08.04.2019
In leicht veränderter Form als Gastbeitrag auf Klimareporter.de veröffentlicht
Mehr Hirn, weniger Panzer auf unsere Straßen!
Klimaschutz? Ja, aber bitte nicht hier, bitte nicht im Verkehrssektor. Wenn überhaupt, dann bitte nur mit wenigen technischen Umstellungen, sodass möglichst alles weitergehen kann wie bisher. Neue Mobilitätsformen wie die Elektrokleinstfahrzeuge sind willkommen, aber „on top“ und keineswegs, um an den Grundfesten der Automobilität zu rütteln. Nach dieser Devise wird von Bundesverkehrsminister zu Bundesverkehrsminister gehandelt. Genauer: Es wird nicht gehandelt. Das Resultat dieser Passivität ist vernichtend: Die CO 2‑Emissionen im Verkehrssektor steigen durch immer mehr tonnenschwere, panzerähnliche Autos, durch die Zunahme des Lkw-Verkehrs und starke Wachstumsraten im Flugverkehr. Am Beispiel des wuchernden Straßen- und des ausgehungerten Schienenverkehrs zeige ich auf, wie aus meiner Sicht gehandelt werden muss.
Zunächst aber mal zu den Entwicklungen in den letzten 10 Jahren: Der Güterverkehr, gemessen in Tonnen, nahm um knapp fünf Prozent zu. Der Lastwagen profitierte davon überdurchschnittlich, nämlich mit einem Plus um nahezu acht Prozent, während die Bahn 3,5 Prozent verlor. Die Ursachen liegen in (teilweise politisch motivierten) Kostenverschiebungen zulasten der Bahn, dem massiven Ausbau der Straßen bei gleichzeitigem Schrumpfen der Schienen-Infrastruktur und der zunehmend hemmend wirkenden Bürokratie im Bahnsektor. „Aufgerüstet“ wurde nicht nur für den Lkw, sondern auch bei den Automobilen. Die Anzahl extrem breiter Autos (Breite von mindestens 1,90 Meter, gemessen ohne Außenspiegel) hat sich in den zehn Jahren bis 2018 etwas mehr als verdreifacht. Einige Stellplatzanbieter haben auf diese Entwicklung reagiert und bieten, so beispielsweise Aldi, XXL-Parkplätze an. Ein „normaler“ Parkplatz misst im Durchschnitt 12,5 Quadratmeter. Von einem Kinderzimmer dieser Größe können viele Kinder nur träumen. Auch die PS-Zahl steigt stetig an. Das ständige Mehr an Größe, Gewicht (bis zu drei Tonnen) und Motorleistung frisst die in der Motorenentwicklung erreichten Effizienzgewinne auf und trägt zu steigenden Klimagasemissionen im Verkehrssektor bei. Dies macht klar, was wir dringend brauchen: Einen Aufschlag beim Kauf verbrauchsintensiver Autos, um die Erlöse in Kaufanreize für kleinere E‑Autos und den Ausbau der Ladeinfrastruktur stecken zu können. Das ist der bessere Weg, als hierfür Steuermittel zu ver(sch)wenden. Um der Automobilindustrie einen klaren Rahmen zu setzen, bleibt die Forderung nach einem Enddatum für die Neuzulassung von Autos mit fossilem Verbrennungsmotor auf der politischen Agenda. Andere Länder gehen diesen Weg bereits und auch Unternehmen wie Volkswagen und Porsche bereiten sich auf den Ausstieg aus Diesel- und Benzinantrieben vor. Beim Tempolimit auf Autobahnen müssen die Diskussionen ebenfalls endlich in einer klaren Entscheidung münden. Als Schwabe überzeugt mich, dass man damit einen Beitrag zum Klimaschutz, zur Verkehrssicherheit und zur Lärmreduzierung leistet, ohne dass es etwas kostet! Schließlich brauchen wir mehr gemeinschaftliche Autonutzungen, um Mobilität mit weniger Fahrzeugen organisiert zu bekommen. Autos verstopfen heute, meist mit nur einer Person besetzt, die Straßen und stehen im Mittel 23 Stunden am Tag herum, wodurch sie unnütz viel Platz beanspruchen. Ohne die Reduzierung des Automobilbestandes und