Kohle-Tour durch die Lausitz: Ohne Kohleausstieg keine Energiewende!
30. August 2014, überarbeitet am 08.09.2014
Im Januar 2014 reiste eine Delegation von Abgeordneten der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ins rheinische Braunkohlerevier Garzweiler, um sich dort über die Auswirkungen des Tagebaus zu informieren. Nun führte uns der Weg für zwei Tage nach Sachsen und Brandenburg in die Lausitz. Auch dort ging es um die Zukunft der Energiewende, um die Menschen aus in ihrer Existenz gefährdeten Dörfern, verschandelte Landschaften und verschmutztes Wasser.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Reisen regt mich auch noch einige Tage nach unserer Rückkehr auf: Während wir in Garzweiler von RWE zwar etwas distanziert, aber doch freundlich empfangen wurden und direkt in den Tagebau hinab durften, wollte uns Vattenfall erst gar nicht empfangen. Schlimmer noch: Sie hätten gar am liebsten verhindert, dass wir von einem öffentlichen Aussichtspunkt aus in den Tagebau hinein schauen! Die Gesprächsverweigerung mit VertreterInnen eines Verfassungsorgans spricht Bände über die Kultur dieses Konzerns!
Welche Macht Vattenfall besitzt wurde uns in einem Gespräch mit Vertretern der Initiative „Strukturwandel jetzt – kein Nochten II“ deutlich. Der Konzern tritt als Sponsor zahlreicher Vereine auf, stellt Auszubildende bevorzugt aus den vom Tagebau bedrohten Dörfern ein und holt sich Spitzen kommunaler Verwaltungen gerne in Unternehmensgremien. So ist der Konzern präsent, schafft Abhängigkeiten und vermeidet öffentliche Kritik an seinem Gebaren. Wer dennoch öffentliche Kritik beispielsweise am Landfraß übt wird schnell zum Außenseiter. Oder, so berichtete es einer der Anti-Kohle-Aktivisten, es fliegt auch mal ein Briefkasten in die Luft oder man wird zu einem persönlichen Gespräch beim Bürgermeister geladen, der einen zu „bekehren“ versucht.
Nicht abhalten lassen haben wir uns davon, im jederzeit zugänglichen Vattenfall-Info-Center einen Werbefilm anzuschauen. Dieser könnte den Titel „Ich mache mir meine Welt so wie sie mir gefällt“ tragen. Es wird das technisch Machbare dargestellt, als ob dieses zwingend gut wäre. Und am Ende wird durch den Tagebau ohnehin alles besser, als es die Schöpfung ursprünglich geschaffen hatte. Da wird „das gefilterte Grundwasser sauberer als das Wasser in den Flüssen“, da entsteht auf den ehemaligen Tagebauflächen „Naturraum mit ökologischer Vielfalt“ (gab es die zuvor mancherorts nicht auch?) und die „Findlinge stellen für die Landschaft eine Bereicherung dar“ (wie trostlos muss die Landschaft zuvor gewesen sein!). Es wird sogar behauptet, es würde „neues Land entstehen“. Und die Menschen werden selbstverständlich „sozial verträglich“ umgesiedelt“ (haben sie zuvor sozial unverträglich gelebt?). Der Begriff „Klimaschutz“ taucht im ganzen Film kein einziges Mal auf.
Der Weg führte uns weiter nach Weißwasser. Die sächsische Stadt hatte vor der Wende noch 37.000 Einwohner. Nach dem Niedergang der Industrie und dem spürbaren demografischen Wandel hat die Stadt heute noch weniger als die Hälfte ihrer damaligen Bewohner. Dafür hat sie einen Oberbürgermeister, der in beeindruckender Weise Optimismus verbreitet und mit neuen Ideen für die Stadtentwicklung und Freizeitangeboten für die junge Generation glänzt. Die tagebaubedingten Probleme kann und will er aber nicht ignorieren: Dröhnender Lärm aus der Grube in der Ferne, belastender Feinstaub, verunreinigtes Trinkwasser und Bergbauschäden an Gebäuden.
