Positionspapier: Für eine aktive Radverkehrspolitik!

Hinweis: Dieser Beitrag ist schon älter und wurde möglicherweise noch nicht in das neue Format umgewandelt.

27.09.2016

Bicyclists on their way home in the rain, properly dressed with helmets and gear

Die Bun­des­tags­frak­ti­on Bünd­nis 90/DIE GRÜNEN hat ein­stim­mig ein Posi­ti­ons­pa­pier zur Rad­ver­kehrs­po­li­tik beschlos­sen.

Der Rad­ver­kehr erlebt eine Renais­sance. Das Fahr­rad wird wie­der als “coo­les” Ver­kehrs­mit­tel ange­se­hen und immer häu­fi­ger mit ande­ren Ver­kehrs­mit­teln, ins­be­son­de­re mit Bus­sen und Bah­nen, kom­bi­niert. Die Elek­tri­fi­zie­rung erschließt neue Nut­zer­krei­se: Mit dem Pedelec las­sen sich län­ge­re Stre­cken bewäl­ti­gen und mit dem Las­ten­rad las­sen sich die Kin­der bequem in die Kita brin­gen und Ein­käu­fe erle­di­gen. Ein höhe­rer Rad­ver­kehrs­an­teil stei­gert die Lebens­qua­li­tät der Men­schen in den Städ­ten und leis­tet einen Bei­trag zum Kli­ma­schutz. Doch die Bun­des­re­gie­rung über­lässt die Rad­ver­kehrs­för­de­rung allei­ne den Län­dern und Kom­mu­nen. Dies wol­len wir ändern: Der Bund soll mehr Rad­we­ge ent­lang von Bun­des­fern­stra­ßen bau­en sowie aktiv in die För­de­rung von Rad­schnell­we­gen und Las­ten­rad-Ver­leih­sta­tio­nen ein­stei­gen.  Und er soll das Stra­ßen­ver­kehrs­recht so moder­ni­sie­ren, dass das Rad­fah­ren siche­rer und kom­for­ta­bler wird.

Wir Grü­nen wol­len mehr Mobi­li­tät und weni­ger belas­ten­den Ver­kehr. Dazu braucht es eine akti­ve Rad­ver­kehrs­po­li­tik und eine bes­se­re Ver­net­zung ver­schie­de­ner Ver­kehrs­trä­ger.

 

Hier kön­nen Sie das heu­te beschlos­se­ne Posi­ti­ons­pa­pier nach­le­sen:

 

Posi­ti­ons­pa­pier                                                 

Hochschalten statt Ausbremsen – Für eine Aktive Radverkehrspolitik

Der Rad­ver­kehr erlebt eine Renais­sance. Mehr als ein Drit­tel aller Men­schen in Deutsch­land fah­ren täg­lich oder mehr­mals pro Woche Rad. Dabei wer­den immer grö­ße­re Distan­zen zurück­ge­legt. Elek­tro­rä­der erschlie­ßen neue Ziel­grup­pen und machen das Rad­fah­ren auch für älte­re Men­schen zuneh­mend attrak­tiv. Ins­be­son­de­re in Städ­ten steht Rad­ver­kehr für hohe Lebens­qua­li­tät. Mit Las­ten­rä­dern wer­den Kin­der zur Kita gebracht, Ein­käu­fe trans­por­tiert oder Bestel­lun­gen zuge­stellt. Die Fahr­rad­wirt­schaft boomt, der Rad­tou­ris­mus ver­zeich­net Rekord­um­sät­ze.

Mit dem Abschluss des Kli­ma­schutz­ab­kom­mens von Paris stel­len sich der Ver­kehrs­po­li­tik gewal­ti­ge Her­aus­for­de­run­gen. Wol­len wir die ver­ein­bar­ten Kli­ma­zie­le errei­chen, müs­sen wir Mobi­li­tät neu gestal­ten und von fos­si­len Ener­gien unab­hän­gig machen. Es wird dar­auf ankom­men, jedes Ver­kehrs­mit­tel in sei­nen Stär­ken für städ­ti­sche und länd­li­che Regio­nen wei­ter­zu­ent­wi­ckeln. Wir als grü­ne Bun­des­tags­frak­ti­on wol­len gute Ver­kehrs­an­ge­bo­te bequem kom­bi­nier­bar machen. Unser Ziel ist es, Wege zu Fuß und mit dem Rad siche­rer und attrak­ti­ver zu machen, Bah­nen und ÖPNV umfas­send zu moder­ni­sie­ren sowie im Auto­ver­kehr alter­na­ti­ve Antrie­be auf Basis erneu­er­ba­rer Ener­gien durch­zu­set­zen.

