Zu Gast bei einer Drückjagd

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05.01.2017

Täg­lich errei­chen mich vie­le Ein­la­dun­gen. Eine sol­che zu einer Drück­jagd hin­ge­gen erhielt ich bis­lang noch nie. Um den Jah­res­wech­sel her­um war es dann so weit. Ich fra­ge mich: Wie soll ich damit umge­hen?

Gesprä­che mit Tier­schüt­zern, aber auch mei­ne Neu­gier bestärk­ten mich, mir das aus der Nähe anzu­schau­en und die Chan­ce für Dia­lo­ge mit Jägern zu nut­zen. Im Vor­feld nutz­te ich die Zeit, mich zu infor­mie­ren: Wel­che Zie­le wer­den mit der Drück­jagd (ande­res Wort für „Treib­jagd“) ver­folgt? Was sagt der „Öko­lo­gi­sche Jagd­ver­band“ als kri­ti­scher Inter­es­sen­ver­band inner­halb der Jagd­sze­ne, wie argu­men­tie­ren gene­rel­le Geg­ner der Jagd?

Von Tier­schüt­zern, die der Jagd nicht ableh­nend gegen­über ste­hen, war mir erläu­tert wor­den, wor­auf es bei einer Treib­jagd ankommt: Revier­über­grei­fen­de Koor­di­na­ti­on, zu Beginn kla­re Ansa­gen (was wird gejagt, was wird nicht gejagt, Sicher­heits­be­stim­mun­gen, …), gute Schüt­zen, Ver­hält­nis Schüs­se zu Tref­fern von min­des­tens 1,6:1 bes­ser noch 1,4:1. Wenn dies alles beach­tet wird, muten Drück­jag­den für die Fau­na des Wal­des weni­ger Unru­he zu als regel­mä­ßi­ge klei­ne­re Jag­den. Drück­jag­den kön­nen dann als Teil eines Kon­zep­tes ein sinn­vol­les Beja­gungs­in­stru­ment dar­stel­len.

Die „Initia­ti­ve zur Abschaf­fung der Jagd“ ver­steht sich als ein Netz­werk von Orga­ni­sa­tio­nen und Ein­zel­per­so­nen und bezieht die radi­kal anmu­ten­de Gegen­po­si­ti­on. Auf deren Home­page heißt es:

„300.000 Jäger brin­gen in Deutsch­land jähr­lich 5 Mil­lio­nen Tie­re um. Viel­fach auf grau­sams­te Wei­se: Hasen durch Schrot­la­dun­gen, die sie vor Schmerz auf­schrei­en las­sen wie klei­ne Kin­der; Rehe und Wild­schwei­ne durch »Expan­si­ons­ge­schos­se«, die aus den schwer ver­wun­de­ten Tie­ren Blut und Darm­in­hal­te als »Pirsch­zei­chen her­aus­schla­gen«, damit sie auf der Flucht Spu­ren für die Nach­su­che hin­ter­las­sen. (…) Inzwi­schen haben Öko­lo­gen die Lebens­lü­ge der Jagd ent­larvt: Das Gleich­ge­wicht von Natur und Tie­ren bedarf nicht schieß­wü­ti­ger Jäger, son­dern stellt sich lang­fris­tig von selbst ein – durch eine inne­re Regu­la­ti­on der Gebur­ten­ra­te, durch Anpas­sung an die Kapa­zi­täts­gren­zen der Umwelt und durch ein Aus­wei­chen der Arten. (…) Es gibt kei­ne Recht­fer­ti­gung mehr, dass wir den blu­ti­gen Krieg gegen unse­re Mit­ge­schöp­fe in Wald und Feld fort­set­zen. Viel­leicht war der Mensch frü­her auf sei­ne Jagd­beu­te zum Über­le­ben ange­wie­sen. Heu­te dient sie nur mehr der Fleisch­sucht eini­ger Gour­mets, die auf ihren Hasen- und Reh­bra­ten nicht ver­zich­ten wol­len. Vor allem aber lebt die Jagd von der Lust der Jäger zu töten, bequem und fei­ge von Hoch­stän­den her­un­ter und aus dem Hin­ter­halt zu schie­ßen, vor denen sie ihre ahnungs­lo­sen Opfer zur Hen­kers­mahl­zeit ver­sam­meln. Es wird höchs­te Zeit, von der Tra­di­ti­on der lega­li­sier­ten Lust-Tötung von Tie­ren Abschied zu neh­men, von einer Tra­di­ti­on, die vom Hoch­adel und von Kir­chen­fürs­ten, von Poli­ti­kern und Neu­rei­chen über­nom­men wur­de, um mensch­li­che Gel­tungs­be­dürf­nis­se und Aggres­sio­nen zu befrie­di­gen. (…) Des­halb for­dern wir die Abschaf­fung der Jagd und den Frie­dens­schluss mit den Tie­ren.“

