Güterverkehr in Zeiten von Corona
Produktionsstopp in der Industrie, Hamsterkäufe im Lebensmittelhandel, kilometerlange Staus an den Grenzen – die Coronakrise hat innerhalb weniger Wochen und manchmal weniger Tage unseren Alltag mit gewohnten und selbstverständlichen Abläufen durcheinandergewirbelt. Einmal mehr wird deutlich, welche Bedeutung der Bereich Güterverkehr und Logistik für die Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs hat. Die nachfolgende Momentaufnahme zeigt auf, wo die Bundespolitik ggf. kurzfristig nachsteuern muss, um die Funktionsfähigkeit dieses Sektors in der Krise zu gewährleisten.
In der Krise wird die Bedeutung des Sektors Güterverkehr und Logistik vielen erst richtig bewusst – keine Frage, die Logistik ist systemrelevant. Deshalb müssen sich die Bestrebungen der Bundesregierung zur Rettung der Wirtschaft zunächst vor allem auch auf Unternehmen im Bereich Güterverkehr und Logistik konzentrieren. Dazu zählt das ganze Repertoire des Krisenmanagements von Liquiditätshilfen, Stundung von Steuerzahlungen, Kurzarbeitergeld sowie Unterstützung für entlassene Arbeitnehmer. Um den Warenverkehr in Europa den Umständen entsprechend vergleichsweise reibungslos durchführen zu können, ist es angemessen, die Transportmitarbeiter bei allen Verkehrsträgern von den Reisebeschränkungen auszunehmen. Das heißt konkret, dass diese Berufsgruppen von Quarantänepflichten bei kurzfristigem Grenzübertritt ausgenommen sind.
Besonderes Augenmerk verdienen die Arbeitsbedingungen von Lkw-Fahrern, die schon außerhalb von Krisenzeiten keinen guten Ruf haben. So ist der Zugang zu Übernachtungsmöglichkeiten mit angemessenen Verpflegungsmöglichkeiten und ausreichenden sanitären Einrichtungen nicht mehr überall gegeben. Die Bundesregierung ist daher gefordert, im Bundesfernstraßennetz den Betrieb der Rastplätze mit Zugang zu Toiletten, Duschen und Waschmöglichkeiten aufrechtzuerhalten. Hier ist auch die Abstimmung innerhalb der EU notwendig, um europaweit einheitliche Standards zu gewährleisten und den Fahrern annehmbare Arbeitsverhältnisse zu bieten.
Die Güterbahnen auf der Schiene brauchen jetzt unverzüglich eine bundesweite Regelung, dass Schienenverkehrsberufe (vor allem die im Güterverkehr auf der Schiene), Werkstattpersonal und Fahrdienstleiter überall als systemrelevant anerkannt werden. Die Unternehmen des Bahnsektors weisen zu Recht darauf hin, dass für die genannten Berufsgruppen die Kinderbetreuung gewährleistet sein muss. Auch Unterkünfte in Hotels und Pensionen müssen an den Standorten des Lokführerwechsels geöffnet oder Werkstätten für die Instandhaltung der Schienenfahrzeuge verfügbar sein. Flexible Öffnungszeiten in den Terminals des Kombinierten Verkehrs bis hin zum 24-Stunden-Betrieb sind jetzt zu prüfen, um den Umschlag zwischen Schiene und Straße zu erleichtern. Der Förderung des Kombinierten Verkehrs, bei dem der Hauptlauf der Ladung auf der Schiene zurückgelegt wird, dient auch der Erlass der Lkw-Maut im Vor- und Nachlauf zum Kombinierten Verkehr – also die Fahrt des Lkw zum bzw. vom Terminal. Diese Maßnahme zur Förderung der Verkehrsverlagerung hatte die Bundesregierung bereits im Masterplan Schienengüterverkehr von 2017 aufgenommen, bisher aber noch nicht umgesetzt. Diese Maßnahme zur Förderung des Kombinierten Verkehrs und zur Verkehrsverlagerung auf die Schiene muss die Regierung jetzt schnellstmöglich auf den Weg bringen.
Da aufgrund des in Teilen der Industrie (z. B. Automobilindustrie) umgesetzten Produktionsstopps für die Güterbahnen ein wichtiger Teil ihre Geschäfts innerhalb von Tagen weggebrochen ist und andere Güterzüge mit geringerer Auslastung verkehren, müssen die Güterbahnen auch Zugang zu einem Krisenfonds erhalten, um bei Einnahmeausfällen und krisenbedingten Mehrkosten zu kompensieren. Sofern es im weiteren Verlauf der Coronakrise die Lage erfordert, kann die Bundesregierung den Bahnsektor auch durch eine Senkung der Trassenpreise schnell und unbürokratisch helfen.
Auch die traditionell auf Massengüter, aber auch Containertransporte ausgerichtete Binnenschifffahrt bekommt die Auswirkungen der Krise zu spüren. Insbesondere Unternehmen der chemischen Industrie, mineralölverarbeitenden Industrie, Kraftwerke sowie Mühlenbetriebe sind auf die Transportleistungen der Binnenschifffahrt angewiesen. Die Wasserstraßenverwaltung des Bundes hat jetzt ein Kernnetz definiert, um hier die weitgehende Funktionsfähigkeit des Wasserstraßensystems abzusichern. Doch auch in diesem Teilnetz zwingen krankheitsbedingte Personalausfälle zur Einschränkung der Betriebszeiten an den Schleusen, so dass bundesweit vor allem Nachtschleusungen ausgesetzt werden. Um die Einschränkungen der Schleusenbetriebszeiten auf ein Minimum zu begrenzen, sollte der Bund auch unkonventionelle Lösungen wie den vorübergehenden Einsatz von Schleusenwärtern, die erst kürzlich in den Ruhestand gegangen sind, ausloten.
Besonders wichtig ist uns, dass die Flexibilisierung von Arbeitszeiten und beim Lkw-Sonntagsfahrverbot so schnell wie möglich wieder zurück genommen wird. Maßnahmen, die wie die Ausweitung der Lenkzeiten dazu dienen, die Versorgung des Lebensmitteleinzelhandels in der besonderen Krisenzeit sicherzustellen, dürfen kein Dauerzustand zu Lasten der Beschäftigten werden.
Noch ist es zu früh, um über Konsequenzen der Coronakrise zu diskutieren, da keiner seriös abschätzen kann, wie lange die Krise andauert. Doch so viel kann man heute schon sagen: Komplexe Produktions- und Lieferketten von Industrieunternehmen, die teilweise weltumspannend organisiert sind, werden künftig zunehmend hinterfragt werden. Resilienz, Stabilität und Krisentauglichkeit von Produktionsnetzwerken werden einen ganz eigenen Wert bekommen – jedenfalls dann, wenn man nicht einfach zur Tagesordnung übergeht und “business as usual” betreibt.
Hinweis: Dieser Beitrag kann aufgrund der hohen Aktualität des Themas zumindest in Teilen schnell nicht mehr den geltenden Zustand wiedergeben.