Wie kommt der öffentliche Verkehr wieder in Schwung?
Grünes Fachgespräch mit der Branche
Die Fahrgastzahl im öffentlichen Personenverkehr ist in der Pandemie deutlich eingebrochen. Wie können Fahrgäste zurück gewonnen und Umsteiger/innen vom Auto für Bus und Bahn gewonnen werden? Darüber sprachen wir in einem Fachgespräch mit Vertreter*innen der Branche und der Wissenschaft.
Unsere Gäste waren Dr. Jan Schilling vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), die Psychologin Prof. Sophia Becker von der TU Berlin, Dr. Andreas Schröder vom Fahrgastverband Pro Bahn und Anna-Theresa Korbutt vom Hamburger Verkehrsverbund.
Auch wenn die Fahrgastzahlen wieder steigen, liegt deren Anzahl aktuell noch um 40 bis 50 Prozent unter der Vor-Corona-Zeit. Beklagt werden die hohen Verluste an Zeitabos, oft bei Großkunden/Unternehmen. Diesen Teil der Kundschaft zurückzugewinnen gilt als besonders anspruchsvoll. Als noch schwieriger wird die Gewinnung neuer Fahrgäste eingeschätzt. Zu hören war auch die Einschätzung, dass die Fahrgäste zurückkehren würden, aber mit einem anderen Nutzungsverhalten. So würde auch nach der Pandemie ein Teil des Homeoffices in seinen sehr unterschiedlichen Ausprägungen erhalten bleiben. Über den Tag gesehen würde es zu einer „Kapazitätsglättung“ kommen, also einer geringeren Ausprägung der Hauptverkehrszeiten.
Die Referentinnen und Referenten trugen eine Vielzahl an Ideen zusammen, wie Fahrgäste zurück- und neu gewonnen werden können: Flexiblere Tarifangebote insbesondere für Beschäftigte, die wegen Homeoffice nicht mehr täglich Bus und Bahn nutzen; mehr digitale Angebote; Bonus für Rückkehrer*innen; offensive Kommunikation der Maßnahmen zum Infektionsschutz; mehr Personal für die Erhöhung des Sicherheitsempfindens. Eine Feststellung lautete, dass die Maskenpflicht das Sicherheitsempfinden stärker erhöhe als dass sie potentielle Fahrgäste abschrecke. Es wurde auch darauf hingewiesen, dass es Veränderungen beim Motorisierten Individualverkehr (MIV) geben muss: Die Kosten fürs Auto müssten steigen, die Anzahl der öffentlichen Stellplätze in den Innenstädte reduziert werden.
Insgesamt ist deutlich geworden, dass die öffentlichen Verkehrsmittel das Vertrauen der Fahrgäste zurück gewinnen müssen, wenn sie wieder deutlich auf Wachstumskurs kommen sollen. Dieses Wachstum zu Lasten des Autos werden sie hinlegen müssen, wenn Klimaziele im Verkehrssektor erreicht werden sollen.
Hintergrundinfos
Die Deutsche Bahn (DB) Fernverkehr setzt, so ihr Chef Michael Peterson im Interview[1], auf eine Angebotsoffensive. Im Sommer sollen mehr Züge als Direktverbindungen ans Meer und in die Berge fahren. Geschäftsreisenden werden mehr Sprinterzüge angeboten. 2022, so die Hoffnung, könnten die Fahrgastzahlen wieder auf dem Niveau von 2019 angelangt sein. Prof. Kay Axhausen, Lehrstuhlinhaber für Verkehrsplanung und Transportsysteme an der ETH Zürich, glaubt hingegen nicht, dass klassische Konzepte wie bessere Angebote weiterhelfen. Stattdessen müsse noch mehr für die Sauberkeit, Klimaanlagen und die bessere Verteilung der Fahrgäste getan werden.[2]
[1] Tagesspiegel Background 11. Juni 2021
[2] Stuttgarter Zeitung v. 10. Juni 2021