„Deutschland war auf 2. Welle schlecht vorbereitet“

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09.03.2021

Mediziner Dr. Dahmen im Gespräch über Corona

Dr. Janosch Dah­men ist Medi­zi­nal­di­rek­tor und war bis Okto­ber 2020 als Ober­arzt und ärzt­li­cher Lei­ter in der COVID 19-Pan­dä­mie­be­kämp­fung in Ber­lin tätig. Seit Novem­ber 2020 ist er mein Frak­ti­ons­kol­le­ge und Mit­glied im Gesund­heits­aus­schuss. In einem öffent­li­chen Video­for­mat sprach ich mit ihm über die aktu­el­le Lage, das Imp­fen und Tes­ten und den Aus­blick. Die Run­de war klein, doch es konn­ten vie­le Fra­gen aus dem Publi­kum beant­wor­tet wer­den. Hier eine klei­ne Über­sicht.

Bis­he­ri­ger Pan­de­mie­ver­lauf – Was getan wer­den muss

Nach der ers­ten Wel­le waren sich fast alle einig, dass Deutsch­land rela­tiv gut durch die Kri­se gekom­men war. Den Som­mer emp­fan­den vie­le Men­schen als weit­ge­hend unbe­schwert. In der zwei­ten Wel­le sah fast alles anders aus: Dra­ma­tisch gestie­ge­ne Infek­ti­ons­zah­len, sehr vie­le an oder mit Coro­na ver­stor­be­ne Men­schen. Was waren die Grün­de für die unter­schied­li­chen Ver­läu­fe?

Dazu mein Gast Janosch Dah­men: In der ers­ten Wel­le waren wir vor­sich­tig, han­del­ten früh­zei­tig. Auf die zwei­te Wel­le waren wir in Deutsch­land schlecht vor­be­rei­tet.

Es kommt, so der Medi­zi­ner, auf fünf Säu­len an: 1. Man müs­se schnel­ler wer­den beim Imp­fen und der Entwicklung/Versorgung mit Medi­ka­men­ten. Man brau­che Schutz­maß­nah­men, wobei 1,50 Meter Abstand und Ple­xi­glas­wän­de gegen mutier­te Viren nicht aus­rei­chend schüt­zen wür­den. 3. Es müs­se mehr, aber auch gezielt bspw. in Schu­len (auch Schüler*innen) getes­tet wer­den und dabei Muta­tio­nen ermit­telt wer­den, um deren Ver­brei­tung bes­ser fest­stel­len und ange­pass­te Impf­stof­fe ent­wi­ckeln zu kön­nen. 4. Die Kon­takt­nach­ver­fol­gung sei wich­tig, die App dafür aber nicht gut geeig­net. Viel­ver­spre­chen­der sei die Luca-App. 5. Die Kom­mu­ni­ka­ti­on gehö­re ver­bes­sert, um zu erklä­ren, wes­halb wel­che Maß­nah­men erfor­der­lich sei­en.

Bezo­gen auf die Schu­len – dazu kam eine Fra­ge aus dem Publi­kum – emp­fahl Janosch Dah­men Schnell­tests auch für die Schüler*innen, Mas­ken, fes­te Grup­pen von Lehrer*innen und Schüler*innen sowie Lüf­ten (Fens­ter und Tech­nik).

Die Grü­nen for­dern ein Risi­ko­stu­fen­sche­ma (Stu­fen­plan). Dar­aus müs­se her­vor­ge­hen, ab wel­chen Kenn­wer­ten was gesche­he.

Imp­fen und tes­ten

Beim Imp­fen müs­se stär­ker auf Dezen­tra­li­tät, also Arzt­pra­xen, gesetzt wer­den. Das Imp­fen hel­fe auch gegen die bis­her bekann­ten mutier­ten Viren, ins­be­son­de­re gegen schwe­re Krank­heits­ver­läu­fe. Umso lang­sa­mer man mit dem Imp­fen vor­an­kom­me, umso höher das Risi­ko wei­te­rer Muta­tio­nen. Dann ste­he zu befürch­ten, dass bereits geimpf­te Per­so­nen mit ange­pass­tem Impf­stoff nach­ge­impft wer­den müss­ten. Alle zuge­las­se­nen Impf­stof­fe sei­en wirk­sam und sicher. Impf­re­ak­tio­nen wie Glie­der­schmer­zen oder Fie­ber wür­den häu­fig und Neben­wir­kun­gen sehr sel­ten auf­tre­ten.

Zum Tes­ten: Da Test­sets der­zeit noch knapp sind, soll­te prio­ri­siert wer­den. Dass für Schu­len nicht genü­gend Tests ver­füg­bar sind, zugleich aber Dis­coun­ter Tests ver­kau­fen, sei nicht logisch.

Aktu­el­le Lage

Die Viro­lo­gin Brink­mann kri­ti­siert die Locke­run­gen trotz hoher Inzi­denz und sieht kei­ne Stra­te­gie, um eine drit­te Wel­le zu ver­hin­dern. Ham­burgs ers­ter Bür­ger­meis­ter bewer­tet heu­te die schnel­len, gro­ßen Öff­nungs­schrit­te als ris­kant und warnt vor der mög­li­chen Not­wen­dig­keit eines erneu­ten Lock­downs. Der öster­rei­chi­sche Gesund­heits­mi­nis­ter (Grü­ne) äußert sich heu­te eben­falls besorgt. Zugleich sieht er Hoff­nung im Imp­fen und dem wär­me­ren Wet­ter. Bis Ostern müs­se man durch­hal­ten, dann wer­de es leich­ter. Wie sieht das mein Gast, der Medi­zi­ner?

Er befürch­tet, dass wir uns bereits in einer drit­ten Wel­le befin­den. Der „Sai­son­ef­fekt“ wür­de über­schätzt wer­den. Wenn wir jedoch mit dem Imp­fen in der Risi­ko­grup­pe schnel­ler wür­den, dann könn­ten wir den wei­te­ren Pan­de­mie­ver­lauf posi­tiv beein­flus­sen. Man müs­se mit wei­te­ren Öff­nun­gen vor­sich­tig sein.

Zum „bri­ti­schen Virus“: Die­ses tref­fe häu­fi­ger, aber nicht oft, auch jün­ge­re Men­schen. Der Krank­heits­ver­lauf sei auch in die­ser Alters­klas­se nicht immer harm­los. Auf Nach­fra­ge einer Eltern­bei­rä­tin wies Dah­men dar­auf hin, dass sich Impf­stof­fe für Kin­der in der Ent­wick­lung befän­den.

Aus­blick

In der zwei­ten Jah­res­hälf­te könn­te unser Leben Schritt für Schritt immer „nor­ma­ler“ wer­den.

Hin­weis: Heu­te ging es um Bewer­tun­gen eines Medi­zi­ners. Über sozia­le Fol­gen der Beschrän­kun­gen hat­te ich bereits in einer ande­ren öffent­li­chen Video-Ver­an­stal­tung gespro­chen. Sie­he https://www.matthias-gastel.de/soziale-arbeit-in-der-pandemie/