Der Wan­del der Mobi­li­tät wird bereits sicht­bar. So sind auf man­chen Stra­ßen mitt­ler­wei­le mehr Fahr­rä­der als Autos unter­wegs. In vie­len Regio­nen wer­den Rad­schnell­we­ge geplant. Der 100 Kilo­me­ter lan­ge Rad­schnell­weg von Duis­burg nach Hamm ist im Bau und erwei­tert die Poten­tia­le des Rad­ver­kehrs im dicht bewohn­ten und von Staus geplag­ten Ruhr­ge­biet. Paket­zu­stel­ler set­zen immer öfter auf Las­ten­rä­der, um ihre Kun­din­nen und Kun­den zu errei­chen. Die­se Ent­wick­lung ist erfreu­lich – denn das Fahr­rad kann in mehr­fa­cher Hin­sicht zur Lösung von Pro­ble­men bei­tra­gen:

  • Das Fahr­rad garan­tiert umwelt­freund­li­che Mobi­li­tät, ist emis­si­ons­frei und lei­se. Fahr­rad­freund­li­che Städ­te bie­ten eine hohe Lebens­qua­li­tät.
  • Wo Fahr­rä­der sicher und zügig unter­wegs sein kön­nen, ver­min­dern sie die Ver­kehrs­dich­te und redu­zie­ren Staus – das bringt auch alle, die tag­täg­lich auf das Auto oder den Trans­por­ter ange­wie­sen sind, bes­ser vor­an.
  • Das Fahr­rad ver­bes­sert beson­ders die Anbin­dung länd­li­cher Regio­nen an den öffent­li­chen Ver­kehr, wenn gute Abstell­mög­lich­kei­ten an Bahn­hö­fen und Hal­te­stel­len bestehen, Ver­leih­sys­te­me ver­füg­bar sind und die Fahr­rad­mit­nah­me mög­lich ist.
  • Rad­fah­ren för­dert die Gesund­heit und hilft, Kos­ten im Gesund­heits­sys­tem zu sen­ken. Beschäf­tig­te, die mit dem Rad zur Arbeit fah­ren, sind nach­weis­lich sel­te­ner krank.
  • Das Fahr­rad ist ein güns­ti­ges Ver­kehrs­mit­tel, der Aus­bau der Rad­ver­kehrs­in­fra­struk­tur erfor­dert ver­hält­nis­mä­ßig gerin­ge öffent­li­che Finanz­mit­tel.
  • Der Rad­tou­ris­mus kommt ins­be­son­de­re struk­tur­schwa­chen Regio­nen zugu­te.
  • Von der Pro­duk­ti­on von Fahr­rä­dern und Zulie­fer­ar­ti­keln, dem Han­del und der Repa­ra­tur leben vie­le klei­ne und mit­tel­stän­di­sche Betrie­be.

Die Ver­kehrs­po­li­tik muss die posi­ti­ve Ent­wick­lung des Rad­ver­kehrs auf­grei­fen statt sie sich selbst zu über­las­sen. Wir als grü­ne Bun­des­tags­frak­ti­on wol­len die Poten­zia­le des Fahr­rads für ein kli­ma- und men­schen­freund­li­ches Mobi­li­täts­sys­tem aus­schöp­fen. Rad­fah­ren muss für alle leich­ter, beque­mer und siche­rer wer­den – vom Kin­der­gar­ten­kind bis zur Gene­ra­ti­on „Sieb­zig plus“. Dafür muss auch der Bund stär­ker als bis­her Ver­ant­wor­tung über­neh­men.

 

Klu­ge Ver­kehrs­po­li­tik stärkt den Rad­ver­kehr

Schnell, preis­wert, bequem und sicher ans Ziel kom­men – das steht für vie­le bei der Wahl ihrer Ver­kehrs­mit­tel im Vor­der­grund. Das Fahr­rad spielt dabei vor­ne mit. Ohne Alters­be­schrän­kung, Füh­rer­schein und hohe Kos­ten hat das Fahr­rad kaum Zugangs­bar­rie­ren und fast alle Men­schen kön­nen es nut­zen. Städ­te wie Kopen­ha­gen oder Port­land im US-Bun­des­staat Ore­gon haben vor­ge­macht, dass sich die Lebens­qua­li­tät erhöht, wenn die Stadt­ent­wick­lung auf mehr Rad­ver­kehr setzt. An die­sen Bei­spie­len ori­en­tie­ren sich Städ­te aus aller Welt – mit dem Ziel, die Innen­städ­te vom Auto­ver­kehr zu ent­las­ten. Die Nie­der­lan­de bekämp­fen Staus mit einem umfas­sen­den Rad­schnell­we­ge­netz. Die sys­te­ma­ti­sche und kon­ti­nu­ier­li­che Rad­för­de­rung hat dazu geführt, dass dort mehr als ein Vier­tel aller Wege mit dem Rad zurück­ge­legt wer­den.

