Dieser Text erschien heute als Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau
Die Bahn braucht 100 Prozent Ökostrom!
Unumstritten ist man mit dem Zug bereits jetzt klimafreundlicher unterwegs als mit Flugzeug oder Auto. 90 Prozent der Verkehrsleistung im Schienenverkehr werden heute schon elektrisch abgewickelt. Doch woher kommt der Bahnstrom eigentlich? Auch bei der Bahn hat die Maxime zu gelten: Klimafreundlichkeit geht nur mit erneuerbarer Energie. Die Deutsche Bahn (DB) wirbt seit einiger Zeit mit 100 Prozent grünem Strom im Fernverkehr. Aktuell bezieht sie 57 Prozent ihres gesamten Bahnstroms aus erneuerbaren Energien – zum Vergleich: Im öffentlichen Stromnetz liegt der Anteil erst bei rund 40 Prozent. Damit ist die Bahn bei der Dekarbonisierung so weit wie kein anderer Sektor. Auf lange Sicht wird ein Anteil von 80 Prozent im Jahr 2030 angestrebt, 2050 dann die vollständige Klimaneutralität.
100 Prozent Ökostrom bis 2038 gibt es nur mit einem Kohleausstieg
Bahnfahren ist aktiver Klimaschutz. Doch trotz der richtungsweisenden Entwicklung beim Bahnstrom gilt: Da ist noch reichlich Luft nach oben. Die Ökostromziele der DB werfen nämlich eine Frage auf: Warum traut sich die DB die letzte Etappe hin zu 100 Prozent Ökostrom erst im Jahr 2050 zu? Hier kommen die laufenden Kohlestromverträge des Unternehmens ins Spiel. Sie binden die DB langfristig vor allem an Strom aus Steinkohle und decken derzeit 25 Prozent des Bahnstrombedarfs ab. Prominentes Beispiel ist der Stromabnahmevertrag um das Kohlekraftwerk Datteln IV. Die klare Rechtslage kettet die DB an eine Betriebszeit, die weit über das Jahr 2050 und das Ziel vollständiger Dekarbonisierung hinausgeht. Abhilfe schaffen kann der Kohleausstieg der Bundesregierung. Doch diese glänzt derzeit beim Thema Kohleausstieg mit der gewohnten Hinhaltetaktik. Seit Empfehlung der Kohlekommission, den Kohleausstieg bis spätestens 2038 zu vollziehen, sind keine konkreten Schritte erfolgt.
Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer fordert indessen, die DB solle beim Bahnstrom bereits 2038 vollständig auf erneuerbare Energien setzen. Sein Vorpreschen ist scheinheilig, denn die starren Vertragskonditionen der Kohlestromverträge der DB dürften auch dem Verkehrsminister bestens bekannt sein. Tatsächlich ist Scheuers vorgetäuschte „Bahnstromoffensive“ nur ein kläglicher Versuch, von der eigenen Verantwortung der Bundesregierung beim Kohleausstieg abzulenken. Denn es gilt: Kommt der Kohleausstieg, dann sind auch die Tage der Kohlestromverträge der DB gezählt und die Bahn fährt wirklich „grün“.
Die Bundesregierung verzögert die Verkehrswende
Die Bundesregierung ist daher gefordert, mit den zuständigen Ressorts, der Zivilgemeinschaft und den betroffenen Regionen einen raschen Fahrplan für den Kohleausstieg festzulegen. Das Können des Verkehrsministers ist an anderer Stelle gefragt: Lediglich 60 Prozent des gesamten Eisenbahnnetzes sind derzeit elektrifiziert. Im EU-Vergleich ist Deutschland damit im schwachen Mittelfeld und von den europäischen Spitzenreitern bei der Elektrifizierung weit abgehängt. Dabei wäre ein Vorankommen bei der Elektrifizierung der Eisenbahnstrecken ein vergleichsweise einfacher Weg zur emissionsfreien Mobilität auf der Schiene. Will man grünen Bahnstrom, so ist gleichzeitig die Elektrifizierung von Bahnstrecken notwendiges Erfordernis. Ein konkretes Elektrifizierungsprogramm für Infrastruktur und Fahrzeuge ist zügig vorzulegen. Das Ziel muss es sein, bis 2030 einen Elektrifizierungsgrad von 75 Prozent zu erreichen. Um die Elektrifizierung in Zukunft nachhaltig zu sichern, sind bei der Bewertung des Nutzen-Kosten-Verhältnisses von Infrastrukturprojekten Elektrifizierungsvorhaben mit einem „Klimabonus“ zu versehen und prioritär zu behandeln. Dazu bedarf es allerdings zunächst einmal der grundsätzlichen Änderung des Bewertungsverfahrens. Für einen Teil der Nahverkehrsstrecken, an denen sich Oberleitungen nicht realisieren lassen, müssen wiederum schnell alternative Lösungen gefunden werden wie etwa batterieelektrische Antriebe mit entsprechenden Strominseln oder Ladepunkten. Um den ohnehin zugeschnürten Haushaltstopf für den Schienenverkehr nicht weiter zu strapazieren, muss dringend ein eigener Topf für das Vorhaben der Streckenelektrifizierung her.
Statt verkehrspolitisch auch weiterhin zu versuchen die aus der Zeit gefallene Straßenbaupolitik vergangener CSU-Verkehrsminister mit der Trickkiste neuer Technologien zu kompensieren, ist es gescheiter, die auf der Hand liegenden Vorteile des Systems Schiene endlich zu nutzen. Setzt man auf die Bahn, ist man auf der guten Seite. Denn eine CO2-freie Mobilität ist im Schienenverkehr nicht nur schlichte Vision, sondern vielfach längst Wirklichkeit und bis 2040 flächendeckend möglich.