Was alternative Kraftstoffe (nicht) können

Kön­nen wir ein­fach wei­ter­hin Autos mit Ver­bren­nungs­mo­to­ren pro­du­zie­ren und trotz­dem das Kli­ma schüt­zen? Genau das ver­spre­chen eini­ge Par­tei­en und Ver­bän­de. Ich sprach mit dem Unter­neh­men Nes­te, das alter­na­ti­ve Kraft­stof­fe her­stellt und dem Umwelt­ver­band NABU, der sagt, dass die Trans­for­ma­ti­on des Ver­kehrs­sek­tors lei­der nicht ganz so ein­fach ist.

Seit Ende Mai kann an deut­schen Tank­stel­len HVO 100 getankt wer­den. HVO steht für „Hydra­ted Vege­ta­ble Oil“. Dabei han­delt es sich um mit Was­ser­stoff ange­rei­cher­tes Öl pflanz­li­chen oder auch tie­ri­schen Ursprungs. Die Kenn­zahl 100 bedeu­tet, dass das HVO dem Kraft­stoff nicht bei­gemischt wird, son­dern es sich um pures HVO han­delt. Die Grund­idee des HVO ist sim­pel und klingt zunächst über­zeu­gend: Fahr­zeu­ge kön­nen mit der Ener­gie von Abfall­stof­fen ange­trie­ben wer­den. Dafür braucht man kei­ne sel­te­nen Erden wie für Bat­te­rien und man kann auch den bestehen­den Fahr­zeug­be­stand kli­ma­freund­lich wei­ter­nut­zen.

Doch es gibt erheb­li­che Zwei­fel an die­ser Theo­rie. So schreibt die „Wirt­schafts­wo­che“[1], dass der Kraft­stoff nicht so kli­ma­freund­lich sei, wie es Her­stel­ler, Ver­trei­ber und das Bun­des­ver­kehrs­mi­nis­te­ri­um ger­ne behaup­ten. Außer­dem sei­en die ver­füg­ba­ren Men­gen nicht aus­rei­chend, um den abseh­bar stei­gen­den Bedarf zu decken.

Die­se Pro­ble­ma­tik haben mir sowohl Befür­wor­ter als auch Skep­ti­ker des HVO in mei­nen per­sön­li­chen Gesprä­chen bestä­tigt. Bei­de sagen über­ein­stim­mend, dass die glo­bal anfal­len­den Abfall- und Rest­stof­fe in etwa rei­chen, um den deut­schen Stra­ßen­ver­kehr voll­stän­dig mit HVO zu ver­sor­gen. Da Deutsch­land nicht das ein­zi­ge Land ist, dass sei­nen Ver­kehrs­sek­tor kli­ma­neu­tral bekom­men muss, ist die Trans­for­ma­ti­on ein­zig durch HVO aus­sichts­los. Zudem feh­len die­se Rest- und Abfall­stof­fe dann an den Stel­len, wo sie ursprüng­lich ver­wen­det wur­den, zum Bei­spiel in der che­mi­schen Indus­trie oder bei der Kom­pos­tie­rung. Es ent­steht eine Art Nut­zungs­kon­kur­renz. So berich­tet die Wirt­schafts­Wo­che unter Beru­fung auf das Fraun­ho­fer-Insti­tut, dass bereits 80 bis 90 Pro­zent der anfal­len­den Alt­öle und ‑fet­te ver­wer­tet wür­den, so für die Par­affin­her­stel­lung oder als Tier­fut­ter­zu­satz.