Auch in Deutsch­land bekommt Fahr­rad­po­li­tik Rücken­wind. Vie­ler­orts nimmt die Anzahl der Wege, die Bür­ge­rin­nen und Bür­ge­rin­nen mit dem Rad zurück­le­gen, signi­fi­kant zu. Umfra­gen zei­gen, dass sich 82 Pro­zent der Deut­schen eine Ver­kehrs­po­li­tik wün­schen, die ÖPNV, Fuß- und Rad­we­ge aus­baut und sich weni­ger an den Bedürf­nis­sen des Auto­ver­kehrs aus­rich­tet. In Ber­lin hat eine Fahr­ra­dinitia­ti­ve in nur drei Wochen 100.000 Unter­schrif­ten gesam­melt, um per Volks­ent­scheid die Ver­kehrs­po­li­tik der Haupt­stadt gezielt zu ändern.

 

Siche­re Rad­we­ge ent­fal­ten die Poten­tia­le der Peda­le

Rad­fah­ren muss siche­rer wer­den. Im Unter­schied zum Auto- und Fuß­ver­kehr geht die Zahl der ver­un­glück­ten Rad­fah­re­rIn­nen nicht zurück. Seit der Wie­der­ver­ei­ni­gung ist der Rad­fah­ren­den-Anteil an den Ver­kehrs­to­ten von acht auf elf Pro­zent gestie­gen. 2015 waren ein Fünf­tel aller ver­letz­ten Ver­kehrs­teil­neh­mer Rad­fah­ren­de, was im Ver­gleich zu ihrem Ver­kehrs­an­teil über­pro­por­tio­nal ist. Kein Wun­der, dass sich in Deutsch­land die Hälf­te der Rad­fah­re­rin­nen und Rad­fah­rer im Stra­ßen­ver­kehr nicht sicher fühlt!

Für die hohe Zahl an Fahr­rad­un­fäl­len ist in ers­ter Linie eine ver­al­te­te oder feh­len­de Rad­in­fra­struk­tur ver­ant­wort­lich. Rad­fah­ren­de kom­men auf dem Fli­cken­tep­pich von Wegen und Füh­rungs­for­men oft eher schlecht als recht vor­an. Vie­le Rad­we­ge sind zu schmal, man­gels wirk­sa­mer Kon­trol­len zuge­parkt oder enden völ­lig unver­mit­telt. Rund die Hälf­te aller Fahr­rad­un­fäl­le sind Allein­un­fäl­le (Unfäl­le ohne wei­te­re Unfall­be­tei­lig­te), die oft­mals auf schlech­ten Fahr­bahn­un­ter­grund zurück­zu­füh­ren sind.

Rad­fah­ren im All­tag darf kei­ne Aben­teu­er­lust erfor­dern. Wir Grü­ne ste­hen für eine akti­ve Rad­ver­kehrs­po­li­tik, die den Rad­fahr­trend för­dert und sicher gestal­tet. Mehr­in­ves­ti­tio­nen in eine bes­se­re Rad­in­fra­struk­tur sind auch nötig, weil neue Tech­no­lo­gien und Designs den „guten alten Draht­esel“ schnel­ler machen und Las­ten­rä­der mehr Platz brau­chen. Mehr Rad­ver­kehr erfor­dert, die Regeln im Stra­ßen­ver­kehr so anzu­pas­sen, dass für alle Ver­kehrs­teil­neh­mer Bewe­gungs­frei­heit garan­tiert ist. Von siche­ren Rad­we­gen pro­fi­tie­ren nicht nur die Rad­fah­ren­den selbst: Auch Auto­fah­re­rIn­nen fürch­ten sich vor einem Zusam­men­stoß und gewin­nen durch eine bes­se­re Rad­in­fra­struk­tur.

Schlech­te Rad­ver­kehrs­ver­hält­nis­se tra­gen dazu bei, dass die Regel­ak­zep­tanz schwin­det – eine Recht­fer­ti­gung sind sie jedoch nicht. Alle Ver­kehrs­teil­neh­mer müs­sen auf­ein­an­der Rück­sicht neh­men, ihr Fahr­ver­hal­ten anpas­sen und die Ver­kehrs­re­geln ein­hal­ten. Nur so kön­nen wir das Ziel „Visi­on Zero“, eine Mobi­li­tät ohne Tote und Schwer­ver­letz­te, errei­chen.

