Einig im Ziel – Streit um das Wie
Dass auch politisch weitgehend unstrittige, von den meisten Bürgerinnen und Bürgern überwiegend für sinnvoll erachtete Verkehrsprojekte von der ersten Überlegung bis zur Vollendung Jahrzehnte benötigen ist ein unhaltbarer Zustand. Das muss sich ändern. Aber wie?
Vom Bundestag wurden kürzlich zwei Gesetze verabschiedet. Das „Gesetz zur weiteren Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren im Verkehrsbereich“ sieht vor, dass bestimmte Ersatzneubauten (Abriss einer Brücke und Ersatz durch eine vergleichbare Brücke) von der Genehmigungspflicht ausgenommen werden und dass Kommunen sich an der Finanzierung der Beseitigung von Bahnübergängen in geringerem Umfang als bisher beteiligen müssen. Dieses Gesetz war im Bundestag unstrittig und auch wir Grüne haben zugestimmt. Anders beim zweiten Gesetz, dem „Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz“. Es benennt konkret sieben Schienen- und fünf Wasserstraßenprojekte. Die benannten Projekte an sich sind nicht das Problem. Wir sehen Probleme in der unzureichenden Bürgerbeteiligung und den rechtsstaatlichen Eingriffen. So ist zwar eine „frühzeitige Bürgerbeteiligung“ vorgesehen. Tatsächlich geplant ist aber nicht mehr als eine Bürgerinformation. Am Ende des Planungsverfahrens soll kein behördlicher Planfeststellungsbeschluss stehen, sondern eine Befassung im Bundestag und eine Gesetzgebung zu jedem einzelnen Projekt. Wie diese eingeleitet und innerhalb des parlamentarischen Verfahrens ausgestaltet werden sollen ist völlig offen. Es handelt sich um hoch detaillierte Planungen, mit denen sich der Bundestag oder seine Ausschüsse befassen müssten. Mit welchen personellen Kapazitäten und welchem vertieften Beurteilungsvermögen? Zwei Schienenprojekte, die wegen des übergesetzlichen Lärmschutzes vom Bundestag beschlossen werden müssen, warten seit über einem halben Jahr auf eine Befassung. Noch ist unklar, wie das Verfahren laufen soll. Dies lässt befürchten, dass mit dem neuen Gesetz weitere Projekte länger in Verfahren stecken werden als bisher. Schließlich soll der Rechtsweg beschnitten werden. Nur in Ausnahmefällen kann gegen die projektbezogenen Maßnahmengesetze mit einer Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht vorgegangen werden. Diese Verfahren können aufgrund der Überlastung des Bundesverfassungsgerichts aber Jahre dauern …
Die meisten Sachverständigen, die sich zum Gesetz geäußert hatten, haben Zweifel[1] angemeldet, ob es vor dem höchsten Gericht Stand hält. Am Ende könnte wertvolle Zeit für eine unsinniges Gesetz vergeudet worden sein.
Einige erfolgversprechende Ansätze für die Stärkung von Bürgerrechten und die Beschleunigung von Verkehrsprojekten:
- Die frühzeitige Bürgerbeteiligung muss den Raum bieten, um sich mit Alternativen und Varianten auseinanderzusetzen. Eine reine Information ist zu wenig. Denkbar ist, dass die frühzeitige Bürgerbeteiligung nicht alleine von der Vorhabensträgerin (meist DB Netz) durchgeführt wird, sondern dass es eine neutrale Moderation gibt. Eine gut organisierte frühzeitige Bürgerbeteiligung deckt in einem frühen Planungsstadium mögliche Konflikte (z. B. Lärm) auf und ermöglicht, dass diese in den weiteren Planungen berücksichtigt werden. Dies erhöht die Akpetanz des Projektes und verringert die Wahrscheinlichkeit, dass dagegen geklagt wird. Weitere Planungsschritte können von langwierigen Streitigkeiten und Diskussionen über Alternativvarianten entlastet werden. Für die frühzeitige Bürgerbeteiligung braucht es verbindliche Mindeststandards.
- Von zentraler Bedeutung sind die gute personelle Ausstattung bei den Planungsverantwortlichen, personelle Kontinuität, Vollständigkeit und hohe Qualität der Planungsunterlagen.
- Ebenso kommt es auf die ausreichende Personalausstattung bei der Genehmigungsbehörde, dem Eisenbahnbundesamt (EBA), an. Im Stellenplan wurden zusätzliche Stellen geschaffen. Es bleibt abzuwarten, ob diese mit qualifiziertem Personal besetzt werden können.
- Auch die Bauwirtschaft verfügt über knappe Ressourcen. Daher ist es politisch geboten, die Aufträge im Straßenbau zurückzufahren, um die personellen und technischen Kapazitäten der Bauwirtschaft verstärkt der Schiene zugutekommen zu lassen und noch dazu den massiven Preisanstieg im Bahnbau zu dämpfen.
- Das Raumordnung- und das Planfeststellungsverfahren müssen stärker vernetzt, vielleicht sogar zusammengelegt werden, um Doppelprüfungen zu vermeiden.
Projekte lassen sich schneller umsetzen als bisher üblich. Dafür gibt es wirksamere Ansätze als die Beschneidung von Bürgerrechten oder des Naturschutzes!
Weitere Infos über unsere Kritik und Ideen für eine schnellere Umsetzung sinnvoller Schienenprojekte sind hier zu finden: https://www.matthias-gastel.de/schienenprojekte-schneller-umsetzen/
[1] Die Zweifel beziehen sich auf eine ältere Rechtsprechung des BVerfG, wonach eine Maßnahmengesetzgebung nur bei außergewöhnlichen Erfordernissen und damit in besonders gut begründeten Einzelfällen zulässig sei. Auch unionsrechtlich wird das Gesetz als kritisch erachtet, da es den normativen Vorgaben des EU-Umweltrechts widersprechen könnte. Des Weiteren wird ein Verstoß gegen die „Aarhus-Konvention“ gesehen, nach der gerichtlicher Rechtsschutz gewährt bleiben muss. Quelle: Stellungnahmen mehrerer Sachverständiger für die Anhörung im Bundestags-Verkehrsausschuss und Rechtsgutachten für die Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.