Eini­gen Jagd­tra­di­tio­nen ableh­nend, der Jagd ins­ge­samt aber posi­tiv gegen­über steht der Öko­lo­gi­sche Jagd­ver­band Baden-Würt­tem­berg e. V. sei­ner Home­page ist zu ent­neh­men: „Obers­tes Leit­ziel der Jagd ist der Nach­hal­tig­keits­ge­dan­ke. Wir wol­len die Jagd als not­wen­di­ges Regu­la­tiv im Sin­ne des gestal­ten­den Natur­schut­zes ver­stan­den wis­sen. Wir for­dern eine Neu­ori­en­tie­rung der Jagd, wo sie noch nicht auf moder­nen Erkennt­nis­sen der Wild­bio­lo­gie und der Land- und Forst­wis­sen­schaft basiert. Jagd soll mög­lichst stö­rungs­arm, effek­tiv, wild­tier­ge­recht und tier­schutz­kon­form aus­ge­übt wer­den. (…) Der ÖJV-BW for­dert eine effi­zi­en­te und stö­rungs­ar­me Form der Jagd­aus­übung. Dazu gehö­ren ins­be­son­de­re groß­räu­mig ange­leg­te, revier­über­grei­fen­de Bewe­gungs­jag­den unter fol­gen­den Vor­aus­set­zun­gen: Ein­satz geeig­ne­ter Hun­de, Ein­satz erfah­re­ner und ent­spre­chend trai­nier­ter Schüt­zen, Frei­ga­be aller Wild­ar­ten mit Jagd­zeit (…).“

Der Öko­lo­gi­sche Jagd­ver­band Bay­ern e. V. schreibt in sei­ner aus­führ­li­cher Schrift zur Bewe­gungs­jagd: „Bewe­gungs­jag­den sind (…) die ein­zi­ge effi­zi­en­te Beja­gungs­me­tho­de für Scha­len­wild. Mit der Ansitz­jagd allein kön­nen infol­ge der Lern­fä­hig­keit des Scha­len­wilds art­an­ge­pass­te Wild­dich­ten nicht erreicht wer­den. (…) Geht man davon aus, dass die natür­li­che Aus­le­se wesent­lich durch Wöl­fe mit­be­stimmt war, liegt die Ein­be­zie­hung von Stö­ber­hun­den bei der Beja­gung nahe. Die Bewe­gungs­jagd ähnelt der Jagd durch ein Wolfs­ru­del, wel­ches in ein Wald­ge­biet kommt, dort für kur­ze Zeit „Unru­he“ stif­tet, Beu­te macht, um danach wie­der wei­ter­zu­zie­hen. Zwi­schen­zeit­lich kommt es zu Ruhe­pha­sen, in wel­chen dem Wild nicht nach­ge­stellt wird. (…) Damit ent­fällt die Dau­er­be­un­ru­hi­gung wie bei stän­di­gem Ansit­zen. Der Jagd­druck wird ver­rin­gert, Wild­schä­den wer­den ver­mie­den und die Ent­wick­lung natur­na­her Wäl­der ermög­licht. (…) Weil Bewe­gungs­jag­den am Tage statt­fin­den und meist auf ste­hen­des Wild geschos­sen wird, besteht hohe Sicher­heit und ist kor­rek­tes Anspre­chen mög­lich. Fehl­schüs­se auf­grund ungüns­ti­ger Licht­ver­hält­nis­se wer­den ver­mie­den. Zusam­men­fas­send kann fest­ge­hal­ten wer­den, dass groß­räu­mi­ge Bewe­gungs­jag­den eine aus­ge­spro­chen effi­zi­en­te Jagd­art sind, bei wel­cher mit kür­zes­ter Beun­ru­hi­gung Wild tier­schutz­ge­recht erlegt wer­den kann.“

