Krieg in Europa – was bedeutet das für uns?

18.03.2022

Veranstaltung mit Sicherheitsexpertin Brugger

Putins völ­ker­rechts­wid­ri­ger Angriffs­krieg gegen die Ukrai­ne beschäf­tigt uns lei­der wei­ter­hin. Putin geht dabei zuneh­mend bru­tal gegen die Zivil­be­völ­ke­rung vor, sei es durch die Ein­kes­se­lung der Stadt Mariu­pol ver­bun­den mit dem Beschuss von Flucht­rou­ten und Hilfs­kon­vois oder die Bom­bar­die­run­gen an ver­schie­de­nen Orten, bei denen es zu Ein­schlä­gen an Kin­der­gär­ten und in  Wohn­ge­bäu­den kam. In der Nähe der Stadt Isjum wur­de eine psych­ia­tri­sche Kli­nik getrof­fen. Jüngst wur­de auch ein gro­ßes Thea­ter bom­bar­diert, das über ein­tau­send Men­schen als Not­un­ter­kunft dien­te.

Der Krieg in Euro­pa und die Lage in der Ukrai­ne besor­gen und ver­un­si­chern auch die Men­schen hier­zu­lan­de. Des­halb habe ich vor Kur­zem zusam­men mit Andre­as Schwarz, dem Vor­sit­zen­den der baden-würt­tem­ber­gi­schen grü­nen Land­tags­frak­ti­on, und Agnieszka Brug­ger, mei­ner Kol­le­gin aus dem Bun­des­tag mit Sitz im Ver­tei­di­gungs­aus­schuss, eine öffent­li­che Video­kon­fe­renz ver­an­stal­tet, bei der ich die Fra­gen der Bür­ge­rin­nen und Bür­ger auf­ge­grif­fen habe.

Wie konnte es so weit kommen?

Agnieszka Brug­ger hat zunächst einen Über­blick dar­über gege­ben, wie es über­haupt zur Eska­la­ti­on kam und war­um die diplo­ma­ti­schen und sank­ti­ons­po­li­ti­schen Maß­nah­men im Vor­feld nicht gegrif­fen haben.
Sie kommt zu der Ein­schät­zung, dass Putin den Angriff schon lan­ge geplant habe und dass der andau­ern­de Krieg jetzt Ergeb­nis sei­ner Fehl­ein­schät­zung ist. Er hat auf der einen Sei­te die Wider­stands­be­reit­schaft der Ukrai­ne und auf der ande­ren Sei­te die Reak­ti­on aus dem Rest der Welt unte­re­schätzt. Extrem har­te Sank­tio­nen und ein Pau­ken­schlag auf der UN-Gene­ral­ver­samm­lung, bei der über 130 Staa­ten sein Vor­ge­hen ver­ur­teilt und nur 5 Staa­ten gegen die Reso­lu­ti­on gestimmt haben – das hat­te er sich wohl anders gedacht.

Auch die Wen­de der deut­schen Bun­des­re­gie­rung, was Waf­fen­lie­fe­run­gen angeht, war eine direk­te Reak­ti­on auf den Angriffs­krieg durch Russ­land und eine Beja­hung des Rechts auf Selbst­ver­tei­di­gung der Ukrai­ne.

Welche Gefahr droht den EU-Staaten?

Die zuge­schal­te­ten Bür­ge­rin­nen und Bür­ger hat­ten eini­ge Fra­gen. Die ers­te gro­ße Fra­ge ziel­te dar­auf ab, wie weit Russ­land gehen wer­de und ob EU-Staa­ten wie Finn­land einen Angriff zu befürch­ten haben.

Agnieszka Brug­ger berich­te­te, dass das im Ver­tei­di­gungs­aus­schuss immer wie­der dis­ku­tiert wird, dass es aktu­ell aber kei­ne Anzei­chen dafür gibt, dass Russ­land tat­säch­lich EU-Gren­zen ver­let­zen möch­te.

Sie beton­te außer­dem, dass sich die NATO nach der Anne­xi­on der Krim trotz aller Ver­stär­kung der Ver­tei­di­gungs­maß­nah­men immer an die Ver­ein­ba­run­gen mit Russ­land gehal­ten hat – die Aggres­si­on ging auch da schon immer von Putin aus, anders als er das ger­ne dar­stellt.

Die nuklea­ren Dro­hun­gen sieht sie mit gro­ßer Sor­ge. Sie sieht sie aber auch als Aus­druck von Putins Unsi­cher­heit, weil er sich so ver­kal­ku­liert hat. Und sie sieht dar­in einen rie­si­gen zivi­li­sa­to­ri­schen Rück­schritt, der die gan­zen Ver­ein­ba­run­gen und Abrüs­tungs­be­mü­hun­gen mit Russ­land hin­fäl­lig macht – die Dro­hun­gen wer­fen uns in der Hin­sicht um Jah­re zurück.