Dass es draußen im Grünen nicht immer ganz so grün ist, davon durften wir uns an einem Oberflächengewässer überzeugen. Da in gigantischem Ausmaß Grundwasser abgepumpt werden muss, damit die Grube nicht mit Wasser vollläuft, gerät der Grundwasserhaushalt aus den Fugen. Geologische Schichten, die mit Wasser normalerweise nicht in Berührung kommen, setzen beim Wiederanstieg des Grundwasserspiegels ökologisch problematische Elemente frei. Im Oberflächenwasser treten dadurch hohe Konzentrationen von Eisen auf. Das Eisen lagert sich in Form dicker Schlammschichten ab. Bäche und Flüsse sind biologisch tot. Mancherorts wird darauf mit Absetzbecken reagiert, die immer wieder ausgebaggert werden. Ein Großteil des Eisens gelangt aber in die Spree und verbleibt in der Umwelt. Immer mehrt Brunnen zur Trinkwassergewinnung müssen geschlossen werden. Eisen, Mangan und Sulfat sorgen für einen immer größeren Aufwand, um Grenzwerte einzuhalten. Sulfat kann nicht aus dem Wasser gefiltert werden, weshalb häufig auf Mischwasser gesetzt wird. Da der Sulfatgehalt weiter steigen wird, entfällt die Spree in Zukunft als Trinkwasserlieferant.
Um das Argument „Arbeitsplätze“, mit dem häufig der Braunkohletagebau verteidigt und sogar dessen Ausweitung begründet wird, haben wir Grünen uns nicht gedrückt. Wir haben stattdessen das Gespräch mit dem Leiter der Arbeitsagentur Cottbus gesucht. Die Arbeitsmarktlage sieht besser aus, als ich (mit voreingenommenem Blick aus dem Westen?) angenommen hatte. Die Arbeitslosenquote sinkt seit dem Jahr 2006 und liegt aktuell bei 9,6 Prozent – obwohl ABM-Maßnahmen gestrichen wurden. Unversorgten jungen Menschen steht eine größere Anzahl unbesetzter Ausbildungsplätzen gegenüber. Und der Bergbau? „Der Bergbau bietet Arbeitsplätze, schafft aber keine“, so der BA-Chef. Für neue Stellen sorgen die Dienstleistungsbranche und das Handwerk. Im Süden des Bezirkes zusätzlich der Tourismus und im Norden eines Tages der BER. Dass der Strukturwandel weg von der Kohle hin zu neuen, zukunftsfähigen Branchen unumgänglich ist, steht für den Mann von der Agentur für Arbeit außer Frage. Und dass er gelingen wird ebenso.
Gegen Ende der Zwei-Tages-Tour durch die Braunkohleregion haben wir dann noch eines der gewichtigsten Gründe gegen den Tagebau thematisiert. Wir trafen uns mit VertreterInnen der sorbischen Minderheit. Einige der Dörfer, die dem Bergbau weichen mussten, hatten eine überwiegend sorbische Bevölkerung. Nach einer wechselvollen Geschichte, nach der noch zwei Stämme übrig geblieben sind, ist der Tagebau ein weiteres Problem: „Der Tagebau nagt an unserer ethnischen Substanz“. Dennoch ist das Sorbische in der Region weiter präsent. So sind Straßenschilder zweisprachig beschriftet. Am meisten helfen würde den Sorben, wie auch den übrigen Betroffenen, wenn die Braunkohleära schnellstmöglich zu Ende gehen würde.
Hintergrundinfo zu den Umsiedlungen: Die rot-rote Landesregierung hat die Ausweitung des Tagebaus beschlossen. Damit müssen weitere 800 Menschen um ihre Heimat fürchten.
Weitere Hintergrundinfos: Aufgrund niedriger CO2- und Kohlepreisen sowie hohen Gaspreisen vollzieht sich seit etwa 2010 ein Trend weg vom Gas hin zu Kohle. Das ist fürs Klima fatal: Nach Berechnungen des UBA entsteht bei der Stromerzeugung aus Braunkohle pro kWh 1.161 g CO2. Bei der Steinkohle sind es 902 g und bei Erdgas 411 g.
Wie viel für ein Ende der Braunkohleära spricht wurde uns auf der Tour durch die Lausitz deutlich. Wenn Vattenfall für alle Folgekosten aufkommen müsste, würde diese unsinnige Form der Energiegewinnung umgehend eingestellt werden. Da dies aber nicht der Fall ist, werden wir Grünen – nun mit noch besserem Detailwissen ausgestattet – weiter für eine echte Energiewende mit Energieeffizienz, dem Ausbau von erneuerbaren Energien (inklusive Speichertechnologien und Netzausbau) sowie dem Ausstieg aus Atom und Kohle stark machen.