In Deutsch­land wird durch­schnitt­lich alle 90 Sekun­den ein Fahr­rad gestoh­len. Auch weil gute Rad­we­ge und Abstell­mög­lich­kei­ten feh­len, sind viel­fach min­der­wer­ti­ge Räder mit einer unzu­rei­chen­den Sicher­heits­aus­stat­tung unter­wegs. Die in den Nie­der­lan­den und einer stei­gen­den Anzahl deut­scher Städ­te an zen­tra­len Orten vor­han­de­nen Fahr­rad­park­häu­ser zei­gen, wie siche­res Abstel­len funk­tio­niert.

 

Die Bun­des­re­gie­rung bremst das Fahr­rad aus

Die Mobi­li­tät wan­delt sich vie­ler­orts schnel­ler, als es gro­ße Tei­le der Poli­tik nach­voll­zie­hen. Es man­gelt in Deutsch­land nicht an guten Kon­zep­ten und prak­ti­schen Bei­spie­len – es ist die Ver­kehrs­po­li­tik, die den Anschluss ans Fah­rer­feld ver­liert. Sie setzt viel zu wenig um. Wer Mobi­li­tät neu gestal­ten will, muss mehr Prag­ma­tis­mus und Expe­ri­men­tier­freu­de an den Tag legen.

Die Bun­des­re­gie­rung stellt die Wei­chen in die fal­sche Rich­tung. Sie behan­delt Bahn und ÖPNV seit Jah­ren als „Rest­ver­keh­re“ und igno­riert star­ke Trends wie das Car­sha­ring und den Rad-Boom. Zwar hat sie vor Jah­ren den Natio­na­len Rad­ver­kehrs­plan (NRVP) fort­ge­schrie­ben, doch ambi­tio­nier­te Zie­le und kon­kre­te Maß­nah­men sucht man dort ver­geb­lich. So bezif­fert der NRVP die benö­tig­ten Mit­tel für die Rad­ver­kehrs­för­de­rung auf zehn bis 25 Euro pro Kopf und Jahr. Trotz­dem wer­den in Deutsch­land im Schnitt nur fünf Euro pro Kopf inves­tiert. Die Ver­kehrs­etats flie­ßen haupt­säch­lich in den moto­ri­sier­ten Stra­ßen­ver­kehr. In Auto­bah­nen und Bun­des­stra­ßen will die gro­ße Koali­ti­on 2016 über sechs Mil­li­ar­den Euro inves­tie­ren. Für Rad­we­ge stellt sie mit 100 Mil­lio­nen Euro weni­ger als im Jahr 2002 bereit. Im neu­en Bun­des­ver­kehrs­we­ge­plan spielt der Rad­ver­kehr kei­ne kon­kre­te Rol­le. Auch bei der För­de­rung der Elek­tro­mo­bi­li­tät beschränkt sich die Bun­des­re­gie­rung ein­sei­tig auf E‑Autos.

 

Grün schal­tet hoch

Wir Grü­ne im Bun­des­tag drän­gen dar­auf, die Ver­kehrs­po­li­tik grund­le­gend zu erneu­ern. Die Kom­bi­na­ti­on von Rad, öffent­li­chem Ver­kehr und Auto muss in Städ­ten genau­so wie in länd­lich gepräg­ten Räu­men gezielt ver­bes­sert wer­den. Es ist an der Zeit, die Ver­kehrs­mit­tel des Umwelt­ver­bun­des und ihre intel­li­gen­te Ver­net­zung ent­schlos­sen zu för­dern. Wir wol­len die Infra­struk­tur gezielt auf moder­ne Mobi­li­tät aus­rich­ten. Es muss selbst­ver­ständ­lich wer­den, sein Auto oder Fahr­rad sicher am Bahn­hof abzu­stel­len und elek­trisch zu laden, per App Bike/Park & Ride zu buchen und jeden Anschluss zuver­läs­sig zu errei­chen.

Moder­ne Ver­kehrs­po­li­tik muss sich auch mit der Auf­ga­be beschäf­ti­gen, Ver­kehrs­flä­chen neu auf­zu­tei­len und dem ver­än­der­ten Ver­kehrs­ge­sche­hen anzu­pas­sen. Neun von zehn Auto­fahr­ten in der Stadt sind kür­zer als sechs Kilo­me­ter. Im Durch­schnitt steht ein Pkw am Tag 23 Stun­den am Stra­ßen­rand. Das Inter­es­se, einen pri­va­ten Pkw in der Stadt zu unter­hal­ten, nimmt durch mehr Car­sha­ring, ver­bes­ser­te ÖPNV-Ange­bo­te und den Aus­bau von Rad­we­gen ab. Wer die­se Ent­wick­lung unter­stüt­zen will, muss die hohe Bean­spru­chung von Ver­kehrs­flä­chen durch dau­er­haft par­ken­de Autos ver­min­dern. Uns ist bewusst, dass das man­cher­orts kei­ne leich­te Dis­kus­si­on sein wird. Alle Ver­kehrs­teil­neh­mer haben berech­tig­te Inter­es­sen und „Kampf­an­sa­gen“ füh­ren nicht wei­ter. Wir wer­ben dafür, den Dia­log mit Bür­ge­rin­nen und Bür­gern über die Ver­kehrs­ent­wick­lung zu ver­stär­ken und statt Restrik­tio­nen bes­se­re Ange­bo­te in den Vor­der­grund zu stel­len. Wir sind sicher, dass die Ver­kehrs­wen­de nur so gelin­gen wird.

