28.02.2023
Fachgespräch mit Industrie
Stahl ist einer der vielseitigsten Konstruktionswerkstoffe, der in größeren Mengen als alle anderen metallischen Werkstoffe zusammen produziert wird. Doch die Stahlherstellung ist mit großen Mengen an Treibhausgasemissionen verbunden. Wie kann Stahl „grün“ werden? Darüber sprach ich im öffentlichen Videoformat mit Fachleuten von Thyssenkrupp und Mercedes.
In Autos oder Windkraftanlagen, in Gebäuden, im Schiffsbau und natürlich bei der Eisenbahn: Überall ist Stahl ein wichtiger oder der Baustoff schlechthin. Eine Limousine von Mercedes besteht im Durchschnitt zu etwa 50 Prozent aus Stahl. Der Bedarf wächst stetig. Schlecht nur, dass bei der Produktion von Stahl eine Menge an Kohlendioxid entsteht: 1,7 Tonnen pro Tonne Rohstahl. Sieben Prozent der CO2-Emissionen in Deutschland entfallen auf die Stahlproduktion. Um das Eisen aus dem Gestein zu schmelzen, erhitzt meistens Kohle die Hochöfen. Kohle sorgt auch als Reduktionsmittel dafür, dass aus Eisenerz reines Eisen – der Rohstoff für die Stahlherstellung – wird und reagiert dabei zum Treibhausgas Kohlendioxid. Eine andere Art der Stahlherstellung mit Hilfe von Erdgas ist zwar etwas sauberer, aber immer noch klimaschädlich. Angesichts der Energiekrise ist auch hier eine Alternative vonnöten. Große Hoffnungen ruhen im Moment auf dem Einsatz von grünem Wasserstoff. Deutschland liegt weltweit auf Platz acht bei der Stahlerzeugung, weit vor anderen EU-Ländern. Während bei uns die Mengen schrumpfen, steigen sie vor allem in China (Platz 1), aber auch in Indien. Die Produktionsverfahren setzen aber überall auf den Einsatz kohlestoffhaltiger Stoffe (Koks oder Erdgas) für die erforderliche Prozesswärme und die chemische Reaktion. Eine Alternative kann Wasserstoff darstellen, der auf Basis von erneuerbar erzeugtem Strom hergestellt wurde.
Wie können Stahl und Produkte mit Stahl künftig klimafreundlicher produziert werden? Was ist der aktuelle Stand der Technik und welche Ziele verfolgen die Industrien, die Stahl herstellen und weiter verarbeiten? Diesen Fragen ging ich mit Nils-Olof Born von der grünen Projektgruppe Industriepolitik (Erläuterung siehe unten) auf den Grund. Rede und Antwort stehen dabei Dr. Carmen Ostwald, Head of Business Development bluemint® Steel (Thyssenkrupp) und Dr. Thomas Behr, Leiter Rohbau-Engineering bei Mercedes-Benz.
Sicht eines großen Stahlproduzenten
Thyssenkrupp ist der größte Stahlproduzent in Deutschland und beschäftigt 26.000 Mitarbeitende. Jährlich werden über 10 Millionen Tonnen Rohstahl produziert. Das Ziel des Unternehmens ist es, bis 2030 30 Prozent und bis 2045 100 Prozent der Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Derzeit werden vier Hochöfen betrieben. Diese sollen durch Direktreduktionsanlagen mit Einschmelzern ersetzt werden. Diese können mit (grünem) Wasserstoff betrieben werden. Der Plan sieht vor, dass ab 2026 ein Hochofen ersetzt werden soll, was eine Verringerung der CO2-Emissionen um 20 Prozent bedeuten würde. Frau Dr. Ostwald nannte die politischen Rahmenbedingungen, die aus Unternehmenssicht für den Transformationsprozess erforderlich sind: Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, wettbewerbsfähige Energiepreise (Strom) und ausreichend Strom mitsamt entsprechender Netze sowie eine international anschlussfähige Definition von „Grünstahl“. Der Strombedarf werde aus gleich zwei Gründen steigen: Erstens brauche man Strom für die Herstellung von Wasserstoff und zweitens würde die Stromgewinnung aus bisher anfallender Prozesswärme entfallen und müsse ersetzt werden. Daher sei ein Verzicht auf „blauen“ Wasserstoff vorerst nicht möglich und man müsse Wasserstoff auch importieren. Erfreulich sei, dass das Interesse an grünem Stahl steige. Wichtig ist noch der Hinweis darauf, dass neben dem Ersatz kohlebefeuerter Hochöfen auch dem Recycling eine steigende Bedeutung zukommt.
Sicht eines Automobilproduzenten
Herr Dr. Behr wies zunächst auf die Vorzüge von Stahl hin: Das Material verbrauche sich nicht, sei langlebig und ließe sich recyceln. Dann das „Aber“: Wenn die Autos dank elektrischer Antriebe und Ökostrom im Betrieb klimaneutral fahren, dann rücke umso mehr die Rohstoff- und Verarbeitungsfrage in den Fokus. Ziel von Mercedes sei es, bis 2030 die CO2-Emmissionen zu halbieren und ab 2039 CO2-Neutralität zu erreichen. Inwiefern dafür auch Zertifikate zum Einsatz kommen blieb in unserer Veranstaltung offen. Im heute für den Pkw-Bau eingesetzten Stahl sei bereits Recyclingmaterial enthalten, wenn auch in noch geringen Mengen. Man setze darauf, ab 2025/2026 grünen Stahl aus Schweden beziehen zu können. Aus Salzgitter werde bereits CO2-reduzierter Stahl bezogen.
Das Thema „Rohstoffe“ treibt mich schon lange um, insbesondere im Zusammenhang mit der weltweit steigenden Anzahl von Autos, die zudem immer größer werden. Hierzu verweise ich auf folgenden Beitrag:
Zur „Grünen Projektgruppe Industriepolitik“: Diese arbeitet auf Ebene der Grünen in Baden-Württemberg und führte ein Jahr lang Stakeholder-Gespräche. Am Ende stand ein 17-seitiges Papier zur Transformation kleiner und mittelständischer Unternehmen (KMU), zu Innovationen in der Industrie und zum schonenden Umgang mit natürlichen Ressourcen. Das Papier ist hier Industrie in der Transformation_Positionspapier_Projektgruppe_LAGWiSoFi zu finden.