den Umstieg auf alternative Antriebe lassen sich die Klimaherausforderungen nicht lösen. Aber auch damit kann noch längst kein Haken an den Klimaschutz im Verkehr gesetzt werden. Es braucht eine in weiten Teilen andere Mobilität. Dazu sind insbesondere massive Erhöhungen der Investitionen in die Schieneninfrastruktur erforderlich. Die Mittel für den Erhalt vorhandener Gleise und Bahnhöfe sollen nach den Plänen der Regierenden erhöht werden. Das ist richtig. Aber eine Milliarde mehr pro Jahr wird nicht reichen, um die Versäumnisse von Jahrzehnten aufzuholen. Mehr Mittel braucht es auch, um die Bahnknoten leistungsfähig auszubauen, Strecken zu elektrifizieren (auch bei der Bahn muss es sich bald ausdieseln!) und zu digitalisieren. Dies ist die Voraussetzung, um den fahrgastfreundlichen Deutschlandtakt mit optimierten Verbindungen und gesicherten Anschlüssen umsetzen zu können und Menschen vom Auto – und auch von den Kurzstreckenflügen – in die Züge locken zu können. Des Weiteren wollen wir, dass ein Strecken-Reaktivierungsprogramm aufgelegt wird, um die Bahn wieder in die Fläche zurück zu bringen. Der Schienengüterverkehr braucht ein unbürokratisches Programm für den Bau von Gleisanschlüssen in Industriegebieten und von Verladestationen. Während die Bundeskoalitionäre aus CDU/CSU und SPD die steigenden Einnahmen aus der Lkw-Maut ausschließlich für den Straßenbau verwenden und damit dem Lkw den roten Teppich noch weiter ausrollen, wollen wir Teile dieser Einnahmen auch der Bahn zugutekommen lassen.
Über all diesen „großen Themen“ dürfen wir das, was sich abspielt, wenn wir unsere Haustüren verlassen um das Kind in die Kita zu bringen, den Bahnhof zu erreichen, Einkäufe zu erledigen oder zum abendlichen Vereinsangebot zu kommen, nicht vergessen. Die Hälfte aller Autofahrten finden im Nahbereich bis zu fünf Kilometer statt. Die „klassischen“ Alternativen zum Auto sind der Fuß- und Radverkehr. Dazu braucht es ausreichend dimensionierte Wege, auf denen sich auch Kinder und ältere Menschen sicher fühlen. Mit der jüngst von der Bundesregierung beschlossenen Zulassung von Elekrokleinstfahrzeugen wie E‑Tretrollern entsteht eine dritte Alternative zum Auto im Kurzstreckenbereich. Diese neue Mobilitätsform ist im Grundsatz sehr zu begrüßen, hat sie doch das Zeug, Mobilität nachhaltig zu revolutionieren. Doch statt Verkehrsräume zugunsten zu Fuß Gehender und Radfahrender neu aufzuteilen und den E‑Scootern auf ausreichend breiten Radwegen und Fahrbahnen mit Tempo 30 Platz zu schaffen, werden die neuen Fahrzeuge teilweise auf die Gehwege geschickt. Konflikte und Unfälle sind dort vorprogrammiert. An diesem Beispiel zeigt sich die ganze Zukunftsvergessenheit der vorherrschenden Verkehrspolitik: Neues ist willkommen. Das, was uns und unseren Planeten mit Klimagasen, Luftschadstoffen, Lärm und Flächenfraß belastet, darf durch das Neue aber nicht in Frage gestellt werden.
Dabei ist doch längst klar: Das Auto hat sein Potential überreizt. Die Bahn hat – bei gezielten Investitionen in ein leistungsfähiges Netz, das zuverlässige Angebote ermöglicht – ihre beste Zeit noch vor sich. Insbesondere in den Städten müssen Verkehrsräume endlich zugunsten des Fuß- und Radverkehrs inklusive der E‑Kleinstfahrzeuge umgestaltet werden. Dafür braucht man aber endlich einen Bundesverkehrsminister, der nicht länger in politischer Feigheit den Herausforderungen aus dem Wege geht, sondern der entschlossen anpackt!