so hoch, wie er uns im Durchschnitt zustände. Ein Beispiel: Von der globalen Getreideproduktion wird nur die Hälfte direkt für die menschliche Ernährung genutzt. 40 Prozent landen in den Futtertrögen der Nutztiere und aus dem Rest wird unter anderem Biosprit erzeugt. Die Tierhaltung bindet große Flächen und ernährt in Relation zur Fläche weniger Menschen, als wenn das Getreide direkt für die menschliche Ernährung verarbeitet werden würde. Anders ausgedrückt: Hohe Tierbestände erfordern riesige Flächen und erschweren die Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung. Um aus den Äckern möglichst viel „herauszuholen“ werden diese vielfach intensiv bewirtschaftet, was wiederum der Biodiversität (weniger Insekten, weniger Vögel) schadet. Auch das ist ein Thema auf dem Hofgut: Wie lässt es sich besser im Einklang mit der Natur wirtschaften – bei guten Erträgen? Landwirtinnen und Landwirte werden beraten. Dann geht es beispielsweise um die Fruchtfolge, Untersaaten und blühende Randstreifen. Neben dem „Weltgarten“ ging es in unserem Rundgang aber beispielsweise um „Zukunftsbäume“. Dabei wird an verschiedenen Standorten in Baden-Württemberg und Bayern erprobt, wie bestimmte Baumarten mit dem sich verändernden Klima (Hitze und Trockenheit) zurechtkommen. Da der Versuch erst seit etwa 13 Jahren läuft, kann bestenfalls ein Zwischenergebnis verkündet werden: Vorne liegen unter anderem die Purpurerle und die Blumenesche.
Bis zum gemütlichen Ausklang meiner Drei-Tages-Wanderung in Nürtingen galt es noch einige Kilometer durch Oberboihingen, über Wiesen entlang der Bahnlinie und durch Nürtingen zu laufen. Nach 37 Kilometer und acht Stationen entlang des Weges kann ich sagen: Wieder mal haben meine Begleiter*innen und ich viel gesehen, viel gehört und viel an interessanten und wertvollen Informationen aufnehmen können.