Rad­ver­kehrs­för­de­rung darf nicht zulas­ten des Fuß­ver­kehrs gehen – im Gegen­teil. Moder­ne Ver­kehrs­po­li­tik muss für eine Gleich­be­rech­ti­gung der Ver­kehrs­ar­ten sor­gen und ver­netz­te Mobi­li­tät för­dern. Es ist not­wen­dig, die Ver­kehrs­si­cher­heit ins­ge­samt zu erhö­hen, statt Kon­flik­te zwi­schen Fußgänger‑, Rad­fah­rer- und Auto­fah­re­rIn­nen zu ver­meh­ren. Die Lebens­qua­li­tät von Städ­ten zeigt sich auch dar­in, wie vie­le Kin­der und Älte­re unter­wegs sind. Wir wol­len des­halb Stra­ßen­räu­me neu gestal­ten: Die Men­schen mit mehr Bäu­men, Bän­ken und Spiel­mög­lich­kei­ten ein­la­den, sich dort auf­zu­hal­ten. Fuß­gän­ge­rIn­nen, Kin­der und Älte­re sind beson­ders schutz­be­dürf­ti­ge Ver­kehrs­teil­neh­mer. Ihre Belan­ge müs­sen beson­de­re Beach­tung fin­den.

 

Für eine star­ke Rol­le des Bun­des

Moder­ne Mobi­li­tät fin­det bis­lang vor allem dort statt, wo Lan­des- und Kom­mu­nal­po­li­tik vor­an­ge­hen. Von Enga­ge­ment des Bun­des ist – abge­se­hen von eini­gen weni­gen Modell­pro­jek­ten des Bun­des­um­welt­mi­nis­te­ri­ums – nichts zu sehen. Der Bund hat über Jah­re eine Erneue­rung des öffent­li­chen Ver­kehrs ver­passt, Car­sha­ring behin­dert und das Fahr­rad links lie­gen las­sen. Kli­ma­schutz und Ver­kehrs­wen­de sind für Ver­kehrs­mi­nis­ter Dob­rindt Fremd­wör­ter. Das Ver­kehrs­mi­nis­te­ri­um ist vor­ran­gig damit befasst, die aus­län­der­feind­li­che Pkw-Maut hin­zu­bie­gen und den Abgas-Skan­dal zu ver­tu­schen. Dob­rindt ver­sagt bei den zen­tra­len ver­kehrs­po­li­ti­schen Auf­ga­ben der kom­men­den Jah­re. Der Bun­des­ver­kehrs­we­ge­plan (BVWP) ent­hält vie­le neue frag­wür­di­ge Stra­ßen, aber kaum not­wen­di­ge und sinn­vol­le Schie­nen­pro­jek­te. Rad­we­ge sind im BVWP selbst dann nicht berück­sich­tigt, wenn sie wie der Rad­schnell­weg 1 im Ruhr­ge­biet Bun­des­stra­ßen ent­las­ten.

Der Bund ver­gisst, den Rad­ver­kehr zu gestal­ten. Dabei ist er für Kli­ma- und Umwelt­schutz sowie für die Ver­kehrs­si­cher­heit zustän­dig. Es ist sei­ne Auf­ga­be, weg­wei­sen­de Impul­se zu set­zen und Län­dern und Kom­mu­nen ein ver­läss­li­cher Part­ner bei der Rad­ver­kehrs­ent­wick­lung zu sein. Ein Rechts­gut­ach­ten, erstellt im Auf­trag der grü­nen Bun­des­tags­frak­ti­on, bestä­tigt die Ver­ant­wor­tung und den Hand­lungs­spiel­raum des Bun­des. Wir Grü­ne im Bun­des­tag set­zen kla­re Zie­le und wol­len den Rad­ver­kehrs­an­teil in Deutsch­land bis 2030 auf 25 Pro­zent aller Wege erhö­hen. Dafür muss der Natio­na­le Rad­ver­kehrs­plan um kon­kre­te Maß­nah­men wie För­der­pro­gram­me des Bun­des erwei­tert wer­den.