Die Lage hat sich mitt­ler­wei­le wei­ter zuge­spitzt Putin warn­te vor Waf­fen­lie­fe­run­gen aus dem Wes­ten und erklär­te ent­spre­chen­de Kon­vois zu legi­ti­men Zie­len.

Flugverbotszone – Problem oder Lösung?

Doch wie steht es um die viel dis­ku­tier­te Flug­ver­bots­zo­ne? Was wür­de das bedeu­ten und was ist die Schwie­rig­keit dabei?

Agnieszka Brug­ger kann die For­de­rung nach einer sol­chen Flug­ver­bots­zo­ne emo­tio­nal nach­voll­zie­hen, weil die Flug­ver­bots­zo­ne so fried­lich klingt. Fak­tisch wäre das aber ein Ein­stieg der NATO in den Krieg und damit wahr­schein­lich in den drit­ten Welt­krieg.
Denn der Aus­spruch einer Flug­ver­bots­zo­ne ist nichts ande­res, als die Ankün­di­gung, alle feind­li­chen Flug­zeu­ge, die das Ver­bot ver­letz­ten, abzu­schie­ßen. Und Putin wür­de sich von der Ankün­di­gung allei­ne nicht zwangs­läu­fig abschre­cken las­sen. Und wenn er das tes­tet und sein Flug­zeug wird nicht abge­schos­sen, dann ver­liert die NATO ihre Glaub­wür­dig­keit – sie müss­te die Flug­zeu­ge also auch abschie­ßen, wenn sie die Flug­ver­bots­zo­ne aus­ruft. Und das geht nur durch mili­tä­ri­sche Gewalt und mit Prä­senz vor Ort.

Brug­ger kann ver­ste­hen, dass man über alles nach­denkt und den Krieg schnell been­den will. Sie ist aber dank­bar, dass Men­schen wie Außen­mi­nis­te­rin Baer­bock alles dafür tun, die Pro­ble­me zu lösen und mit­füh­lend zu sein, aber auch nicht unüber­legt han­deln.

Wie steht es um die Abhängigkeit von russischem Gas und Öl?

Im Chat der Ver­an­stal­tung kam auch die Fra­ge auf, ob wir uns nicht erpress­bar machen, wenn wir wei­ter­hin Gas und Öl aus Russ­land impor­tie­ren.

Lei­der kann ich da kei­ne bes­se­ren Aus­sich­ten geben. Wir sind im Gas­be­reich abhän­gig von Russ­land, wir decken bis zu 55% unse­res Gas­be­darfs mit Gas aus den Pipe­lines von Russ­land. Da sind kurz­fris­tig kei­ne Alter­na­ti­ven für uns ver­füg­bar, da die Nie­der­lan­de ihre Kapa­zi­tä­ten nicht erhö­hen kann. Wür­den wir den Import stop­pen, dann wäre die Hälf­te unse­rer Ver­sor­gung nicht gedeckt – und es wür­de nicht nur zu noch­mal deut­lich stei­gen­den Gas­prei­sen hier­zu­lan­de kom­men, son­dern die Ver­sor­gung wür­de Ein­bre­chen und nicht jeder Betrieb und nicht jedes Haus könn­te das Gas bezie­hen, das sie brau­chen.

Zur Ener­gie­fra­ge sie­he auch hier: https://www.matthias-gastel.de/fossile-abhaengigkeiten-reduzieren/

Frau Brug­ger ergänz­te noch, dass auf EU-Sei­te alle mög­li­chen Maß­nah­men ergrif­fen wur­den, um einen Gas­lie­fer­stopp Sei­tens Russ­land abzu­fe­dern. So weit ist es aber nicht gekom­men, da Russ­land ja auch wirt­schaft­lich sehr abhän­gig von die­sen Gas­lie­fe­run­gen ist. Und Nord Stream 2 war nie eine Fra­ge unse­rer Ver­sor­gungs­si­cher­heit, wir haben ja genug Kapa­zi­tä­ten mit den bestehen­den Pipe­lines.

Es ist sehr bedau­er­lich, dass wir uns in die­ser gegen­sei­ti­gen Abhän­gig­keit befin­den. Es wäre aber auch nie­man­dem gehol­fen, wenn wir unse­re Wirt­schaft und Gesell­schaft jetzt durch kurz­fris­ti­ge Maß­nah­men so desta­bi­li­sie­ren, wie Putin es seit vie­len Jah­ren ver­sucht. Das wäre schlecht für Deutsch­land und Euro­pa. Des­halb set­zen wir alles dar­an, die­se Abhän­gig­keit schnellst­mög­lich zu been­den sowie auf Sank­tio­nen, die sich bis zur Ziel­er­rei­chung, not­falls auch durch den nächs­ten Win­ter, durch­hal­ten las­sen.