Viele Themen, viele Diskussionen
Nicht zum ersten Mal habe ich junge Menschen aus meiner Region zu einer Bildungsfahrt nach Berlin eingeladen. Die Gruppe bekam ein interessantes Programm geboten. Für mich ergaben sich sehr viele Möglichkeiten für Gespräche und Diskussionen.
Am Sonntagabend ging es los. Im Hotel traf ich mich mit einigen der jungen Leute zu einer zweistündigen Diskussion. Ich wurde nach den Preisen für den öffentlichen Nahverkehr gefragt. Ein Jugendlicher wollte wissen, weshalb Bus und Bahn in der Region Stuttgart nicht kostenlos seien. Meine Antwort: Preise sind ein Steuerungsinstrument. Würden wir die Preise abschaffen, würden wir insbesondere in den Hauptverkehrszeiten ein Kapazitätsproblem bekommen. Erfahrungen aus Städten, die mit dem Nulltarif experimentiert haben, zeigen, dass vor allem Radfahrende und zu Fuß Gehende (bei Regenwetter) umsteigen. Um Autofahrende zum Umstieg zu bewegen kommt es insbesondere auf bessere Angebote an. Daher wurde und wird in und um Stuttgart der öffentliche Nahverkehr massiv ausgebaut (Taktverdichtung bei der S‑Bahn, längere Züge, Expressbusse usw.). Ab April werden im Verbundgebiet des VVS (Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart) die Tarife massiv vereinfacht und um 25 bis 30 Prozent gesenkt. Aus einem der teuersten Tarife wird der bundesweit preiswerteste. Beides zusammen, Ausbau der Angebote und sinkende Tarife, sollten Menschen zum Umstieg bewegen. Ein anderer Themenkomplex bezog sich auf den Kohleausstieg. Ich wurde gefragt, ob mir der vereinbarte Kohleausstieg schnell genug gehen würde, welche Ideen es für die wirtschaftliche Entwicklung in den vom Kohleausstieg betroffenen Gebieten gebe und wie es mit den erneuerbaren Energien weitergehen solle. Aus meiner Sicht ist der Konsens um den Kohleausstieg ein riesiger Erfolg. Sollte es Chancen geben, den Ausstieg zu beschleunigen, so sollten diese ergriffen werden. Das hängt aber maßgeblich vom Ausbau der Erneuerbaren und dem Netzausbau ab, da wir im Süden der Republik uns vermutlich niemals vollständig autonom versorgen können. Um den Ausbau der erneuerbaren Energiequellen, wofür ich die größten Potentiale bei der Wind- und Solarenergie sehe, müssen Ausbauhürden beseitigt werden. Außerdem müssen Speichertechnologien und Energieeffizienz stärker gefördert und schneller vorangebracht werden. Die vom Kohlausstieg betroffenen Regionen halte ich für verhältnismäßig gut vorbereitet, weil sich dort in den letzten Jahren zukunftsfähige Branchen angesiedelt haben und die Politik sich um die Ansiedlung weiterer Unternehmen bemühen wird.
Am Montag traf die Besuchergruppe im Reichstagsgebäude ein. Sie bekam auf der Tribüne des Plenarsaals eine Einführung in die parlamentarische Arbeit. Anschließend gab es eine Diskussion der 50-köpfigen Gruppe mit mir. Eine der Fragen kam von einer jungen Frau, die sich in Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin befindet und sich eine bessere Praxisanleitung wünscht. Ich verwies darauf, dass ich bei meinen Besuchen in Ausbildungsklassen angehender Kranken- und Altenpfleger*innen schon häufiger mit diesem Wunsch konfrontiert worden war. Die Grünen im Bundestag wollen den die Kranken- und Altenpflege finanziell stärken, so dass mehr Fachkräftestellen eingerichtet werden können, wovon auch die Ausbildung profitiert. Aus unserer Sicht sollte auch eine Pflegekammer eingerichtet werden, um der Pflege ein höheres Gewicht gegenüber den Trägern von Heimen und Kliniken, von Kranken- und Pflegeversicherungen sowie der Politik zu verschaffen. Eine Frage bezog sich auf die Zukunft von Wasserstoffautos. Wasserstoff, so meine Antwort, wird derzeit überwiegend auf Erdgasbasis gewonnen und macht daher ökologisch keinen Sinn. Die Erzeugung von Wasserstoff aus Strom ist derzeit noch nicht wirtschaftlich, sollte aber intensiver fortentwickelt werden.
Zum Mittagessen stieß ich nochmal zur Gruppe hinzu. Vier Realschülerinnen waren interessiert zu hören, wie man der Problematik mit dem Plastik in den Meeren beikommen könnte. Meine Antwort: Der Plastikmüll findet über viele Wege, nämlich Schiffe, Hausabwässer und Müllentsorgung über Flüsse, in die Meere. Die Mengen an Kunststoffen müssen verringert werden, wofür jeder seinen Beitrag leisten kann. Ich selber nutze zum Trinken unterwegs eine Mehrwegflasche, die ich immer wieder am Wasserhahn auffülle.
Nachmittags bekam die Gruppe Inputs von einem Vertreter der Jungen Europäischen Förderalisten (JEF) zur Europapolitik, der Bundesvorsitzenden der Grünen Jugend, Ricarda Lang, über die Verbandsarbeit und die Schwerpunkte in den gesellschaftspolitischen und ökologischen Themenfeldern sowie von zwei jungen Aktivistinnen von „Fridays for Future“, der Jugendbewegung für den Klimaschutz. Im Nachklang konnte ich mit einigen der jungen Leute noch über Klimaschutz diskutieren.
Am Dienstag standen eine Busrundfahrt durch die Stadt, eine Führung durch die ehemalige Untersuchungsanstalt der Stasi in Hohenschönhausen, eine Demokratieausstellung und ein Rollenspiel auf der Tagesordnung. Beim Abendessen ergaben sich für mich weitere Möglichkeiten für Gespräche. Ich ließ mir von den Erlebnissen in Hohenschönhausen (für die meisten der jungen Leute sehr beeindruckend, zumal im Schulunterricht wenig über die Unterdrückung der Freiheit in der DDR vermittelt wurde) und dem Rollenspiel berichten. In den Diskussionen an den Tischen ging es während des Essens um Europa und die Chancen, rechtsextreme und populistische Parteien bei der Europawahl kleinzuhalten und um den Umgang mit der AfD im Bundestag.
Für die Gruppe bot der Mittwoch den zweiten Teil der Stadtrundfahrt und einen Besuch in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, bevor es mit der Bahn zurück nach Stuttgart und von dort weiter nach Esslingen, Nürtingen, Böblingen oder Konstanz und damit zurück in den Alltag ging …
Zur Erläuterung: Alle Bundestagsabgeordnete können im Jahr drei Bildungsfahrten für jeweils 50 Personen nach Berlin anbieten. Die hier beschriebene Fahrt war speziell auf junge Menschen zugeschnitten. Teilgenommen haben Mitglieder von Jugendgemeinderäten in drei Städten, Aktive einer Theatergruppe, Mitglieder der Grünen Jugend, Schülerzeitungs-Macher und Schüler*innen einer Realschule.