 

Rad­in­fra­struk­tur mit­fi­nan­zie­ren

Der Stan­dard der bestehen­den Rad­ver­kehrs­in­fra­struk­tur genügt vie­ler­orts nicht den heu­ti­gen Anfor­de­run­gen. Stu­di­en aus den USA zei­gen, dass mehr Men­schen auf das Fahr­rad stei­gen, wenn sie nicht nur objek­tiv sicher unter­wegs sind, son­dern auch sub­jek­tiv eine hohe Ver­kehrs­si­cher­heit emp­fin­den. Eine flä­chen­de­cken­de intak­te Rad­in­fra­struk­tur und Rad­schnell­we­ge müs­sen die gemein­sa­me Auf­ga­be von Bund, Län­dern und Kom­mu­nen sein. Beim Aus­bau der Rad­we­ge wird der Bund sei­ner Ver­ant­wor­tung nicht gerecht. Wir Grü­ne im Bun­des­tag for­dern des­halb:

  • Rad­we­ge an Bun­des­stra­ßen aus­bau­en und Qua­li­täts­stan­dards set­zen:
  • Wir wol­len ein zusam­men­hän­gen­des Netz über­re­gio­na­ler Rad­we­ge. Dafür muss der Bund die Haus­halts­mit­tel für Rad­we­ge an Bun­des­fern­stra­ßen schritt­wei­se von bis­her rund 100 auf 200 Mil­lio­nen Euro pro Jahr erhö­hen. Der Bund ist sowohl für unmit­tel­bar an Bun­des­fern­stra­ßen gele­ge­ne als auch für funk­tio­nal einer Bun­des­stra­ße zuge­ord­ne­te Rad­we­ge zustän­dig. Die ERA 2010 (Emp­feh­lun­gen für Rad­ver­kehrs­an­la­gen der For­schungs­an­stalt für Stra­ßen- und Ver­kehrs­we­sen) soll als ver­pflich­ten­der Qua­li­täts­stan­dard gel­ten.
  • Rad­schnell­we­ge för­dern:
  • Wir wol­len über­re­gio­na­le Rad­ver­kehrs­ver­bin­dun­gen im Rah­men einer bun­des­wei­ten Netz­pla­nung för­dern. Der Bund muss in Abspra­che mit den Län­dern ein­heit­li­che Stan­dards für Rad­schnell­we­ge defi­nie­ren und bedeu­ten­de Vor­ha­ben mit­fi­nan­zie­ren. Wir Grü­ne im Bun­des­tag wol­len dafür jähr­lich 100 Mil­lio­nen Euro bereit­stel­len.
  • Ver­kehrs­si­cher­heit in Kom­mu­nen ver­bes­sern: Ein fahr­rad­freund­li­ches Ver­kehrs­sys­tem braucht fahr­rad­ge­rech­te Ver­kehrs­re­geln. Das deut­sche Stra­ßen­ver­kehrs­recht ist in einer Zeit ent­stan­den, in der Vor­fahrt für das Auto als fort­schritt­lich galt. Der Rechts­rah­men ent­spricht dem ver­än­der­ten Mobi­li­täts­ver­hal­ten der Men­schen jedoch in viel­fa­cher Hin­sicht nicht mehr. Wir set­zen uns daher unter ande­rem für Ände­run­gen zum leich­te­ren und siche­ren Fluss des Rad­ver­kehrs ein:
  • Stra­ßen­ver­kehrs­recht moder­ni­sie­ren
  • Der Bund soll­te sich stär­ker an der Gemein­de­ver­kehrs­fi­nan­zie­rung betei­li­gen, den Umwelt­ver­bund stär­ker finan­zi­ell unter­stüt­zen und die Mit­tel­zu­wei­sung auf den Rad­ver­kehr aus­deh­nen. Bei der Rad­in­fra­struk­tur in Städ­ten und Bal­lungs­zen­tren herrscht der größ­te Hand­lungs­druck. An ver­kehr­li­chen Brenn­punk­ten in Kom­mu­nen ereig­nen sich vie­le schlim­me Unfäl­le zwi­schen Auto und Rad. Wir Grü­ne im Bun­des­tag for­dern den Bund dazu auf, in sei­ner Ver­ant­wort­lich­keit für die Ver­kehrs­si­cher­heit und den Kli­ma­schutz Kom­mu­nen dabei zu unter­stüt­zen, den Rad­ver­kehr aus­zu­bau­en und gleich­zei­tig gefähr­li­che Ver­kehrs­füh­run­gen zu behe­ben.
  • Kin­der unter acht Jah­ren und erwach­se­ne Begleit­per­so­nen sol­len gemein­sam auf dem glei­chen Weg Rad­fah­ren kön­nen. Dabei soll­te frei­ge­stellt sein, ob sie gemein­sam auf dem Rad- oder dem Geh­weg fah­ren.
  • Um Unfall­schwer­punk­te zu besei­ti­gen und den Ver­kehrs­fluss zu erhö­hen, soll­te das Rechts­ab­bie­gen für Rad­fah­re­rIn­nen an geeig­ne­ten Kreu­zun­gen ver­ein­facht wer­den. Wir set­zen uns dafür ein, dass Kom­mu­nen – wo es aus Sicher­heits­grün­den Sinn macht – einen grü­nen Rechts­ab­bie­ge­pfeil für Rad­fah­re­rIn­nen ein­füh­ren kön­nen.
  • Kom­mu­nen sol­len die Mög­lich­keit erhal­ten, Rad­schnell­we­ge sowie gut aus­ge­bau­te außer­ört­li­che Rad­we­ge für S‑Pedelecs frei­zu­ge­ben.
  • Auf der Fahr­bahn mar­kier­te Rad- und Schutz­strei­fen schaf­fen zeit­nah und kos­ten­güns­tig mehr Platz und Sicher­heit. Der Bund soll­te recht­li­che Hür­den abbau­en, so dass Schutz­strei­fen auch in Tem­po-30-Zonen sowie außer­orts unbü­ro­kra­tisch ein­ge­rich­tet wer­den kön­nen.
  • Tem­po 30 erhöht die Ver­kehrs­si­cher­heit. Ab Tem­po 30 steigt die Unfall­schwe­re dra­ma­tisch an. Kom­mu­nen soll­ten des­halb das Recht erhal­ten, inner­orts eigen­stän­dig und unbü­ro­kra­tisch über die Ein­füh­rung von Tem­po 30 zu ent­schei­den, auch wenn es sich um Bun­des­stra­ßen han­delt.

