Zu Besuch bei der Tafel Filderstadt

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14.04.2018

Gespräch über Armut

Die ers­te Tafel wur­de 1993 eröff­net. Mitt­ler­wei­le gibt es bun­des­weit fast 1.000 Tafeln mit etwa 2.000 Aus­ga­be­stel­len. Eine davon, näm­lich die in Fil­der­stadt, habe ich besucht. Sie war die drit­te Tafel bun­des­weit, als sie im Jahr 1995 eröff­net wur­de.

Kurz vor der Bun­des­tags­wahl 2013 hat­te ich in die­ser Tafel, die ich bereits von zahl­rei­chen Besu­chen kann­te, ein ein­tä­gi­ges Prak­ti­kum absol­viert. Ich war dabei, als mit einem Trans­por­ter die Spen­den in Super­märk­ten und Bäcke­rei­en ein­ge­sam­melt wur­de, habe die Waren sor­tiert, in die Rega­le ein­ge­räumt und an der Aus­ga­be mit­ge­wirkt. Nun habe ich wie­der bei der Tafel, die eine von drei Tafel­lä­den des Kreis­dia­ko­nie­ver­ban­des Ess­lin­gen ist und täg­lich von 160 bis 180 Kun­din­nen und Kun­den besucht wird, vor­bei­ge­schaut und mich mit Tafel­lei­te­rin Tan­ja Her­brick unter­hal­ten.

2015 und noch mehr 2016 kamen zuneh­mend Flücht­lin­ge, um in der Tafel ein­zu­kau­fen. Kon­flik­te zwi­schen „alten und neu­en“ Kun­den blie­ben nicht aus, als plötz­lich bis zu 200 Men­schen bin­nen der vier­stün­di­gen Öff­nungs­zei­ten am Tag in den klei­nen Laden ström­ten. Ver­schärft wur­de der Kon­flikt dadurch, dass seit Jah­ren die Sach­spen­den zurück­ge­hen. Die Dis­coun­ter gehen bei­spiels­wei­se bei der Kühl­wa­re dazu über, bald ablau­fen­de Pro­duk­te sel­ber zum ermä­ßig­ten Preis zu ver­kau­fen. Auch bei Frisch­wa­ren gibt es immer wie­der Eng­päs­se. Dass der Ein­zel­han­del sen­si­bler mit ablau­fen­den Lebens­mit­teln umgeht ist zu begrü­ßen. Für die Tafeln stellt es ein Pro­blem dar. Die Anzahl derer, die täg­lich in den Tafel­la­den kom­men, hat sich inzwi­schen wie­der etwas ver­rin­gert. Was an orga­ni­sa­to­ri­schen Kon­se­quen­zen auf­recht­erhal­ten bleibt ist die Limi­tie­rung der Anzahl von Per­so­nen, die gleich­zei­tig im Laden sein dür­fen, um Drän­ge­lei­en zu ver­mei­den und es ist nur noch ein Ein­kauf pro Fami­lie und Tag mög­lich. In Ech­ter­din­gen und Nell­in­gen, wo es noch enger als in Bern­hau­sen zugeht, gibt es ein Num­mern­sys­tem, bei dem die Rei­hen­fol­gen, nach der die klei­nen Ver­kaufs­räu­me betre­ten wer­den dür­fen, aus­ge­lost wer­den. Eine Zugangs­re­ge­lung nach Natio­na­li­tä­ten, wie sie bei der Esse­ner Tafel eini­ge Wochen lang prak­ti­ziert wur­de und hef­ti­ge öffent­li­che Debat­ten aus­lös­te, „geht gar nicht“, ist man sich beim Kreis­dia­ko­nie­ver­band Ess­lin­gen einig.