Schon heu­te gibt es laut Wirt­schafts­wo­che gro­ße Zwei­fel dar­an, ob bei der Bereit­stel­lung alles mit rech­ten Din­gen zugeht. Der Deut­sche Land­wirt­schafts­ver­band weist dar­auf hin, dass allein aus Chi­na weit mehr HVO impor­tiert wird, als in Indo­ne­si­en und Malay­sia, woher die Abfall­stof­fe stam­men sol­len, ent­spre­chen­de Abfäl­le anfal­len. Malay­sia expor­tie­re via Chi­na drei­mal mehr als „Alt­spei­se­öl“ dekla­rier­tes Öl, als in dem Land anfällt. Vie­les deu­tet dar­auf­hin, dass es sich bei dem ver­mut­li­chen „Alt­spei­se­öl“ in Wirk­lich­keit um Palm­öl han­delt, dass nur für die Her­stel­lung von Kraft­stoff ange­baut wird. Micha­el Ster­ner, Pro­fes­sor für Ener­gie­wirt­schaft an der Uni­ver­si­tät Regens­burg, spricht in der Wirt­schafts­wo­che daher von „Betrug“ mit HVO. Beim Thinktank ICCT spricht man sogar von einem grö­ße­ren Kli­ma­scha­den durch HVO als durch fos­si­len Die­sel, wenn dem HVO neu­es Palm­öl bei­gemischt wird, für des­sen Anbau Moo­re tro­cken­ge­legt und Regen­wäl­der abge­holzt wer­den. Auch der NABU zwei­felt an der Kli­ma­bi­lanz von HVO.

Die Ver­brau­cher­zen­tra­le warnt auf ihrer Home­page: „Ach­tung: Sie kön­nen nicht sicher sein, was die CO2-Bilanz angeht. Es kann nicht aus­ge­schlos­sen wer­den, dass eigens Nutz­pflan­zen ange­baut wer­den, um HVO zu gewin­nen. Dann wäre der CO2-Vor­teil gar nicht oder nur gering vor­han­den. Zudem feh­len die­se Rest- und Abfall­stof­fe dann an den Stel­len, wo sie ursprüng­lich ver­wen­det wur­den, zum Bei­spiel in der che­mi­schen Indus­trie oder bei der Kom­pos­tie­rung. Es ent­steht eine Art Nut­zungs­kon­kur­renz.“

Den Eti­ket­ten­schwin­del bei chi­ne­si­schem HVO beklagt auch Nes­te, die kein HVO in Chi­na pro­du­zie­ren und ver­si­chern, dass es bei ihnen nicht zur Umde­kla­rie­rung von Palm­öl kommt. Abhil­fe könn­te hier ein ein­heit­li­ches und kon­trol­lier­tes Zer­ti­fi­zie­rungs­sys­tem schaf­fen. Der NABU warnt aber ins­ge­samt vor einer hohen Betrugs­an­fäl­lig­keit bei HVO. Der hohe Anteil der Roh­stof­fe, die aus Fern­ost kom­men, erschwert die Trans­pa­renz und Kon­trol­le.

Auf­grund der auch abseh­bar nicht aus­rei­chen­den Men­ge von Rest- und Abfall­stof­fen schau­en Anbie­ter wie Nes­te auch auf alter­na­ti­ve For­men der Bio­mas­se. Beson­ders Algen möch­ten sie zukünf­tig zusätz­lich zu HVO ver­ar­bei­ten. Der NABU merkt dazu an, dass es Anla­gen, die die­se im gro­ßen Stil züch­ten, noch nir­gends gibt und es nicht mög­lich ist vor­her­zu­sa­gen, wel­che Rol­le sie spie­len kön­nen. Eine ande­re Lösung, die die Indus­trie ins Auge nimmt, ist die Ver­wer­tung von Zwi­schen­früch­ten. Das Pro­blem hier­bei ist aller­dings, dass die Ver­bes­se­rung des Bodens, die man sich von Zwi­schen­früch­ten erhofft, nur voll ein­tre­ten kann, wenn die Bio­mas­se unter­ge­pflügt wird und nicht zur Her­stel­lung von HVO abge­tra­gen wird. Auch hier kommt es also zu Nut­zungs­kon­flik­ten.

Frag­lich ist neben der Ver­füg­bar­keit der not­wen­di­gen Bio­mas­se auch, wo der für die Her­stel­lung des HVO not­wen­di­ge Was­ser­stoff her­kom­men soll. Nur wenn Grü­ner Was­ser­stoff ein­ge­setzt wird, kann der Kraft­stoff kli­ma­freund­lich sein. Da es die­sen heu­te auf dem Markt fast nicht gibt, ver­wen­det Nes­te bei­spiels­wei­se soge­nann­ten Grau­en Was­ser­stoff, der aus Erd­gas her­ge­stellt wird. Kli­ma­neu­tra­ler Grü­ner Was­ser­stoff spielt in unse­rer Volks­wirt­schaft an vie­len Stel­len eine zen­tra­le Rol­le in der Trans­for­ma­ti­on. Auch zukünf­tig wird er des­halb hoch nach­ge­fragt sein und es ist völ­lig offen, ob es für die Her­stel­lung von HVO genug gibt und zu wel­chen Prei­sen das an der Tank­stel­le führt.