 

Las­ten­rä­der stär­ker für Trans­por­te ein­set­zen

Schon heu­te wer­den Las­ten­rä­der man­cher­orts erfolg­reich ein­ge­setzt, um zum Bei­spiel Pake­te direkt an die Haus­tür zu lie­fern. Die­se Ent­wick­lung wol­len wir als grü­ne Bun­des­tags­frak­ti­on stär­ker för­dern. Beson­ders inter­es­sant sind neue Sha­ring-Kon­zep­te für die­je­ni­gen, die ein Las­ten­rad nur gele­gent­lich nut­zen möch­ten – ähn­lich wie beim seit Jah­ren boo­men­den Car­sha­ring. Las­ten­rä­der kön­nen auch pri­va­te Pkw-Fahr­ten – zum Bei­spiel zum wöchent­li­chen Groß­ein­kauf – erset­zen. Nach einer aktu­el­len Stu­die des Deut­schen Zen­trums für Luft- und Raum­fahrt stellt jedoch der hohe Anschaf­fungs­preis ins­be­son­de­re elek­trisch unter­stütz­ter Las­ten­rä­der bis­lang eine erheb­li­che Markt­zu­gangs­bar­rie­re dar. Hier geht es E‑Lastenrädern nicht anders als Elek­tro­au­tos, die die Bun­des­re­gie­rung nun mit Steu­er­gel­dern för­dert. Damit mehr Men­schen E‑Lastenräder nut­zen kön­nen, wol­len wir ein zeit­lich befris­te­tes Bun­des­pro­gramm für die Umset­zung von Sha­ring-Kon­zep­ten auf­le­gen und eine Ver­leih-Infra­struk­tur auf­bau­en. Die Anschaf­fung von E‑Lastenrädern, die einer unbe­stimm­ten Anzahl von Nut­ze­rin­nen und Nut­zern zur Ver­fü­gung ste­hen, soll mit 1.000 Euro pro E‑Lastenrad unter­stützt wer­den. Unser Ziel ist es, 2.000 Ver­leih­sta­tio­nen mit ins­ge­samt 10.000 Las­ten­rä­dern ein­zu­rich­ten.

 

Fahr­rad und öffent­li­chen Ver­kehr kom­bi­nie­ren

Deutsch­land­weit steigt der Anteil der Wege, bei denen der öffent­li­che Ver­kehr mit dem Fahr­rad kom­bi­niert wird. Die Deut­sche Bahn ver­kauf­te im Fern­ver­kehr 2015 zwan­zig Pro­zent mehr Fahr­rad­ti­ckets als noch weni­ge Jah­re zuvor. Auch bei der Anzahl öffent­li­cher Leih­rä­der wer­den zwei­stel­li­ge jähr­li­che Wachs­tums­ra­ten erwar­tet.

