Corona-Bevölkerungsschutzgesetz: Mein Statement

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16.11.2020

Der Ent­wurf für das “Drit­te Bevöl­ke­rungs­schutz­ge­setz” bewegt aktu­ell vie­le Gemü­ter. Am Mitt­woch die­ser Woche soll es im Ple­num debat­tiert und noch in die­ser Woche zur Abstim­mung gebracht wer­den. Hier mei­ne Ant­wort an die Bür­ge­rin­nen und Bür­ger mei­nes Wahl­krei­ses und mei­ner Betreu­ungs­krei­se. Es han­delt sich um mei­ne per­sön­li­che Ant­wort und nicht um eine Posi­ti­on der Bun­des­tags­frak­ti­on.

 

Sehr geehr­te Dame, sehr geehr­ter Herr,

dan­ke für Ihre Nach­richt.

Über das Wochen­en­de und bis Mon­tag­früh habe ich meh­re­re hun­dert Mails gele­sen weit über hun­dert Mails per­sön­lich und so gut wie mög­lich indi­vi­du­ell beant­wor­tet. Ange­sichts der begon­nen Sit­zungs­wo­che mit vie­len Bespre­chungs- und Sit­zungs­ter­mi­nen ist mir dies lei­der nicht mehr mög­lich. Ich bit­te daher um Ver­ständ­nis, dass ich Ihnen die­se stan­dar­di­sier­te Ant­wort zukom­men las­se. In mei­ner Ant­wort grei­fe ich die am häu­figs­ten in den bis­lang an mich gerich­te­ten Aspek­te auf.

Alle bis­her beschlos­se­nen Maß­nah­men zur Bekämp­fung der Pan­de­mie grün­den auf Bun­des- und Lan­des­ge­set­zen und sind daher demo­kra­tisch legi­ti­miert, da die­se Geset­ze durch die gewähl­ten Volksvertreter*innen beschlos­sen wur­den. Was wir als Grü­ne im Bun­des­tag jedoch for­dern ist, dass das Par­la­ment häu­fi­ger und enger in Ent­schei­dun­gen ein­ge­bun­den wird, um durch öffent­li­che Debat­ten und Abstim­mun­gen den Pro­zess der Mei­nungs­bil­dung trans­pa­ren­ter zu machen und letzt­lich die Akzep­tanz der getrof­fe­nen Ent­schei­dun­gen zu ver­bes­sern.

