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07.10.2019

Die­ser Text erschien heu­te als Gast­bei­trag in der Frank­fur­ter Rund­schau

Die Bahn braucht 100 Prozent Ökostrom!

Unum­strit­ten ist man mit dem Zug bereits jetzt kli­ma­freund­li­cher unter­wegs als mit Flug­zeug oder Auto. 90 Pro­zent der Ver­kehrs­leis­tung im Schie­nen­ver­kehr wer­den heu­te schon elek­trisch abge­wi­ckelt. Doch woher kommt der Bahn­strom eigent­lich? Auch bei der Bahn hat die Maxi­me zu gel­ten: Kli­ma­freund­lich­keit geht nur mit erneu­er­ba­rer Ener­gie. Die Deut­sche Bahn (DB) wirbt seit eini­ger Zeit mit 100 Pro­zent grü­nem Strom im Fern­ver­kehr. Aktu­ell bezieht sie 57 Pro­zent ihres gesam­ten Bahn­stroms aus erneu­er­ba­ren Ener­gien – zum Ver­gleich: Im öffent­li­chen Strom­netz liegt der Anteil erst bei rund 40 Pro­zent. Damit ist die Bahn bei der Dekar­bo­ni­sie­rung so weit wie kein ande­rer Sek­tor. Auf lan­ge Sicht wird ein Anteil von 80 Pro­zent im Jahr 2030 ange­strebt, 2050 dann die voll­stän­di­ge Kli­ma­neu­tra­li­tät.

100 Pro­zent Öko­strom bis 2038 gibt es nur mit einem Koh­le­aus­stieg

Bahn­fah­ren ist akti­ver Kli­ma­schutz. Doch trotz der rich­tungs­wei­sen­den Ent­wick­lung beim Bahn­strom gilt: Da ist noch reich­lich Luft nach oben. Die Öko­strom­zie­le der DB wer­fen näm­lich eine Fra­ge auf: War­um traut sich die DB die letz­te Etap­pe hin zu 100 Pro­zent Öko­strom erst im Jahr 2050 zu? Hier kom­men die lau­fen­den Koh­lestrom­ver­trä­ge des Unter­neh­mens ins Spiel. Sie bin­den die DB lang­fris­tig vor allem an Strom aus Stein­koh­le und decken der­zeit 25 Pro­zent des Bahn­strom­be­darfs ab. Pro­mi­nen­tes Bei­spiel ist der Strom­ab­nah­me­ver­trag um das Koh­le­kraft­werk Dat­teln IV. Die kla­re Rechts­la­ge ket­tet die DB an eine Betriebs­zeit, die weit über das Jahr 2050 und das Ziel voll­stän­di­ger Dekar­bo­ni­sie­rung hin­aus­geht. Abhil­fe schaf­fen kann der Koh­le­aus­stieg der Bun­des­re­gie­rung. Doch die­se glänzt der­zeit beim The­ma Koh­le­aus­stieg mit der gewohn­ten Hin­hal­te­tak­tik. Seit Emp­feh­lung der Koh­le­kom­mis­si­on, den Koh­le­aus­stieg bis spä­tes­tens 2038 zu voll­zie­hen, sind kei­ne kon­kre­ten Schrit­te erfolgt.

Bun­des­ver­kehrs­mi­nis­ter Andre­as Scheu­er for­dert indes­sen, die DB sol­le beim Bahn­strom bereits 2038 voll­stän­dig auf erneu­er­ba­re Ener­gien set­zen. Sein Vor­pre­schen ist schein­hei­lig, denn die star­ren Ver­trags­kon­di­tio­nen der Koh­lestrom­ver­trä­ge der DB dürf­ten auch dem Ver­kehrs­mi­nis­ter bes­tens bekannt sein. Tat­säch­lich ist Scheu­ers vor­ge­täusch­te „Bahn­strom­of­fen­si­ve“ nur ein kläg­li­cher Ver­such, von der eige­nen Ver­ant­wor­tung der Bun­des­re­gie­rung beim Koh­le­aus­stieg abzu­len­ken. Denn es gilt: Kommt der Koh­le­aus­stieg, dann sind auch die Tage der Koh­lestrom­ver­trä­ge der DB gezählt und die Bahn fährt wirk­lich „grün“.