Wir als grü­ne Bun­des­tags­frak­ti­on wol­len Rad und öffent­li­chen Ver­kehr deut­lich bes­ser ver­net­zen. Gute Rad­we­ge und bar­rie­re­freie Zugän­ge zu Bahn­hö­fen und Hal­te­stel­len sowie siche­re Abstell­mög­lich­kei­ten und Ver­lei­h­an­ge­bo­te erhö­hen die Attrak­ti­vi­tät des öffent­li­chen Ver­kehrs und ver­grö­ßern sei­nen Radi­us. Eine gute Ver­knüp­fung von Rad- und öffent­li­chem Ver­kehr hat gera­de für länd­li­che Räu­me einen hohen Mehr­wert und kann die Belas­tung, die täg­li­ches Pen­deln mit dem Pkw her­vor­ruft, ver­min­dern. Auch die Fahr­rad­mit­nah­me in Zügen soll­te ver­ein­facht und beque­mer wer­den. Wir for­dern den Bund auf, in sei­ner Rol­le als Eigen­tü­mer die Deut­sche Bahn zu ver­pflich­ten, in allen Zügen der DB die Fahr­rad­mit­nah­me zu ermög­li­chen.

 

Dienst­fahr­rä­der und betrieb­li­che Mobi­li­tät unter­stüt­zen

Bei der Nut­zung des Fahr­rads für den Arbeits­weg besteht in Deutsch­land viel Luft nach oben. Mehr als die Hälf­te aller Arbeits­we­ge sind unter zehn Kilo­me­ter lang. Gleich­wohl nut­zen zwei Drit­tel der Men­schen das Auto, nur knapp jede/r Zehn­te macht sich mit dem Fahr­rad auf den Weg zur Arbeit. Seit 2012 sind Dienst­rä­der und Dienst­wa­gen steu­er­lich gleich­ge­stellt. Wir Grü­ne im Bun­des­tag schla­gen vor, dass der Bund mit gutem Bei­spiel vor­an­geht und es allen Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern ermög­licht, Dienst­fahr­rä­der zu nut­zen. Auch bei der Zer­ti­fi­zie­rung nach­hal­tig wirt­schaf­ten­der Unter­neh­men soll­te die betrieb­li­che Mobi­li­tät stär­ker als bis­her berück­sich­tigt wer­den. Dies schafft Anrei­ze für Unter­neh­men, ihren Beschäf­tig­ten Dienst­rä­der und siche­re Abstell­an­la­gen anzu­bie­ten.

 

In For­schung und Wis­sen­schaft inves­tie­ren

Die Ver­kehrs­wen­de erfor­dert neue Ansät­ze in der Infra­struk­tur, den Ver­kehrs­an­ge­bo­ten, ihrer digi­ta­len Ver­net­zung und dem Ver­kehrs­recht. Hier ist noch viel mehr Wis­sen und Kom­mu­ni­ka­ti­on nötig. Wir kri­ti­sie­ren, dass die Bun­des­re­gie­rung bei der For­schungs­för­de­rung zu ein­sei­tig auf den Ver­kehrs­trä­ger Auto setzt. För­de­rung im Bereich der Bat­te­rie­ent­wick­lung ist zwar rich­tig, für moder­ne und ver­netz­te Mobi­li­tät müs­sen die For­schungs­ak­ti­vi­tä­ten aber brei­ter wer­den. Wie groß etwa ist der volks­wirt­schaft­li­che Nut­zen einer Ver­kehrs­ver­la­ge­rung zuguns­ten des Rad­ver­kehrs? Wel­che Poten­zia­le haben Pedelecs und wie kann die Kom­bi­na­ti­on umwelt­freund­li­cher Ver­kehrs­mit­tel mit­hil­fe digi­ta­ler Tech­no­lo­gien opti­miert wer­den? Dar­über gibt es kaum wis­sen­schaft­li­che Erkennt­nis­se. Auch die Sicher­heit der Rad­ver­kehrs­in­fra­struk­tur und die Sicher­heit des Rades vor Dieb­stahl sind wenig erforsch­te Gebie­te. Der Bund soll­te For­schungs­vor­ha­ben in die­sen Berei­chen vor­an­trei­ben.

 

Hoch­schal­ten beim Rad­ver­kehr

Wir Grü­ne im Bun­des­tag wol­len mehr Mobi­li­tät und weni­ger belas­ten­den Ver­kehr. Deutsch­land braucht die Ver­kehrs­wen­de, um den Men­schen nach­hal­ti­ge, kom­for­ta­ble und bezahl­ba­re Mobi­li­tät zu ermög­li­chen. Eine akti­ve Rad­ver­kehrs­po­li­tik und eine bes­se­re Ver­net­zung der ver­schie­de­nen Ver­kehrs­trä­ger sind hier­für wich­ti­ge Bau­stei­ne.