In der Sache ste­he ich und ste­hen wir – bei Kri­tik im Detail – hin­ter der Coro­na­po­li­tik von Bund und Län­dern. Wir haben doch in vie­len ande­ren Län­dern gese­hen, was das Virus anrich­ten kann. Wir sehen, was das Virus anrich­tet, wenn es auf Men­schen trifft, die nicht immun sein kön­nen und es kein wirk­sa­mes Medi­ka­ment gibt. Ich for­mu­lie­re mei­ne Gedan­ken in Fra­ge­form: Sind inzwi­schen weit über 10.000 Tote trotz aller Schutz­maß­nah­men nicht Grund genug, wei­ter an den Maß­nah­men fest­zu­hal­ten? Wie vie­le Opfer hät­te das Virus gekos­tet, hät­te es die­se Maß­nah­men nicht gege­ben? Es geht dar­um, Men­schen­le­ben zu schüt­zen. Dazu müs­sen wir das Gesund­heits­sys­tem hand­lungs­fä­hig hal­ten. Dabei soll­ten wir nicht nur auf die Zahl der posi­tiv getes­te­ten Per­so­nen schau­en. Die Anzahl der Coro­na-Erkrank­ten in den Kli­ni­ken und in den begrenz­ten Inten­siv­bet­ten steigt deut­lich an. Immer mehr Kli­ni­ken gera­ten ins­be­son­de­re per­so­nell an die Gren­zen ihrer Leis­tungs­fä­hig­keit. Dies gilt auch und ganz beson­ders für die Kli­ni­ken mei­ner Regi­on, mit denen ich immer wie­der im Kon­takt ste­he, um mich über die aktu­el­le Lage zu infor­mie­ren. Die Ärz­te­or­ga­ni­sa­ti­on Mar­bur­ger Bund und die inten­siv­me­di­zi­ni­schen Fach­ge­sell­schaf­ten for­dern ange­sichts der stei­gen­den Zah­len von Covid-Pati­en­ten in den Kli­ni­ken, Kapa­zi­tä­ten auf Covid-19-Pati­en­ten zu kon­zen­trier­ten. Kli­ni­ken in stark belas­te­ten Regio­nen müss­ten „unver­züg­lich plan­ba­re Ope­ra­tio­nen redu­zie­ren bezie­hungs­wei­se ein­stel­len“. Nur dann kön­ne Per­so­nal für schwer Erkrank­te ein­ge­setzt wer­den. Ohne die­se Unter­stüt­zung sei die Belas­tungs­gren­ze auf vie­len Inten­siv­sta­tio­nen „schon bald über­schrit­ten“. (Quel­le: SWP v. 16.11.2020) Da ste­hen wir alle, Gesell­schaft und Poli­tik, für­ein­an­der in der Ver­ant­wor­tung. Das ist aus mei­ner Sicht Soli­da­ri­tät, ger­ne auch Nächs­ten­lie­be. Der viel­fach von den Mailschreiber*innen vor­ge­brach­te Ver­weis auf die mit unse­ren Man­da­ten ver­bun­de­nen Ver­pflich­tun­gen las­sen also ver­schie­de­ne Ein­schät­zun­gen zu den Hand­lungs­not­wen­dig­kei­ten und deren Ange­mes­sen­heit zu. Gera­de die Fra­ge nach der Ver­hält­nis­mä­ßig­keit muss dabei immer wie­der gestellt und kri­tisch hin­ter­fragt wer­den. Im Vor­der­grund ste­hen die Grund­rech­te, von denen kei­nes abso­lut steht, son­dern die es unter­ein­an­der – sie­he das Grund­recht auf kör­per­li­che Unver­sehrt­heit und die Frei­heits­rech­te – abzu­wä­gen gilt.

Ich habe mich inten­siv mit dem Coro­na­vi­rus beschäf­tigt und dazu mit Fach­leu­ten gespro­chen. Hier kön­nen Sie mehr über mei­ne Mei­nungs­fin­dung, die Fra­ge von demo­kra­ti­scher Legi­ti­ma­ti­on von Beschlüs­sen und den Mehr­hei­ten sowie über mei­ne Ein­schät­zung der Pan­de­mie nach­le­sen: https://www.matthias-gastel.de/mein-blick-auf-die-corona-krise/ Dar­in habe ich auch dar­ge­stellt, dass die bis­he­ri­gen Ent­schei­dun­gen auf einer sehr brei­ten wis­sen­schaft­li­chen Basis grün­den.

Zum ange­spro­che­nen Gesetz: Uns liegt der­zeit noch kein Gesetz­ent­wurf vor, den man abschlie­ßend bewer­ten könn­te, da sich die­ser noch in Über­ar­bei­tung durch die Koali­ti­ons­frak­tio­nen befin­det und auch Ände­rungs­an­trä­ge ande­rer Frak­tio­nen vor­lie­gen. Vor weni­gen Tagen fand eine Anhö­rung des Bun­des­tags-Gesund­heits­aus­schus­ses mit Sach­ver­stän­di­gen statt, nach der eine wei­te­re Über­ar­bei­tung des Geset­zes wahr­schein­lich ist. Wir wer­den in Ver­ant­wor­tung für die Gesell­schaft und die Gesund­heit der Men­schen ent­schei­den, wie wir uns dazu ver­hal­ten. Eine wich­ti­ge Rol­le spie­len dabei die sorg­fäl­ti­ge Abwä­gung zwi­schen ver­schie­de­nen Grund­rech­ten, die Prin­zi­pi­en des Rechts­staa­tes, die Par­la­ments­be­tei­li­gung und ‑kon­trol­le. An die­sen Kri­te­ri­en wer­de auch ich per­sön­lich ent­schei­den, wie ich abstim­me. Einen Frak­ti­ons­zwang gibt es dabei nicht.