Wer sind die Men­schen, die in der Tafel ein­kau­fen? Vor­aus­set­zung für den Zugang zur Tafel ist der Bezug von Arbeits­lo­sen­geld II („Hartz IV“), Grund­si­che­rung oder Leis­tun­gen nach dem Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz. Auch Gering­ver­die­ner, die knapp über dem ALG II-Regel­satz lie­gen, erhal­ten den Aus­weis. Ins­ge­samt ist die Kund­schaft älter gewor­den, wie Frau Her­brick erläu­ter­te. Es gibt Kun­din­nen und Kun­den, die seit Bestehen der Tafel – also über 20 Jah­re – dort ein­kau­fen. Auch dies kann als Hin­weis dar­auf ver­stan­den wer­den, dass die Abhän­gig­keit von Sozi­al­leis­tun­gen für zu vie­le Men­schen mehr als eine vor­über­ge­hen­de Not­wen­dig­keit ist und wirft Fra­gen in Sachen Arbeits­markt­in­te­gra­ti­on auf.

Von der Tafel in Ess­lin­gen ist zu hören, dass es immer wie­der zu Ärger mit Kun­den kommt, die mehr als die „han­dels­üb­li­che Men­ge“ eines Arti­kels kau­fen wol­len. Dann käme es zu wüten­den Beschimp­fun­gen. Dass in Bern­hau­sen nur drei bis vier vier­wö­chi­ge Haus­ver­bo­te gegen Dräng­ler ver­hängt wer­den muss­ten zeigt, dass es sich um Aus­nah­men han­delt und es ins­ge­samt gesit­tet zugeht.

Natür­lich haben wir auch über Sinn und Unsinn von Tafeln dis­ku­tiert. Ist die Exis­tenz der Tafeln eine Schan­de? „Ja, klar. Weil zu vie­le Men­schen zwin­gend dar­auf ange­wie­sen sind“, lau­tet die Ant­wort, die ich im Gespräch zu hören bekom­me. Ande­rer­seits: „Mit der sinn­vol­len Ver­wer­tung noch guter Lebens­mit­tel gibt es eine zwei­te Per­spek­ti­ve, mit der die Tafel­lä­den gese­hen wer­den kön­nen.“

Ich bin der Mei­nung, dass es auch bei wirk­sa­mer Armuts­be­kämp­fung (die drin­gend not­wen­dig ist!) immer Men­schen in rela­ti­ver Armut geben wird, die froh sind, wenn sie einen Teil ihres Bedarfs zu beson­ders güns­ti­gen Prei­sen decken kön­nen. Zugleich wäre es auch scha­de, wenn noch gute, aber nicht mehr zum vol­len Preis ver­äu­ßer­li­che Lebens­mit­tel ver­nich­tet wer­den müss­ten.

Wei­te­re Dis­kus­si­ons­punk­te waren die Ange­mes­sen­heit von Regel­sät­zen, bedarfs­ab­hän­gi­ge Ein­zel­leis­tun­gen für Men­schen in ALG II-Bezug und ein Sozi­al­ti­cket für den öffent­li­chen Nah­ver­kehr.

In unse­rer Bun­des­tags­frak­ti­on und der grü­nen Par­tei kommt die Dis­kus­si­on um die Armuts­be­kämp­fung immer mehr in Fahrt. Eine zen­tra­le Fra­ge ist dabei die, wie es mit den Hartz-Refor­men, mit denen Ant­wor­ten auf die Her­aus­for­de­run­gen der 1990er-Jah­re gesucht wur­den, wei­ter gehen soll. Wäh­rend es damals eine hohe Arbeits­lo­sig­keit zu bekämp­fen und die Träg­heit der Arbeits­ver­wal­tung zu über­win­den galt, geht es heu­te vor allem um pass­ge­naue­re Hil­fen für Lang­zeit­ar­beits­lo­se, die Ver­ein­bar­keit von Fami­lie und Erwerbs­tä­tig­keit sowie die Ver­mei­dung von Armut von Allein­er­zie­hen­den und im Alter. Die Digi­ta­li­sie­rung bringt dar­über hin­aus gra­vie­ren­de Ver­än­de­run­gen, auf die sich die Arbeits­markt­po­li­tik eben­falls ein­stel­len muss.