Der Ein­satz des Kraft­stof­fes HVO ist eng ver­knüpft mit der soge­nann­ten Treib­haus­gas­quo­te. Sie ver­pflich­tet die Mine­ral­öl­wirt­schaft dazu, erneu­er­ba­re Kraft­stof­fe wie zum Bei­spiel HVO anzu­bie­ten oder bei­zu­mi­schen. Vie­le Kraft­stoff­an­bie­ter konn­ten unter ande­rem durch das falsch dekla­rier­te chi­ne­si­sche HVO die­se Quo­te in den letz­ten Jah­ren über­erfül­len. Aktu­ell kön­nen Anbie­ter die­sen Über­schuss in das nächs­te Jahr über­tra­gen und somit im nächs­ten Jahr weni­ger kli­ma­freund­li­che Kraft­stof­fe anbie­ten. Ins­be­son­de­re die HVO-Indus­trie setzt sich dafür ein, die­se Über­trag­bar­keit min­des­tens für zwei Jah­re aus­zu­set­zen, um den Mark­t­hoch­lauf des HVO nicht zu gefähr­den. Der NABU spricht sich gegen die Aus­set­zung der Über­trag­bar­keit aus. Sei­ner Mei­nung nach wür­de zusätz­li­che Nach­fra­ge nach HVO ledig­lich zu mehr Betrug und dadurch auch mehr Kli­ma­scha­den füh­ren. Der NABU spricht sich des­we­gen für ande­re Maß­nah­men aus, die Kli­ma­freund­lich­keit des Ver­kehrs zu för­dern.

Es deu­tet somit vie­les dar­auf hin, dass HVO nicht die Wun­der­waf­fe gegen die Kli­ma­pro­ble­me des Ver­kehrs­sek­tors ist. Dort, wo es kei­ne Alter­na­ti­ven gibt, kann der Ein­satz sinn­voll sein. Oft gibt es aber ande­re Wege, die uns ein­fa­cher und ziel­ge­rich­te­ter in Rich­tung Kli­ma­neu­tra­li­tät brin­gen. Allen vor­an ist dies die Elek­tri­fi­zie­rung des Stra­ßen­ver­kehrs. Die Bat­te­rie­tech­no­lo­gie ist sowohl im Per­so­nen- als auch im Güter­ver­kehr bereits in der Lage, mit dem fos­si­len Ver­bren­ner zu kon­kur­rie­ren. Wer­den die Lade­infra­struk­tur und die erneu­er­ba­ren Ener­gien wei­ter­hin kon­se­quent aus­ge­baut, so kann sie schon bald den Haupt­teil des Stra­ßen­ver­kehrs dekar­bo­ni­sie­ren. Die knap­pen HVO-Reser­ven soll­ten dort ein­ge­setzt wer­den, wo die Elek­tri­fi­zie­rung mit­tels Bat­te­rien nicht mög­lich ist, zum Bei­spiel im Flug­ver­kehr. Inter­es­sant auch, dass die Her­stel­ler von Last­wa­gen auf einer Kon­fe­renz des Bun­des­ver­kehrs­mi­nis­te­ri­ums vor zu vie­len Tech­no­lo­gien gleich­zei­tig warn­ten. E‑Fuels wür­den gar kei­ne Rol­le spie­len und HVO sei „weni­ger effi­zi­ent als Die­sel“ und „ver­ur­sacht Umwelt­pro­ble­me zum Bei­spiel durch Palm­öl“.[2] Ich sehe daher HVO garan­tiert nicht als Grund an, die Elek­tri­fi­zie­rung des Stra­ßen­ver­kehrs und die Trans­for­ma­ti­on der Auto­in­dus­trie zu zu ver­lang­sa­men.

[1] Aus­ga­be vom 25. Okto­ber 2024

[2] Tages­spie­gel Back­ground v. 13.11.2024