So vor­be­rei­tet war ich also dabei. Am Sam­mel­platz erfolg­te dann die Ansa­ge: Trei­bern wie Jägern wur­de erklärt, was gejagt wird (näm­lich vor allem Wild­schwei­ne, aber auch Reh und Raub­wild, also Füch­se). Es gab mehr­fach Sicher­heits­hin­wei­se („Obers­tes Gebot“, „Lie­ber Wild lau­fen las­sen“, „Vor­sicht auf Spa­zier­gän­ger auch im abge­sperr­ten Bereich“) und Not­fall­num­mern.

Nach dem kur­zen Auf­tritt der Jagd­horn­blä­ser mach­ten sich die Jäger auf den Weg an ihre Hoch­sit­ze. Die Trei­ber war­te­ten noch eine Wei­le ab, bis auch sie auf­bra­chen, um – unter­stützt durch eini­ge Hun­de – das Wild auf­zu­scheu­chen und in Rich­tung der Jäger zu trei­ben. Zu sehen bekam ich aber kein ein­zi­ges Tier, da – das war mir neu – die Wild­schei­ne häu­fig im Dickicht in Deckung blei­ben statt zu flüch­ten. Unter­wegs hat­te ich mit eini­gen Jägern inter­es­san­te Gesprä­che (eini­ge der Jäger waren als Trei­ber unter­wegs – von wegen, Jäger woll­ten immer nur schie­ßen!). Ein Jäger erklär­te mir, die Jagd sei Aus­druck bür­ger­li­cher Rech­te, die einst dem Adel genom­men wur­de – eine ganz ande­re Deu­tung als die der Jagd­geg­ner (sie­he oben). Ein ande­rer führ­te aus, dass er sich als ehren­amt­li­cher Ran­ger und Natur­lieb­ha­ber ver­steht. Da erin­ner­te ich mich an frü­he­re Jah­re, als ich an der Mar­kungs­putz­ete der Stadt teil­nahm und mehr­fach mit der Grup­pe der Jäger Müll auf­sam­mel­te und mich unter­wegs mit ihnen über das kom­mu­na­le Reb­huhn­schutz­pro­gramm, das von der Jäger­schaft unter­stützt wur­de, aus­tausch­te. Zurück zur Drück­jagd: Die Jäger berich­te­ten mir von den Ver­än­de­run­gen im Wild­be­stand. Durch die Kli­ma­ver­än­de­rung könn­ten vor allem Wild­schwei­ne nahe­zu ganz­jäh­rig Nach­wuchs bekom­men, zumal der Tisch mit Buch­eckern, Eicheln und Mais sowie die Aus­wahl an Kom­post­häu­fen reich gedeckt ist.

Geschos­sen wur­den wäh­rend der etwa drei­stün­di­gen Jagd 11 Rehe und 7 Wild­schwei­ne. Die gro­ßen Schä­den durch Wild­schwei­ne vor Augen – mei­ne wöchent­li­che Jog­gingstre­cke führt mit­ten durchs Jagd­ge­biet – hat­te ich ehr­lich gesagt mit einer höhe­ren Anzahl gerech­net. Eini­ge Jagd­geg­ner hat­ten an einer Stel­le ver­sucht, die Jagd zu stö­ren. Sie wur­den von der Poli­zei aus dem Jagd­ge­biet her­aus gebracht. Scha­de, dass mir mit ihnen kein Dia­log mög­lich war.