Die S‑Bahn in der Region Stuttgart macht seit einigen Jahren vor allem wegen ihrer Unpünktlichkeit Schlagzeilen. Doch was sind die Gründe und wie kann Abhilfe aussehen? Um diesen Fragen von der anschaulichen, praktischen Perspektive nachzugehen, unternahm ich eine Führerstandsmitfahrt.
Am Stuttgarter Hauptbahnhof traf ich mich mit zwei Lokführern und dem Chef der S‑Bahn. Einer der Lokführer fuhr den Zug, der andere war in seiner zusätzlichen Funktion als örtlicher Betriebsleiter dabei, um mir meine Fragen von der praktischen Seite zu beantworten, ohne den fahrenden Lokführer abzulenken.
Passend zu unserem Thema kam die S‑Bahn mit einer Verspätung von rund 10 Minuten am Hauptbahnhof an. Über die S‑Bahn-Stammstrecke zur Schwabstraße und weiter über Stuttgart-Vaihingen ging die Fahrt nach Filderstadt. Die Stammstrecke ist der am dichtesten befahrener Streckenabschnitt der Stuttgarter S‑Bahn und ist als verspätungsanfälliges Nadelöhr bekannt.
Gerade deshalb ist es gut und richtig, dass hier endlich bauliche Maßnahmen umgesetzt wurden und werden. So werden auf dem Abschnitt zwischen Hauptbahnhof und Schwabstraße höhere Geschwindigkeiten möglich, hier kann zukünftig mit 20 km/h mehr, also 80 km/h gefahren werden. Zwischen Schwabstraße und Universität wird die Geschwindigkeit ebenfalls talwärts angehoben. Zudem wurde in diesem Abschnitt eine neue Weichenverbindung zwischen den beiden Streckengleisen (neue Überleitstelle Birkenkopf) eingebaut, die allerdings erst 2026 in Betrieb gehen wird. Damit ist im Störungsfall eine deutlich flexiblere Betriebsabwicklung möglich. In Planung befinden sich weitere Maßnahmen im S‑Bahn-Netz, wie ein zusätzliches Wendegleis[1] und eine Weiche, um weitere S‑Bahnen nach Böblingen fahren zu können.
Leider lässt sich am eingleisigen Tunnel unter dem Flughafen nachträglich nichts mehr an der Infrastruktur ändern. ETCS wird auf der eingleisigen Strecke nicht den vollen Mehrwert dichterer Zugfolgen bringen. Eine Erfahrung, die wir bei der Führerstandsmitfahrt hatten, wird allerdings entschärft: Wir konnten aus Richtung Stuttgart kommend nur mit reduziertem Tempo 30 in die Station „Flughafen“ einfahren. Grund: Der Gegenzug aus Filderstadt war noch nicht vollständig in den Bahnhof eingefahren und die Weiche aus Richtung Filderstadt lag noch im Durchrutschweg des Ausfahrtsignals in Richtung Filderstadt. Mit ETCS dürften solche Einschränkungen weniger gravierend sein. Kurzum: Kreuzungen in Filderstadt und am Flughafen lassen sich mit etwas weniger Zeitverzögerung realisieren.
Die größte Veränderung für die S‑Bahn Stuttgart wird sich mit dem „Digitalen Knoten Stuttgart“ (DKS) ergeben. Im Kernnetz werden die physisch ortsfesten Signale abgebaut, wodurch sich – nach einer Bewährungsphase – die Anzahl der Störungen deutlich verringern lassen sollte. Los gehen soll es im September 2026 in der Stammstrecke und weiter nach Filderstadt. Hier sollen die ersten Erfahrungen im Realbetrieb mit Fahrgästen gesammelt werden.
Zu diesem Thema verweise ich auf den ausführlichen Erläuterungen auf meiner Homepage: https://www.matthias-gastel.de/wie-die-s-bahn-von-etcs-profitieren-soll/
Aus meiner Sicht sollte eine Pünktlichkeitsstrategie auf weitere, zusätzliche Maßnahmen setzen. Dafür hatte ich den Einbau einer Weiche bei Oberaichen vorgeschlagen, um die betriebliche Flexibilität zu verbessern. Siehe https://www.matthias-gastel.de/kleinmassnahmen-fuer-stabileren-s-bahn-betrieb-in-stuttgart/
Die Verspätung haben wir übrigens bei unserer gemeinsamen Fahrt bis Filderstadt nicht abbauen können. Dafür ist die derzeitige Infrastruktur leider nicht behilflich. Einziger Trost: In Filderstadt wie an einigen anderen Endpunkten des S‑Bahn-Netzes wird die „überschlagende Wende“ praktiziert. Dabei bricht nicht die zuletzt ankommende S‑Bahn gleich wieder auf zur neuen Tour, sondern die S‑Bahn, die zuvor angekommen war. Damit wird die Wahrscheinlichkeit, dass sich Verspätungen fortsetzen, deutlich unwahrscheinlicher.
[1] Das Wendegleis wird benötigt, um eine weitere Linie aus der S‑Bahn-Stammstrecke hinaus (also eine der Linien, die aktuell an der Schwabstraße wenden) nach Böblingen verlängern zu können. Das Wendegleis selbst kann man sich so vorstellen, dass hinter den Bahnsteigen in Richtung Herrenberg ein Stumpfgleis geschaffen wird, in das die S‑Bahn nach dem Ausstieg der Fahrgäste am Bahnsteig hineinfährt und damit das Bahnsteiggleis für andere Züge frei macht. Vom Wendegleis aus kann der Zug in umgekehrter Fahrtrichtung ausfahren und zum Bahnsteiggleis zurückfahren, um von dort aus eine neue Fahrt zu starten.