06.06.2016
Eine Analyse nach den drei Landtagswahlen
Die AfD scheint mit ihrer Strategie erfolgreich zu sein: Erst wird maßlos und bis ins deutlich Unerträgliche hinein provoziert und überzogen. Kommt das erwartete Echo, wird entweder zurück gerudert oder erklärt, man sei von der Presse (der „Lügenpresse“) falsch wiedergegeben worden. Damit sorgt die Partei für ihre mediale Wahrnehmbarkeit. Sobald die Wahrnehmbarkeit sinken würde, würde die Attraktivität der Partei für diejenigen, die ihren Protest bzw. ihre Unzufriedenheit mit der Politik zum Ausdruck bringen wollen, ebenfalls sinken. Die Partei wie auch deren Wähler/innen setzen also auf Provokation und Empörung, haben dabei aber unterschiedliche Adressaten im Blick. Für die AfD ist die Provokation eine Existenzfrage. Für die sie Wählenden ist die Provokation eine Sinnfrage („Macht die Stimmabgabe Sinn, wird mein Protest gehört?“).
Dabei überzieht die AfD auch mal so stark, dass sie in Umfragen sinkt, wie aktuell nach den unsäglichen Aussagen von Gauland über Jerome Boateng, Mitglied der Nationalelf. Die taz kommentierte: „Boateng zum unerwünschten Fremdling im biodeutschen Volkskörper zu erklären, dürfte auch für konservative Zeitgenossen als das erkennbar sein, was es ist: Rassismus. Der Fall Boateng ist für die Rechtspopulisten ein Propaganda-Gau.“
Demoskopen haben nach den drei Landtagswahlen im März umfangreiche Befragungen durchgeführt. Dadurch ergeben sich weitere Einblicke in die Wählermilieus der AfD bzw. bestätigen sich die oben aufgestellten Vermutungen. Zwischen 60 und 70 Prozent wählten die AfD nicht etwa, weil sie von deren Politik überzeugt wären, sondern weil sie von den anderen Parteien enttäuscht waren. Das lässt sich noch genauer fassen, also Sachthemen zuordnen. Bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt waren den AfD-Wähler/innen die Themen Umwelt/Energie, soziale Gerechtigkeit, Schule/Bildung sowie Wirtschaft/Arbeit teilweise deutlich weniger wichtig als der Gesamt-Wählerschaft. Ein Thema hingegen war ihnen mehr als doppelt so wichtig wie der Gesamtheit der Wählenden: Die Flüchtlingsfrage. Und auch die innere Sicherheit scheint den Unterstützern der AfD besonders bedeutsam zu sein. Überdurchschnittlich häufig haben bei den letzten Wahlen übrigens Männer, Angehörige der Altersklasse der 25- bis 34-Jährigen sowie Arbeiter und Arbeitslose die AfD gewählt.
Auch wenn der Rechtspopulismus und ‑radikalismus in den Parlamenten ein europaweites Problem darstellt, stellt sich die Frage auch bei uns: Was tun? Was hier tun? Der Ratschlag der Rhein-Neckar-Zeitung ist wohl weder einer Demokratie mit freier Presse würdig, noch durchzuhalten: „Je unsinniger die Aussage, je größer der Tabubruch, desto größer der Aufmerksamkeitswert. Genau deshalb sollte man die Gaulands, Petrys und Höckes mit der publizistischen Höchststrafe belegen: Schweigen“. Was also stattdessen machen? Es muss die Auseinandersetzung mit der Partei geführt werden. Es gilt deutlich zu machen, dass die AfD, anders als es ihr Name suggeriert, keine Alternativen zu bieten hat. Die Auseinandersetzung gehört vorrangig in die Parlamente, in die die AfD hineingewählt wurde. In Talkshows, in die AfD-Vertreter/innen wie Gauland am Sonntag bei Anne Will inzwischen sehr häufig eingeladen werden, gelingt die Vorführung der Inhaltsleere und Konzeptlosigkeit jedenfalls kaum. Die Wählerinnen und Wähler der AfD sollten nicht in ihrer Gesamtheit pauschal als „Rechte“ oder gar als „Nazis“ abgeurteilt und damit noch enger an diese Partei gebunden werden. Der Großteil der AfD-Wähler ist von dieser Partei nicht überzeugt (siehe oben) und möglicherweise ansprechbar. Diese Chance sollte genutzt werden.
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