Mediziner Dr. Dahmen im Gespräch über Corona
Dr. Janosch Dahmen ist Medizinaldirektor und war bis Oktober 2020 als Oberarzt und ärztlicher Leiter in der COVID 19-Pandämiebekämpfung in Berlin tätig. Seit November 2020 ist er mein Fraktionskollege und Mitglied im Gesundheitsausschuss. In einem öffentlichen Videoformat sprach ich mit ihm über die aktuelle Lage, das Impfen und Testen und den Ausblick. Die Runde war klein, doch es konnten viele Fragen aus dem Publikum beantwortet werden. Hier eine kleine Übersicht.
Bisheriger Pandemieverlauf – Was getan werden muss
Nach der ersten Welle waren sich fast alle einig, dass Deutschland relativ gut durch die Krise gekommen war. Den Sommer empfanden viele Menschen als weitgehend unbeschwert. In der zweiten Welle sah fast alles anders aus: Dramatisch gestiegene Infektionszahlen, sehr viele an oder mit Corona verstorbene Menschen. Was waren die Gründe für die unterschiedlichen Verläufe?
Dazu mein Gast Janosch Dahmen: In der ersten Welle waren wir vorsichtig, handelten frühzeitig. Auf die zweite Welle waren wir in Deutschland schlecht vorbereitet.
Es kommt, so der Mediziner, auf fünf Säulen an: 1. Man müsse schneller werden beim Impfen und der Entwicklung/Versorgung mit Medikamenten. Man brauche Schutzmaßnahmen, wobei 1,50 Meter Abstand und Plexiglaswände gegen mutierte Viren nicht ausreichend schützen würden. 3. Es müsse mehr, aber auch gezielt bspw. in Schulen (auch Schüler*innen) getestet werden und dabei Mutationen ermittelt werden, um deren Verbreitung besser feststellen und angepasste Impfstoffe entwickeln zu können. 4. Die Kontaktnachverfolgung sei wichtig, die App dafür aber nicht gut geeignet. Vielversprechender sei die Luca-App. 5. Die Kommunikation gehöre verbessert, um zu erklären, weshalb welche Maßnahmen erforderlich seien.
Bezogen auf die Schulen – dazu kam eine Frage aus dem Publikum – empfahl Janosch Dahmen Schnelltests auch für die Schüler*innen, Masken, feste Gruppen von Lehrer*innen und Schüler*innen sowie Lüften (Fenster und Technik).
Die Grünen fordern ein Risikostufenschema (Stufenplan). Daraus müsse hervorgehen, ab welchen Kennwerten was geschehe.
Impfen und testen
Beim Impfen müsse stärker auf Dezentralität, also Arztpraxen, gesetzt werden. Das Impfen helfe auch gegen die bisher bekannten mutierten Viren, insbesondere gegen schwere Krankheitsverläufe. Umso langsamer man mit dem Impfen vorankomme, umso höher das Risiko weiterer Mutationen. Dann stehe zu befürchten, dass bereits geimpfte Personen mit angepasstem Impfstoff nachgeimpft werden müssten. Alle zugelassenen Impfstoffe seien wirksam und sicher. Impfreaktionen wie Gliederschmerzen oder Fieber würden häufig und Nebenwirkungen sehr selten auftreten.
Zum Testen: Da Testsets derzeit noch knapp sind, sollte priorisiert werden. Dass für Schulen nicht genügend Tests verfügbar sind, zugleich aber Discounter Tests verkaufen, sei nicht logisch.
Aktuelle Lage
Die Virologin Brinkmann kritisiert die Lockerungen trotz hoher Inzidenz und sieht keine Strategie, um eine dritte Welle zu verhindern. Hamburgs erster Bürgermeister bewertet heute die schnellen, großen Öffnungsschritte als riskant und warnt vor der möglichen Notwendigkeit eines erneuten Lockdowns. Der österreichische Gesundheitsminister (Grüne) äußert sich heute ebenfalls besorgt. Zugleich sieht er Hoffnung im Impfen und dem wärmeren Wetter. Bis Ostern müsse man durchhalten, dann werde es leichter. Wie sieht das mein Gast, der Mediziner?
Er befürchtet, dass wir uns bereits in einer dritten Welle befinden. Der „Saisoneffekt“ würde überschätzt werden. Wenn wir jedoch mit dem Impfen in der Risikogruppe schneller würden, dann könnten wir den weiteren Pandemieverlauf positiv beeinflussen. Man müsse mit weiteren Öffnungen vorsichtig sein.
Zum „britischen Virus“: Dieses treffe häufiger, aber nicht oft, auch jüngere Menschen. Der Krankheitsverlauf sei auch in dieser Altersklasse nicht immer harmlos. Auf Nachfrage einer Elternbeirätin wies Dahmen darauf hin, dass sich Impfstoffe für Kinder in der Entwicklung befänden.
Ausblick
In der zweiten Jahreshälfte könnte unser Leben Schritt für Schritt immer „normaler“ werden.
Hinweis: Heute ging es um Bewertungen eines Mediziners. Über soziale Folgen der Beschränkungen hatte ich bereits in einer anderen öffentlichen Video-Veranstaltung gesprochen. Siehe https://www.matthias-gastel.de/soziale-arbeit-in-der-pandemie/