Unter welchen Bedingungen sollen Bahnflächen zugunsten anderer Nutzungen entwidmet werden dürfen? Dies war Thema einer Anhörung im Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages. Hintergrund ist eine Verschärfung der bisherigen Regelung durch eine Änderung von § 23 Allgemeines Eisenbahngesetz, das im Dezember 2023 in Kraft getreten ist. Einige Kommunen bemängeln, dass ihre Projekte dadurch nicht realisiert werden können oder zumindest unsicher geworden sind. Nachfolgend gebe ich meine Kommentierung (die nicht dem Wortlaut entsprechen muss) wieder:
Auffallend ist: Es geht um ein Bundesgesetz, das bundesweit gilt. Sehr viele Flächen könnten der Bahn entzogen werden, doch hier in der Anhörung geht es weit überwiegend um Stuttgart. Was dazu bisher niemand gesagt hat: Die Ursache dieses heutigen Konfliktes in Stuttgart liegt Jahre zurück und wurde rein politisch und gegen alle fachliche Vernunft entschieden. Es geht um die Festlegung darauf, dass die Gäubahnzüge unbedingt über den Flughafen fahren müssen. Ich erinnere an die unsäglichen Pläne im Planfeststellungsabschnitt 1.3 mit dem Mischverkehr auf der S‑Bahn-Strecke. Viel wurde hier geplant und wieder umgeplant (Rohrer Kurve, Bahnhof am Flughafen), aber nichts hat sich als machbar bzw. vertretbar erwiesen. Dann kam die Idee mit dem Pfaffensteigtunnel auf. Dieser ist sehr teuer für verhältnismäßig wenige Züge. Er war nie finanziert und das Tempo bei der Planung wurde inzwischen herausgenommen. Das Ergebnis der frühen Fehlentscheidung: Die Regionen zwischen Konstanz und Herrenberg/Böblingen drohen auf viele Jahre ihre direkten Anbindungen an den Stuttgarter Hauptbahnhof zu verlieren. Das ist fatal für die Mobilität und die Reisenden! Die Ausgangslage ist nun denkbar kompliziert. Denn auch der Wohnungsbau in Stuttgart stellt selbstverständlich ein legitimes Interesse dar. Der Konflikt wäre vermeidbar gewesen, hätte man vor Jahren die fachlich richtigen Entscheidungen getroffen.
Zurück zum Gesetz. Das AEG heißt „Allgemeines Eisenbahngesetz“. Es ist allgemein und nicht speziell für Stuttgart geschaffen worden. Wir sprechen alleine im laufenden Jahr von 150 durch die Deutsche Bahn verkaufte Flächen. Um 100 Flächen soll es im nächsten Jahr gehen. Diese Praxis geht zu weit, sie schadet der Schiene und damit auch den Städten, die auf nachhaltige Verkehrslösungen angewiesen sind.
Nochmal zu Stuttgart: Ich erinnere daran, dass ich als erster öffentlich auf die Konflikte durch das geänderte AEG aufmerksam gemacht habe und sogleich auch die Bereitschaft bekundet habe, nochmal an dieses Gesetz ranzugehen. Wobei sehr klar ist, dass an einem Großteil der Flächen in Stuttgart kein Bedarf mehr seitens der Bahn besteht. Was es mit einer erneuten Änderung des AEG nicht geben darf, ist ein Rückfall ins alte Recht. Damit wurden der Bahn an vielen, vielen Orten bundesweit bereits unzählige Entwicklungsmöglichkeiten entzogen. Die Folge sind überlastete Knoten, fehlende Logistikflächen für die Verlagerungen von Gütern auf die Schiene, schwierige Reaktivierungen und fehlende Abstellmöglichkeiten für immer mehr Züge. Auch heute bestehen Interessenskonflikte, bei denen keineswegs klar ist, dass diese zugunsten der Schiene entschieden werden, siehe Steigerwaldbahn in Bayern. Daher muss nochmal gesagt werden: Wir sprechen über das Eisenbahngesetz, nicht über das Baugesetzbuch. Ausgangspunkt ist der Bedarf der Bahn. Die Deutsche Bahn möchte allein in diesem Jahr 150 Grundstücke verkaufen, die dann voraussichtlich entwidmet werden sollen. Da muss man genau hinschauen. Wie Jurist Prof. Kramer eindrucksvoll dargelegt hat, sind Entwidmungen auch heute möglich – und das keineswegs ausschließlich für Vorhaben des überragenden öffentlichen Bedarfs. Das Eisenbahnbundesamt macht es sich auch aus unserer Sicht zu einfach mit seiner Interpretation des Gesetzes. Wo Flächen auch langfristig nicht mehr benötigt werden oder gar aufgrund ihrer Lage gar nicht mehr genutzt werden können darf auch jetzt, unter verschärften Bedingungen, entwidmet werden. Erstaunt war ich über Aussagen in der ersten Runde von Berlins Verkehrssenatorin, die für Entwidmungen zugunsten von Bebauungen plädierte. Eine wachsende Stadt hat doch auch mitwachsende Mobilitätsbedürfnisse. Zum Antrag der CDU muss ich das aufgreifen, was Prof. Kramer gesagt hatte: Damit würde die Option entfallen, dass Eisenbahnflächen in Nutzflächen für Stadtbahnsysteme umgewidmet werden können. Das wäre beispielsweise für die Regionalstadtbahn Neckar-Alb sehr schlecht.
Hier weitere Infos: https://www.matthias-gastel.de/entwidmungen-erschweren-wohnbebauungen-ermoeglichen/