Die Bun­des­re­gie­rung ver­zö­gert die Ver­kehrs­wen­de

Die Bun­des­re­gie­rung ist daher gefor­dert, mit den zustän­di­gen Res­sorts, der Zivil­ge­mein­schaft und den betrof­fe­nen Regio­nen einen raschen Fahr­plan für den Koh­le­aus­stieg fest­zu­le­gen. Das Kön­nen des Ver­kehrs­mi­nis­ters ist an ande­rer Stel­le gefragt: Ledig­lich 60 Pro­zent des gesam­ten Eisen­bahn­net­zes sind der­zeit elek­tri­fi­ziert. Im EU-Ver­gleich ist Deutsch­land damit im schwa­chen Mit­tel­feld und von den euro­päi­schen Spit­zen­rei­tern bei der Elek­tri­fi­zie­rung weit abge­hängt. Dabei wäre ein Vor­an­kom­men bei der Elek­tri­fi­zie­rung der Eisen­bahn­stre­cken ein ver­gleichs­wei­se ein­fa­cher Weg zur emis­si­ons­frei­en Mobi­li­tät auf der Schie­ne. Will man grü­nen Bahn­strom, so ist gleich­zei­tig die Elek­tri­fi­zie­rung von Bahn­stre­cken not­wen­di­ges Erfor­der­nis. Ein kon­kre­tes Elek­tri­fi­zie­rungs­pro­gramm für Infra­struk­tur und Fahr­zeu­ge ist zügig vor­zu­le­gen. Das Ziel muss es sein, bis 2030 einen Elek­tri­fi­zie­rungs­grad von 75 Pro­zent zu errei­chen. Um die Elek­tri­fi­zie­rung in Zukunft nach­hal­tig zu sichern, sind bei der Bewer­tung des Nut­zen-Kos­ten-Ver­hält­nis­ses von Infra­struk­tur­pro­jek­ten Elek­tri­fi­zie­rungs­vor­ha­ben mit einem „Kli­ma­bo­nus“ zu ver­se­hen und prio­ri­tär zu behan­deln. Dazu bedarf es aller­dings zunächst ein­mal der grund­sätz­li­chen Ände­rung des Bewer­tungs­ver­fah­rens. Für einen Teil der Nah­ver­kehrs­stre­cken, an denen sich Ober­lei­tun­gen nicht rea­li­sie­ren las­sen, müs­sen wie­der­um schnell alter­na­ti­ve Lösun­gen gefun­den wer­den wie etwa bat­te­rie­elek­tri­sche Antrie­be mit ent­spre­chen­den Strom­in­seln oder Lade­punk­ten. Um den ohne­hin zuge­schnür­ten Haus­halts­topf für den Schie­nen­ver­kehr nicht wei­ter zu stra­pa­zie­ren, muss drin­gend ein eige­ner Topf für das Vor­ha­ben der Stre­cken­elek­tri­fi­zie­rung her.

Statt ver­kehrs­po­li­tisch auch wei­ter­hin zu ver­su­chen die aus der Zeit gefal­le­ne Stra­ßen­bau­po­li­tik ver­gan­ge­ner CSU-Ver­kehrs­mi­nis­ter mit der Trick­kis­te neu­er Tech­no­lo­gien zu kom­pen­sie­ren, ist es geschei­ter, die auf der Hand lie­gen­den Vor­tei­le des Sys­tems Schie­ne end­lich zu nut­zen. Setzt man auf die Bahn, ist man auf der guten Sei­te. Denn eine CO2-freie Mobi­li­tät ist im Schie­nen­ver­kehr nicht nur schlich­te Visi­on, son­dern viel­fach längst Wirk­lich­keit und bis 2040 flä­chen­de­ckend mög­lich.